Bochum/Münster. Seit dem Wintersemester dürfen Dozenten Studenten keine Anwesenheitspflicht mehr auferlegen. Doch viele hielten sich nicht daran, klagen Studenten.

Studentenvertreter in NRW schlagen Alarm: Sie werfen Professoren und Dozenten vor, das seit Oktober geltende Verbot von Anwesenheitspflicht in Lehrveranstaltungen bewusst zu umgehen oder zu ignorieren.

"Leider müssen wir konstatieren, dass sich über das grundsätzliche Verbot von Anwesenheitspflicht regelmäßig hinweggesetzt wird", schreiben die Vertreter der Allgemeinen Studierendenausschüsse (AStA) der Ruhr-Uni Bochum, und der Hochschule für Gesundheit und der Universität Münster in einem offenen Brief an die Universitätsleitungen.

Ausnahmen für Sprachkurse und Laborübungen

Seit Beginn des Wintersemesters 2014/15 dürfen NRW-Hochschulen grundsätzlich nicht mehr von Studenten verlangen, in Lehrveranstaltungen anwesend zu sein. Bis dahin war die regelmäßige Teilnahme an Lehrveranstaltungen häufig notwendig gewesen, um zur Prüfung zugelassen zu werden.

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Das Hochschulzukunftsgesetz, das das Aus der Anwesenheitspflicht besiegelt hat, sieht allerdings Ausnahmen vor, etwa für Sprachkurse, Exkursionen oder bei Laborübungen. "Überall dort, wo Studierende das Lernziel einer Lehrveranstaltung nur dann erreichen können, wenn sie tatsächlich an der Lehrveranstaltung teilgenommen haben", wie es auf der Website des NRW-Wissenschaftsministeriums heißt.

Studenten sollen Anwesenheitspflicht melden

Nach Ansicht der Studentenvertreter nutzen viele Dozenten diese Ausnahmen, um die Anwesenheitspflicht in ihren Veranstaltungen zu rechtfertigen. So sei beispielsweise an der Universität Paderborn eine Vorlesung zur praktischen Übung umdeklariert worden. "Mitunter sind die Verantwortlichen sehr einfallsreich, wenn es darum geht, die eigenen Veranstaltungen zu Ausnahmen vom Verbot der Anwesenheitspflicht zu erklären", heißt es in dem Schreiben wörtlich.

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An mehreren Universitäten haben Studentenvertreter deshalb Erhebungen gestartet, um herauszufinden, in welchen Lehrveranstaltungen zu Unrecht eine Anwesenheitspflicht besteht. Studenten können solche Veranstaltungen online melden. Die Studentenvertreter würden die Dozenten dann "nochmals an die geltende Rechtslage erinnern", wie der AStA der Universität Duisburg-Essen mitteilt.

Einige Dozenten stellen sich stur

120 Fälle seien bislang von Studenten gemeldet worden, sagt AStA-Vorsitzende Julia Wenzel. Einige davon seien "Graubereiche", etwa Sprachpraxiskurse in Fremdsprachen-Studiengängen. Dozenten würden diese als Sprachkurse deklarieren, was aber nicht im Sinne des Gesetzes sei.

Die Reaktion der Dozenten teilt sie in drei Gruppen: Die meisten seien sehr kooperativ und hätten die neue Rechtslage tatsächlich nicht gekannt. Einige würden sich auch das AStA-Schreiben einfach gar nicht melden und einige stellten sich stur. Solche Fälle reichen die Studentenvertreter ans Uni-Rektorat weiter. Die letzte Eskalationsstufe - die Einschaltung des Wissenschaftsministeriums - sei bislang noch nicht erreicht worden. "Wir versuchen immer, die Fälle Uni-intern zu klären", sagt Wenzel.

Dozenten beklagen "Denunziantentum

Ähnliche Erfahrung hat Moritz Fassabend, Referent für Hochschulpolitik an der Ruhruniversität Bochum gemacht. Die meisten Meldungen, so schildert er, gebe es bei den Geisteswissenschaftlern: Sozialwissenschaften, Anglistik, Germanistik. Aber auch in Bochum hätten die meisten Dozenten mit Verständnis auf den AStA-Brief reagiert. Allerdings hätten sich auch Dozenten über das "Denunziantentum" beklagt.

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Der Bochumer AStA habe Studenten angeboten, sie im äußerten Fall bei einer Klage gegen die Uni zu unterstützen. Doch dazu sei es bislang nicht gekommen. "Von den meisten Studenten habe ich nichts mehr gehört, nachdem wir die Dozenten angeschrieben haben", sagt er, deshalb gehe er davon aus, dass die Angelegenheiten abgeschlossen seien.

Wer entscheidet über Anwesenheitspflicht?

In welchen Lehrveranstaltungen ausnahmsweise eine Anwesenheitspflicht herrschen darf, entscheidet der jeweilige Fachbereichsrat in der Prüfungsordnung eines Studiengangs. Die Studenten haben dabei ein Mitspracherecht: Das Vorschlagsrecht für Prüfungsordnungen liegt bei den neuen Studienbeiräten. Diese sind zur Hälfte mit Studentenvertretern besetzt.

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Das Aus der Anwesenheitspflicht hatte unter Professoren und Dozenten zu großem Unmut geführt. Er und seine Kollegen seien "in höchstem Maße empört", sagte der Bochumer Germanistik-Professor Benedikt Jeßing kurz nach der Entscheidung gegenüber Spiegel Online. Sie fürchteten eine Entwertung ihrer Arbeit. Der Düsseldorfer Sozialwissenschaftler Heiner Barz sprach gar von einer "Sabotage der Hochschullehre".

Auf Seiten der Studenten war das Gesetz hingegen überwiegend begrüßt worden. Die Landesregierung begründete es damit, Studenten mit Kindern und einkommensschwache Studenten, die neben dem Studium jobben müssen, nicht benachteiligen zu wollen. Zudem sei zu vermuten, so die offizielle Gesetzesbegründung, dass "eine qualitativ hochwertige Lehre eine Anwesenheit der Studierenden von selbst bewirken wird".