Bochum. . Der Bochumer Martin Christ begleitet bei der WM in Brasilien die deutsche Elf mit der Kamera. „Die Mannschaft“ zeigt die Geschichte vom vierten Stern.
Gefragt nach seinem emotionalsten Moment dieses Turniers muss Martin Christ nicht lange überlegen: die 113. Minute im Maracana. Zwar auch, aber nicht nur, weil Mario Götze die DFB-Elf mit seinem Tor zum 1:0 gegen Argentinien in Führung bringt. Ekstase unter den deutschen Anhängern auf der Tribüne im Stadion von Rio de Janeiro. Christ springt auf, wie alles rechts und links von ihm, und denkt nicht mehr an seine Kamera, die er unter dem Klapp-Sitz in Sicherheit hatte bringen wollen. Nur noch Schrottwert hat die, als sich der Jubel gelegt hat. Ein paar Meter weiter sieht Christ einen Mann mit zwei Leicas, borgt sich die und kann so doch noch die Bilder einfangen, wie sich das Team, wie sich Deutschland freut über den vierten Stern.
Zu sehen ist das im Film „Die Mannschaft“, der den Weg zum Titel aufzeigt und dabei dezent auch hinter die Kulissen blickt. Angelaufen ist das Werk erst am 13. November in den Kinos, schon am Freitag, 2. Januar, läuft der Film um 20.15 Uhr als TV-Premiere in der ARD. Deutschland wird noch einmal Anteil nehmen am WM-Sieg. Martin Christ hat die Kamera gelenkt und mit Regie geführt. Noch immer denkt der 45-Jährige, der mittendrin statt nur dabei war, an diese 113. im Maracana und die Minuten danach bis zum Schlusspfiff: „Diese ganze Anspannung - als die abgefallen ist und sich alle in den Armen lagen, das war großartig, das war gigantisch.“
Spots mit Sönke Wortmann, Clips für Sponsoren, Trailer für die Homepage
Christ, seit frühester Kindheit Fan des VfL, sieht sich als „Bochumer Jungen“, obwohl er mittlerweile mit seiner Frau und zwei Töchtern in Köln lebt. Dabei ist der 45-Jährige - und das hat er mit Herbert Grönemeyer, einem weiteren prominenten „Sohn“ der Stadt gemeinsam - in Göttingen geboren. Als Einjähriger kommt Christ mit der Familie nach Harpen, der Vater hat einen Job an der Ruhr-Uni gefunden. Die Maischützenschule besucht er, am Gymnasium am Ostring macht er sein Abitur und beginnt nach dem Bund ein Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften in Bochum. Es folgen diverse Praktika und Jobs als Kamera-Assistent, mit denen sich Christ sein Studium finanziert. Irgendwann wird die Arbeit wichtiger und das Studium immer nebensächlicher. „Mir fehlte nur die Abschlussarbeit“, sagt der 45-Jährige, der sich schließlich als Kamera-Mann selbstständig macht. Er dreht Musikvideos etwa mit Secret Discovery oder den Guano Apes und Werbespots, mittlerweile längst auch aufwändige Dokudramen etwa über Konrad Adenauer oder Alexander den Großen für diverse Fernsehsender.
Der Kontakt zum DFB entsteht über Vitamin B: Uli Voigt, in der Medien-Abteilung des Fußball-Bundes für bewegte Bilder zuständig, kennt Martin Christ schon lange und holt ihn schon 2010 zur WM nach Südafrika. Da dreht der 45-Jährige unter anderem Pool-Material aus dem Team-Quartier, das dann an Agenturen und TV-Sender verteilt wird. 2012 begleitet der Bochumer dann die gesamte Europameisterschaft mit der Kamera. „Vom Typ passte ich da wohl rein“, glaubt Christ, der danach Spots mit Sönke Wortmann filmt, Clips für Sponsoren oder Trailer für die Homepage des DFB. „Die Mannschaft“ wird Christs bislang größtes Projekt für den Fußball-Bund. Schon während der Qualifikation und im Vorbereitungslager in Südtirol ist er Teil des Teams. Christ filmt Ausflüge und teambuildende Maßnahmen. „Ein Tag Pause und dann ging es los nach Brasilien direkt ins Campo Bahia“, den Ausgangspunkt des Triumphs. „Das war wirklich abgeschieden“, erinnert sich Christ, „da war absolute Ruhe.“ Ein Gegensatz zur Größe und zum Lärm des Landes: „Ich hatte jeden Tag die Kamera im Einsatz, aber die Reisen, das waren die eigentlichen Strapazen.“
Intime Einblicke dürften von einem vom DFB produzierten Film nicht zu erwarten sein, aber Christ ist den Spielern nahe gekommen. „Manche sind zurückgezogener, manche offener. Miro Klose hat sich oft mit uns unterhalten.“ Gibt es Berührungsängste zwischen den Spieler und der Kamera und dem Mensch dahinter? „Das ist eine Generation, die machen ständig selber Selfies“, winkt Christ ab und spricht von einer „gesunden Distanz“ zu den Kickern. Einigen Spielern hat der 45-Jährige nach dem Turnier Szenen aus dem fertigen Film vorab gezeigt. Ergebnis: keine Beanstandungen. Aber ein Thomas Müller im Dirndl taugt auch nicht wirklich zum Skandal.
„Spätestens da war ich Weltmeister, das ist ein großartiges Gefühl gewesen“
Christ hat Momente hautnah erlebt, die wird er noch seinen Enkeln erzählen - wie das Halbfinale gegen Brasilien in Belo Horizonte: „eine irre Atmosphäre.“ Beim 1:0 jubeln sie, beim zweiten Tor auch, das dritte und vierte Tor gegen den Rekordweltmeister geben dem Spiel allmählich irreale Züge. Christ und sein Team spüren die Trauer im Stadion. „Kommt Jungs, es reicht doch“, denken sie mit Blick auf die DFB-Elf im Rausch. Den Jungs auf dem Rasen reicht es da noch lange nicht.
Nach dem Ende des Turniers und der Rückkehr der Weltmeister hat Christ 25 Stunden Film im Kasten. Die drei Regisseure Christ, Uli Voigt und Jens Gronheid, der den Film auch geschnitten hat, verbarrikadieren sich zehn Tage lang in einer Wohnung in Bonn und stutzen das Rohmaterial auf eine Laufzeit von 90 Minuten. Zufrieden mit dem fertigen Werk? „Ja sehr“, antwortet Christ, „aber was mir fehlt, sind die Bewegtbilder von Angela Merkel und Joachim Gauck.“ Die ließ das Protokoll letztlich keinen Einzug in „Die Mannschaft“ halten.
Christ spricht oft davon, wie gut das Vertrauensverhältnis zwischen ihm, dem DFB-Tross, den Kickern und der Nationalmannschafts-Führung ist. Als Basis der Zusammenarbeit. Es könnte, glaubt der 45-Jährige, bei der nächsten Europameisterschaft 2016 eine Fortsetzung geben. Nur vergleichbar mit diesem Turnier, mit diesen Erlebnissen wird nichts mehr werden. 50 Tage hat Christ mit dem Team verbracht: „Das schweißt zusammen.“ Am Tag nach dem Finale hat auch der Bochumer eine Medaille von Jogi Löw und Oliver Bierhoff überreicht bekommen: „Spätestens da war ich auch Weltmeister“, erzählt Christ und lacht, „das ist ein großartiges Gefühl gewesen.“ Eins, das bleibt.