Bochum. . Nadina Eichenauer, Schülerin des Theodor-Körner-Gymnasiums, war für ein halbes Jahr in Kanada. Ihre Entscheidungsfindung hat ein Jahr gedauert.
Das „Handbuch Fernweh“ liefert klare Zahlen. Im Schuljahr 2013/2014 haben 18.850 deutsche Schülerinnen und Schüler an einem mindestens dreimonatigen Gastfamilienaufenthalt mit Besuch einer öffentlichen Schule teilgenommen. Nadine Eichenauer (16) ist eine von ihnen. Die Schülerin des Theodor-Körner-Gymnasiums war für ein halbes Jahr in Kanada. Redakteur Markus Rensinghoff sprach mit ihr darüber.
Ein halbes Jahr waren Sie raus aus dem normalen Schulalltag. Ist das bei G8 nicht ein Problem?
Nadine Eichenauer: Das halbe Jahr hat mich schulisch nicht zurückgeworfen. Ich fühle mich im Gegenteil jetzt deutlich wohler, englisch zu reden. Es war schön, andere Lebenswege und Lebensweisen kennenzulernen.
Die meisten Schüler wählen als Ort für ihren Austausch die USA. Warum haben Sie sich für Kanada entschieden?
Eichenauer: Das hat schon ein bisschen gedauert, das war nicht von vorneherein meine Wahl. Aber es war traumhaft, so wie man es aus Filmen kennt. Mit einem gelben Schulbus, Spinden. Meine Gasteltern waren toll, sie haben sich bemüht, mir viel vom Land zu zeigen. Ich habe von Kanada mehr gesehen, als ich bislang von Deutschland gesehen habe. Es war ein fünfmonatiges Erlebnis mit Spracheffekt.
Wie verlief überhaupt Ihre Entscheidungsfindung?
Eichenauer: Sie hat gedauert. Alles in allem ein Jahr. Auslöser, mich mit einem Schüleraustausch zu befassen, war ein Fernsehbericht. Da ging es um ein Mädchen, das in Kalifornien war. Danach habe ich angefangen mich intensiv und umfassend zu informieren. Unter anderem habe ich auch die Jugend-Bildungsmesse besucht, die jedes Jahr in Bochum stattfindet. Ich hatte vier Interviews mit Anbietern von Austauschprogrammen. Erst danach habe ich mich entschieden.
Bewusst für nur ein halbes Jahr?
Eichenauer: Meine erste Idee war es, für ein Jahr zu gehen. Ich wollte aber nicht ein Jahr an der Schule wiederholen.
Als Tipp für andere junge Menschen: was sollte man als Austauschschüler unbedingt vermeiden?
Eichenauer: Man sollte nicht mit dem Kopf in der Heimat bleiben. Am besten, man schaltet WhatsApp komplett aus. Sich komplett auf das Gastland einzulassen, ist schöner. Da muss man auch keine Angst haben, gute Freunde in der Heimat zu verlieren. Durch den Abstand, den man auch räumlich gewinnt, merkt man, wer wirklich ein guter Freund, eine gute Freundin ist. Von einigen entfernt man sich, die melden sich dann nicht mehr. Einige „echte“ Freunde haben für mich bei meiner Rückkehr eine Überraschungsparty organisiert.
Und was sollte man unbedingt ausprobieren?
Eichenauer: Alles. In Kanada gibt zum Beispiel eine Tradition, am 1. Januar verkleidet ins Meer zu springen. Im Grunde kein Problem. Als ich es gemacht habe, waren es aber minus 21 Grad. Mit meinem Sprung habe ich es dann aber sogar auf die Titelseite einer örtlichen Tageszeitung geschafft.
Die USA bleiben das beliebteste Ziel
Seit mehr als zehn Jahren richtet der Bildungsberatungsdienst Weltweiser eine Jugendbildungsmesse aus. Inzwischen finden bundesweit 30 Messen statt, regelmäßig im Oktober auch eine in Bochum. „Das hat sich ständig gesteigert“, sagt Bildungsberaterin Hanna Grohmann. „Der Bedarf, das Interesse an Infos zu kommen ist sehr groß.“
7000 Schüler jährlich
Die Zahl an Unternehmen, die Schüleraustausch anbieten ebenso. Auf mehr als 90 beziffert Grohmann sie. Da fällt die Auswahl schwer. Beim Gastland dagegen ist die Verteilung eindeutig. Das mit Abstand beliebteste „Land“ ist die USA. Etwa 7000 deutsche Schülerinnen und Schüler wohnten im Schuljahr 2013/14 für fünf oder zehn Monate in einer amerikanischen Gastfamilie und besuchten eine öffentliche Schule. Dahinter folgen Kanada, Australien, Neuseeland und als erstes europäisches Land Großbritannien.
Weiblich dominiert
Unverändert ist zudem, dass der mehrmonatige Schüleraustausch eindeutig weiblich dominiert ist. Knapp zwei Drittel aller Programmteilnehmer sind Mädchen. Dieses Verhältnis ist in den letzten Jahren so gut wie konstant geblieben. Rückläufig aber sind die Teilnehmerzahlen. Sie gingen im dritten Jahr in Folge zurück, so dass sie sich jetzt auf dem Niveau des Schuljahres 2008/09 befinden. „Der Grund hierfür ist sicher die Schulzeitverkürzung im Zuge der Umstellung von G9 auf von G8“, sagt Grohmann. „Sie hat bei Jugendlichen, Eltern und Lehrern zu erheblichen Unsicherheiten geführt.“
Wer sich allerdings einmal entschieden hat und vor Ort ist, bleibt es auch in den allermeisten Fällen. Nur rund zwei Prozent aller Teilnehmer brechen aus den unterschiedlichsten Gründen ihr Programm freiwillig ab“, sagt Grohmann. „Ein Prozent der Schüler wird aufgrund von Verstößen gegen die Gesetze des Gastlandes oder die Richtlinien ihrer Austauschorganisation zum Teil schon nach wenigen Wochen zwangsweise zurück nach Deutschland befördert. Die Gründe hierfür sind vor allem im Bereich Alkohol und anderen Drogen zu finden. Darüber hinaus müssen noch weitere 0,5 Prozent aller Austauschschüler aufgrund von Essstörungen vorzeitig zurückkehren, unter ihnen in der übergroßen Mehrheit Mädchen.“