Bochum. Im zweiten Teil des Interviews spricht Ilja Kaenzig über das Budget des VfL Bochum, Risiko, den aktuellen Kader und Pyrotechnik.

Ilja Kaenzig nahm sich vor dem Start in die Bundesliga-Saison, die vierte in Serie für den VfL Bochum, viel Zeit. Er sprach im Interview darüber, wie sich der VfL Bochum künftig ohne einen Sport-Geschäftsführer nach dem Rücktritt von Patrick Fabian aufstellen wird. Außerdem gab er Einblick, warum der VfL Bochum künftig Spieler für viel Geld verkaufen möchte und was dafür nötig ist. All das lesen Sie im ersten Teil unseren großen Interviews. Im zweiten Teil geht es um den aktuellen Kader des VfL, das Spiel gegen RB Leipzig und seinem Standpunkt zum Thema Pyrotechnik.

Pokal-Schock für den VfL: Was das Aus bedeutet

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    Der VfL Bochum schreibt Rekordzahlen bei Reichweite, Mitgliedern, Merchandising. Warum geht das Budget nicht hoch im vierten Jahr Bundesliga?

    Das ist komplex. Kurz gesagt: Einige Spieler, die wir neu verpflichtet haben, waren international begehrt, sind im besten Alter wie Dani de Wit und Ibrahima Sissoko und daher teurer als Spieler, die wir schon vor zwei, drei Jahren geholt haben. Unser Lizenzetat beträgt wie im Vorjahr 41 Millionen Euro. Wir investieren jedes Jahr in die Modernisierung des Klubs. Wir haben wieder eine U21 am Start, wir investieren noch mehr in das Talentwerk, wir müssen die Infrastruktur verbessern. Das sind mehrere Millionen Euro jedes Jahr. Wir können nicht unser gesamtes Geld in die Mannschaft stecken und alles andere ignorieren. Das gab es schon mal mit dem Ergebnis, dass man zwischenzeitlich finanziell am Boden war und sportlich nicht mehr konkurrenzfähig. Heutzutage muss der gesamte Verein auf Spitzenniveau funktionieren, um in der Bundesliga zu bleiben. Zudem dürfen wir nicht vergessen, dass wir noch einen ehemaligen Trainer bezahlen müssen. All das Geld, das wir haben, investieren wir. Und 41 Millionen sind ja auch ein ordentlicher Etat – das sind satte 70 Prozent mehr als im ersten Bundesligajahr!

    Die Stadionkapazität ist begrenzt. Ist der Wettbewerbsnachteil kompensierbar?

    Wir können das packen, müssen dafür aber in allen Bereichen sehr gut sein. Die Organisation muss wie eine gut geölte Maschine laufen. Dass es auch mit einem kleinen Stadion funktionieren kann, sieht man am Beispiel Stade Brest in Frankreich. Oder am SC Freiburg zu Zeiten des Dreisamstadions.

    Oft wird gefordert, Bochum müsse mehr ins Risiko gehen, Schulden machen.

    Das ist verrückt. Ohne jegliche Absicherung, denn in Bochum gibt es keine Mäzene, die einen retten würden. Wenn die Wette auf Erfolg verloren wird, stürzt der VfL ins Bodenlose. Daher noch mal: wir wollen und müssen die Transfererlöse steigern. Allein wenn man sieht, was der FC Augsburg für Spieler eingenommen hat. So hat es bei Leverkusen übrigens auch angefangen. Die mussten erst einen Spieler teuer verkaufen (Kai Havertz für rund 80 Millionen 2021, die Redaktion), damit sie sich dann Schritt für Schritt ihren Meister-Kader zusammenstellen konnten.

    Kaenzig: „Wir haben fast das Maximum aus dem Budget herausgeholt“

    Entsprechend ist die Transferphase zu bewerten?

    Ja, es tut sich was. Die neuen Spieler sind im Schnitt deutlich jünger, haben großes Potenzial. Zudem entwickeln sich unsere Spieler wie Lukas Daschner, Matus Bero, Felix Passlack oder Maximilian Wittek weiter, sind jetzt Stammkräfte. Moritz-Broni Kwarteng ist quasi ein Neuzugang. Ich bin überzeugt, dass wir uns mit den Zugängen auf Strecke verbessert haben. Wir haben unsere Abgänge alle ersetzt, aus den 41 Millionen Euro fast das Maximum herausgeholt. Da hat Marc Lettau einen starken Job gemacht.

    Ilja Kaenzig kann von Dach seines Büros ins Ruhrstadion gucken.
    Ilja Kaenzig kann von Dach seines Büros ins Ruhrstadion gucken. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

    Abgesehen davon, dass man Bernardo nicht wie geplant verkaufen konnte bislang.

    Bernardos Ausfall ist bitter, ohne Frage. Deshalb haben wir mit Jakov Medic noch einen Innenverteidiger verpflichtet.

    Ist das der beste Kader seit dem Aufstieg?

    Es ist der reifeste und vielleicht interessanteste Kader. Kompromisse sind in unserer Wachstumsphase nötig, daher haben wir auch mit Leihen gearbeitet.

    Nicht einfacher geworden ist es durch das Pokal-Aus. Ein Fehlstart droht. Zeigt sich schon jetzt, ob es mit Peter Zeidler als Trainer funktionieren wird?

    Wir haben in der Vorbereitung gesehen, dass die Spieler die Idee des Trainers verstehen und sie umsetzen können. Der Trainer nennt das völlig treffend formuliert „Referenzspiele“, wie gegen Bologna und Le Havre. Das Pokal-Aus schmerzt natürlich sehr, vor allem emotional, der Magie des Pokals wegen, weniger wegen der Gelder, aber der neue Fußball des VfL ist gut und richtig. Wir müssen junge Spieler entwickeln, wir wollen aktiv spielen. Der Trainer ist perfekt dafür geeignet. Er ist kooperativ, kommuniziert herausragend, er schafft Ruhe. Er geht die Extra-Meile, die es bei uns braucht.

    Kaenzig: „Kollektivstrafen aufzusetzen, bringt nichts“

    Wird das am Samstag zum Bundesliga-Auftakt gegen RB Leipzig reichen? Immerhin treffen da Welten aufeinander. Hier ein Konstrukt mit Milliarden finanziert, dort der VfL Bochum.

    Solange wir mit solch einem Konstrukt in einer Liga spielen, ist alles gut. Das Konstrukt ist da und wird bleiben, damit müssen wir leben. Welten prallen aber in den meisten Fällen aufeinander, weil wir gegen teilweise im Vergleich zu uns gigantische Unternehmen in der Liga spielen. Dennoch ist es immer denkbar, dass wir punkten können. Das gilt auch für Samstag. Letztes Jahr haben wir 0:0 gespielt. So lange das möglich ist, lebt der Fußball.

    Die Ultras des VfL Bochum fahren nicht mit nach Leipzig. Haben Sie Verständnis?

    Die Fans haben eine Haltung und die zeigen sie damit. Das ist Teil der Fankultur. 

    Ilja Kaenzig (l.) und Sportdirektor Marc Lettau arbeiten vertrauensvoll eng zusammen beim VfL Bochum.
    Ilja Kaenzig (l.) und Sportdirektor Marc Lettau arbeiten vertrauensvoll eng zusammen beim VfL Bochum. © FUNKE Foto Services | Teresa Kröger/RHR-FOTO

    Und wie sieht es beim Thema Pyrotechnik aus?

    Bei uns ist Fußball Volkssport, und ins Stadion kommt ein Querschnitt des gesamten Volkes. Dabei sind auch Leute, die rebellieren. Die Vorkommnisse im Spiel gegen Leverkusen vergangene Saison, als ständig Pyrotechnik gezündet wurde in der Ostkurve, haben alle verärgert, da ist ein Teil der Anhänger über das Ziel hinausgeschossen. Es gab im Sommer eine Aussprache und ich glaube, dass es für unsere Ansichten großes Verständnis gab. Pyrotechnik ist Teil der Ultra-Subkultur. Es ist nicht erlaubt, das ist uns völlig klar, daher wir tun unser Möglichstes, um es zu verhindern. Und es gelingt uns auch sehr erfolgreich, aber eben nicht vollständig. Das gelingt niemandem. Es geht in dieser Kultur darum, Grenzen auszuloten. Daher würde aus meiner persönlichen Sicht auch die Legalisierung wenig bringen. Auch Kollektivstrafen aufzusetzen, bringt nichts. Der VfL wird das Problem nicht lösen können, was es in ganz Europa gibt, trotz massiver Investitionen in Technik und andere Maßnahmen. Und es soll jetzt bitte keiner kommen, das wäre eine Bankrotterklärung. Gerne erörtern wir jedem, was im Profifußball alles getan wird in puncto Pyrotechnik und Sicherheit! Mehr aber noch beschäftigt mich das Thema Gewalt in und um die Stadien herum. Das müssen wir im Profifußball endlich in den Griff bekommen.