Bochum. Täglich landen tonnenweise Lebensmittel im Müll. Muss nicht sein, meinen die “Fair-Teiler“ – und starten in immer mehr Städten Foodsharing-Projekte.
Kisten mit frischen Pilzen, Rosenkohl, Salat und Zitronen stehen in einem Regal vor dem Wohnzimmer Alsenstraße. Umweltbewusste Bürger haben sie dort hingestellt. Kurze Zeit später kommen die ersten Abholer: Der Besitzer des Kiosks gegenüber, eine alte Dame, eine Mutter mit Kinderwagen.
Es ist Freitagmittag. Gerade hat der Wochenmarkt geschlossen. Und das wissen diejenigen, die sich hier regelmäßig etwas Frisches mitnehmen. Das Obst und Gemüse, das sie hastig in Tüten verstauen, wollte auf dem Markt niemand kaufen. Hätten die Bochumer „Foodsharer“ es nicht hergebracht, würde es wohl weggeworfen.
Im offenen Wohnzimmer, einem alternativen Aktionsraum für die Nachbarschaft, gibt es zusätzlich einen Kühlschrank, in dem Verderbliches lagert. Eine große Garage mit noch mehr Lebensmitteln ist zu bestimmten Zeiten geöffnet. Regelmäßig treffen sich die Bewohner der Alsenstraße auch zum gemeinsamen Kochen.
Mitgründerin kommt aus der Container-Szene
Abseits großer Städte wie Köln waren die Bochumer in dieser Form von Lebensmitteltausch Vorreiter für die Region. Inzwischen gibt es im Ruhrgebiet rund zehn eingetragene Fair-Teiler. Anstoß in Bochum gab Lisa Francke: Die Studentin der Psychologie hat vor allem ein ökologisches Interesse daran, den nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln zu fördern. „Zwei Jahre lang habe ich mich aus Containern von Supermärkten ernährt“, erzählt sie. Als Statement – finanzielle Gründe hätten dabei nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Im Sommer sei das schwer gewesen. Aber einen ganzen Winter, rund vier bis sechs Monate, hat Lisa Francke ausschließlich von den Abfällen der Supermärkte leben können. „Damals kam immer das auf den Tisch, was ich gerade gefunden habe“, erinnert sie sich.
Durch Foodsharing kann sich die Studentin heute das Konsumverhalten leisten, das sie immer anstrebte: „Von dem Geld, das ich durchs Teilen und Tauschen von Lebensmitteln spare, kaufe ich hochwertige Produkte auf dem Markt oder im Bioladen.“
Supermärkte fürchten Mehraufwand
Nach einem erfolgreichen Jahr hat Foodsharing Bochum dutzende ehrenamtliche Helfer gewonnen. Das Projekt kooperiert mit rund 15 Betrieben – darunter Supermärkte, Höfe und Bäcker. Die wurden einfach von Lisa Francke und ihren Kollegen gefragt. Einige hätten das Projekt sofort super gefunden, andere wollten sich nicht beteiligen. Ein Problem, das Filialleiter abhält, sei der zusätzliche Aufwand. „Die Lebensmittel, die sonst unsortiert auf dem Müll landen, müssen nun in den Supermär kten noch einmal durchgesehen, das Brauchbare muss herausgesucht werden.
Um für die positiven Seiten des Projekts weitere Nutzer und Anbieter zu werben, kochen die Foodsharer zum Beispiel auf Stadt- und Straßenfesten. Dann gibt es Gerichte, die nur aus geteilten Zutaten bestehen.
Auch Nachbarn legen Übriggebliebenes ins Regal
Auch Nachbarn legen ab und zu etwas ins Regal, was sie nicht benötigen, oder was ihnen selber nicht gut schmeckt. Dass die Produkte genießbar und offensichtlich frisch sein müssen – dass zum Beispiel keine lose abgepackte Wurst in den Kühlschrank kommt – versteht sich von selbst. So gibt es fast täglich frisches Essen in der Alsenstraße.
Und anders als bei der Tafel darf das jeder mitnehmen. „Es geht in erster Linie darum, dass das Essen nicht weggeschmissen wird“, erklärt Lisa Francke. Trotzdem möchte die Foodsharing-Truppe auch, dass etwas bei Bedürftigen ankommt. Deshalb hat sie eine zweite Station im Familienzentrum in Stahlhausen eingerichtet, „um die Verteilung zu dezentralisieren“.
Lisa Francke tauscht sich regelmäßig mit Foodsharing-Projekten in Nachbarstädten aus. Da bewege sich viel, auch wenn einige gerade erst anfangen. Nach dem Bochumer Vorbild ziehen die Asten (Studenten-Ausschüsse) verschiedener Universitäten, Kulturzentren, alternative Läden und auch Privatleute nach. Ein paar Verteiler sind bereits im Internet eingetragen. Genauere Informationen zu den Adressen, Regeln und Abholzeiten finden Interessierte auf www.lebensmittelretten.de
Diese Fair-Teiler gibt's im Ruhrgebiet schon:
- AStA der Uni Duisburg-Essen, Forsthausweg in Neudorf, neben Raum LF025
- AZ Mülheim, Auerstraße 51
- Druckertankstelle Essen, Klarastraße 53
- Uni Essen, AStA-Flur vor Raum T02 S00 K15,
- Wohnzimmer Alsentraße Bochum, Alsenstraße 27
- TU Dortmund, beim AStA, Emil-Figge-Straße 50
- "All You Can Miet" Dortmund, Brückstaße 20-26
- „Wir am Neumarkt“ Dortmund, Hörder Neumarkt
- BHB-Laden Voerde, Poststraße 43
Mundraub, Foodsharing, Food-Swap – Nachhaltigkeit ist Trend
Nicht nur im Rahmen lokaler Projekte ist Nachhaltigkeit inzwischen Trend: Wer möchte mit mir gemeinsam Kochen? Wo bekomme ich kleine Mengen vom exotischen Gewürz für das indische Lieblingsgericht? Und wo kann ich kostenlos ernten? Für alle Varianten des bewussten Umgangs mit Essen gibt es Internet-Plattformen, auf denen sich Menschen austauschen und verabreden.
Essenskörbe zum Abholen: www.foodsharing.de
Das Portal gibt Privatpersonen, Händlern und Produzenten die Möglichkeit, überschüssige Lebensmittel kostenlos anzubieten oder abzuholen. Nutzer geben an, was sie übrig haben. Sie erstellen einen virtuellen Essenskorb. Der Inhalt kann bei ihnen zuhause oder an öffentlichen Stationen abgeholt werden. Die Grundidee: Menschen teilen Essen. Dabei soll kein Geld fließen, denn „teilen habe auch eine ethische Dimension“, heißt es auf der Seite. „Wir wollen den Lebensmitteln damit wieder einen ideellen Wert geben.“
Die Selbermacher – eine Hamburger Idee: www.food-swap.de
Bei den Portal-Betreiberinnen Yelda Yilmaz und Swantje Havermann dreht sich alles um „handgemachte Leckereien“. Wer selber Marmeladen, Aufstriche, Gebackenes, eingemachtes Obst und Gemüse, Käse, Honig oder Liköre herstellt, ist beim Food-Swap richtig. Teilnehmer tauschen und genießen Mitgebrachtes in entspannter Atmosphäre. Es geht ums Kennenlernen, den Austausch von Rezepten und die gemeinsame Begeisterung fürs Selbermachen. „Gleichzeitig wollen wir regionale und saisonale Speisen und Lebensmittel ins Bewusstsein rufen“, so die Betreiberinnen der Seite. Im Netz können sich Selbermacher anmelden. Voraussetzung: Mindestens fünf Portionen vom eigenen Produkt für die Gemeinschaft mitbringen.
Die Obstlandkarte: www.mundraub.org
Die Mundräuber möchten „in Vergessenheit geratene Früchte wieder in die Wahrnehmung rücken und in Wert setzen“. Auf dieser Internet-Plattform können Nutzer die Standorte von Obstbäumen, Sträuchern und Kräutern an öffentlich zugänglichen Orten angeben. Auch Verwaltungen stellen zukünftig Daten zur Verfügung. Ebenfalls erwünscht ist, dass hier private Eigentümer und Unternehmen ungenutzte Ressourcen teilen. Zum Konzept gehören klare Regeln: Wer erntet muss sich das Eigentumsrecht beachten und beim Ernten auf die Umwelt Rücksicht nehmen.