Bochum. Bevor Soldaten nach Afghanistan, den Irak oder ins Kosovo aufbrechen, trainieren sie den Ernstfall auf Übungsplätzen. Dabei kommen sie auch mit "Zivilisten" in Kontakt. Die werden gemimt von Statisten, die bei Castings ausgewählt werden, zum Beispiel in einem Bochumer Hotel.
Dirk ist knapp über 40 Jahre alt, groß gewachsen, breite Schultern, in einer Uniform würde er keine schlechte Figur machen (Name geändert). Als er eine Anzeige der Supply & Service Team GmbH (SST) aus Hohenfels in der Oberpfalz las, machte er sich am Dienstag auf den Weg ins Hotel Park Inn. Dorthin hatte die Firma SST nämlich zu einem Casting geladen. Und die sucht nicht etwa das Sing-Sternchen der Saison, sondern Komparsen für das „interkulturelle Training der U.S. Army”.
„Dari” oder „Paschtu” (zwei Sprachen Afghanistans) sprechende Personen als Statisten gesucht, alternativ Menschen mit Führungserfahrung und guten Englischkenntnissen als Supervisor – die Informationen im Inserat waren dürftig. Entsprechend zusammengewürfelt wirkt der Haufen, der sich morgens im Saal „Monet” des Hotels zusammenfindet. Männer wie Dirk, der zur Zeit ohne Arbeit ist. Neben ihm sitzt ein gemütlicher älterer Herr aus Indien, eher freundlicher Teppichhändler als grimmiger Taliban. Einige Frauen sind da, manche mit orientalischen Gesichtszügen, andere könnten als „Helga Mayer aus Mettmann” durchgehen.
Worum es geht, wissen die wenigsten
Der Kaffee ist umsonst, an einigen Tischen flackern Unterhaltungen auf, andere sitzen verschlossen da und warten auf den Beginn der Veranstaltung. Worum es geht, wissen die wenigsten. Einer glaubt, er sei auf einer Rekrutierungsveranstaltung und käme bald im Krisengebiet zum Einsatz. Dirk klopft ungeduldig mit seinem Stift auf den Tisch. „Wann geht's mal los?”
Irgendwann tritt ein bulliger Mann vor das Plenum und stellt Firma und Projekt vor. SST ist Vertragspartner unter anderem des Pentagons und stellt für dessen „Civilians on the Battlefield”-Programm (COB) Komparsen zur Verfügung. Zivilisten auf dem Schlachtfeld? Seit einiger Zeit setzen die US-Armee und ihre NATO-Verbündeten viel Geld und Mühen ein, ihre „Jungs” fitter für den Einsatz an den Brandherden der Welt zu machen. Und weil nichts so schlecht beim Wähler ankommt wie tote Zivilisten, wird gerade dem Umgang mit der Zivilbevölkerung erhöhtes Augenmerk geschenkt. „Gute Sache”, kommentiert Dirk.
Bevor Soldaten also nach Afghanistan, den Irak oder ins Kosovo aufbrechen, trainieren sie den Ernstfall auf Übungsplätzen wie dem bayerischen Hohenfels. Ganze Dörfer gibt es dort, Kulissen für jedes denkbare Kriegsszenario. Diese Requisiten aber zum Leben zu erwecken, soll Aufgabe der Komparsen sein. „Sie spielen den Dorfbürgermeister, den Kaffeehausbesitzer, den Taxi–Fahrer und den Passanten”, erklärt der Referent von SST. „Die Bad-Guys spielen die Amis selbst”, ergänzt er und meint damit „Taliban und andere Terroristen”.
Schlecht bezahlt ist der Job auch nicht
Damit's möglichst realistisch wirkt, werden für die Szenarien Muttersprachler gesucht. Schlecht bezahlt ist der Job auch nicht. Die Tagessätze liegen zwischen 90 und 130 Euro. „Völlig okay”, urteilt Dirk, und beginnt den Bewerbungsbogen auszufüllen. Lebenslauf, persönliche Daten, dass er auch einem umfassenden Sicherheits-Check durch das US-Verteidigungsministerium zustimmen muss, stört ihn nicht weiter. „Die wissen doch eh' alles”, wiegelt er ab.
Andere Bedingungen kommen weniger gut an. Die Reise nach Hohenfels ist wie ein Trip in ein schwarzes Loch. Besuche sind verboten, Telefon auch – „militärisches Sperrgebiet”. Doch Dirk braucht Geld, da nimmt man einiges hin, auch 30 Nächte im Etagenbett einer Armeekaserne. „Und wenn die Amis dafür einen Zivilisten weniger umballern, habe ich sogar ein gutes Werk getan.” Er klingt, als würde er das glauben.