Bochum.. Nicht nur die Bundesliga ist ein “Haifischbecken“ für die kleineren Revierklubs, auch beim harten Kampf um die “Generation Götze“ kann man von einem selbigen sprechen. VfL-Vorstand Jens Todt und Nachwuchsleiter Alexander Richter sprechen im Interview über das Werben um die Gunst der Talente.
Herr Todt, wenn der VfL einen neuen Spieler braucht,…
Jens Todt: Grundsätzlich gucken wir uns nur Spieler an, bei denen wir auch Chancen haben, sie zu verpflichten. Es bringt nichts, Scouts in die Bundesliga-Stadien zu schicken und sich dort die Top-Spieler auf die Liste zu schreiben.
Wenn nicht in der Bundesliga, wo gucken Sie sich dann ihre Spieler aus? Offensichtlich scouten Sie ja auch den asiatischen Markt.
Todt: Wir konzentrieren uns auf 2 und 3. Liga, Regionalligen und A-Junioren-Bundesligen. Zudem sind wir auch in Holland, in der Schweiz und Österreich unterwegs. In Japan scouten wir nicht systematisch. Diese exotischen Geschichten betrachten wir näher, wenn wir einen Tipp bekommen oder wir durch Zufall auf einen Spieler aufmerksam werden.
Definieren sie „Zufall“.
Todt: Ein Beispiel: Manchmal hast du einen alten Freund z.B. in Australien, der sich im Fußball gut auskennt und dir einen Hinweis gibt, mal dort ein bisschen zu gucken. Wenn man gute Erfahrungen mit dem Kontakt gemacht hat, informiert man sich genauer. Im Falle Japan habe ich mittlerweile sehr gute Kontakte, war auch schon ein paar Mal dort und deshalb rückt ein Land dann temporär in den Fokus. Das könnte aber in drei Jahren auch Algerien sein oder ein anderes Land. Bei diesen exotischen Lösungen können wir uns als Zweitligist keine Systematik leisten. Dazu fehlt uns der Mitarbeiterstab.
Japan ist aber längst kein Geheimtipp mehr.
Todt: Derzeit gucken alle nach Japan. Das ist momentan so ein kleiner Run. Aber die Karawane zieht auch da wieder weiter.
Brasilien scheint kaum noch ein Thema zu sein…
Todt: Der südamerikanische Markt ist fast tot. Auf Top-Niveau gibt es hier und da noch mal einen Transfer, z.B. holt Hoffenheim gerne Spieler aus Brasilien. Aber eigentlich findet das Scouting dort kaum noch statt, weil es sehr viele deutsche Talente gibt und ein Transfer aus Südamerika viele Risiken und Unwägbarkeiten birgt. Auch auf den Balkan-Markt schaut man kaum noch. Früher war das der Klassiker. Zweitligisten holen durchschnittlich gute Kroaten und füllen damit den Kader auf. Das passiert heute kaum noch.
Schlagen Sie sofort zu bei so einer Zufalls-Entdeckung?
Todt: Bevor wir Spieler extern sichten, gucken wir immer zuerst, was sich bei uns im Nachwuchs tut. Wir haben vor der Saison klar den Fokus darauf gelegt, unsere U17, U19 und U23 permanent zu sehen. Und dann muss man abwägen, ob man einen externen Spieler verpflichtet, oder den eigenen hochzieht. Option zwei ist unser bevorzugter Weg. Wir beobachten unsere Talente fortlaufend, sprechen viel mit den Trainern und fällen dann gemeinsam eine Entscheidung.
Wie genau läuft das Scouting bei den Profis ab?
Todt: Zu Beginn schauen wir uns unseren Kader an und überlegen, wo wir Bedarf haben und dann erstellen wir ein Profil, welche Qualitäten der Spieler mitbringen sollte. Danach sondieren wir den Markt. Natürlich beobachten wir die Kandidaten mehrfach - die Scouts, der Trainer und ich . Dann treffen wir eine Entscheidung.
Welche Rolle spielen zugespielte DVDs?
Todt: Sie stellen den ersten Einstieg dar. Das Videomaterial liefert einen ersten Eindruck, um zu sehen, wie sich ein Spieler bewegt. Aber DVDs können nie das Scouting ersetzen. Wie verhält er sich unter Druck, wann macht er mal Fehler - und dann müssen wir ihn natürlich persönlich kennen lernen. Dann bekommt man ein Gefühl für den Spieler. Natürlich sollte er auch charakterlich zum Verein passen, wobei die fußballerische Qualität natürlich an erster Stelle steht.
Und wie häufig treten Berater an Sie heran?
Todt: Jeden Tag. Mehrfach. Gerne auch abends (lacht).
VfL "stolz" auf 16 Spieler "aus dieser Gegend"
Wie ist denn die gesamte Scoutingabteilung des VfL aufgestellt?
Todt: Wir haben drei hauptamtliche Scouts im Profi-Bereich und drei nebenberufliche Honorarscouts. Für einen Verein in der zweiten Liga ist das sehr ordentlich, für einen Bundesliga-Verein ist es unterdurchschnittlich.
Alexander Richter: Im Nachwuchsbereich haben wir mit Marco Knoop einen fest angestellten Scout, der das allerdings in einer Doppelfunktion macht und noch Jugend-Torwarttrainer ist. Außerdem haben wir neun weitere Scouts, die auf Honorarbasis für uns unterwegs sind. Der Kreis Bochum ist der wichtigste Bereich für uns und dort gucken wir sehr gezielt für jüngere Jahrgänge. Je älter der Jahrgang ist, umso größer wird der Radius. Im Leistungsbereich – U17 bis U23 –auch über die NRW-Grenzen hinaus.
Welche Eigenschaften muss ein Scout mitbringen?
Richter: Erst einmal muss der Scout die Zeit aufbringen können, sich die Spieler anzugucken. Weil das ja ein Nebenberuf ist, ist das nicht immer so einfach. Wenn dann einer unserer Scouts sagt: „Ich habe da einen Spieler für euch, der für den und den Jahrgang von euch interessant ist!“, dann habe ich nicht die Zeit, mir diesen Spieler noch drei Mal anzuschauen. Ich muss mich auf seine Aussage verlassen können.
Wie hoch muss die Erfolgsquote eines Scouts sein bei diesen Anforderungen? Und was ist die Definition von Erfolg?
Richter: Wenn der Scout sich in zwei von zehn Fällen vertut, dann können wir damit leben. Der Scout muss Fußballsachverstand, Phantasie und Weitsicht mitbringen, um bei einem Talent einschätzen zu können, in welche Richtung er sich entwickelt.
Todt: Im jungen Alter gibt es viele Faktoren, die eine Entwicklung negativ beeinflussen können. Dessen sind wir uns bewusst.
Richter: Wenn wir einen Spieler für die U15 verpflichten und sich dieser dann über die anderen U-Mannschaften bis zu den Profis hochspielt: Das ist erfolgreiches Scouting.
Todt: Wenn es ein Jugendspieler bis in die Zweite Mannschaft, ist das immer ein Erfolg. Die Regionalliga weist ein hohes Niveau auf und dort kann man bereits von bezahltem Fußball reden. Ungeachtet dessen sind wir stolz drauf, dass wir in der laufenden Saison 16 Spieler unter Vertrag haben oder hatten, die aus dieser Gegend kommen – elf davon haben wir selbst ausgebildet. Das ist sehr viel.
Der VfL Bochum hat im vergangenen Jahr seine Nachwuchsabteilung neu strukturiert. Hat sich damit auch das Scouting verändert?
Todt: In den vergangenen Jahren hat sich Scouting enorm verändert.Weil zum einen alle Profi-Vereine mittlerweile auf junge Spieler setzen und zum anderen nahezu alle 16- und 17-JährigenVerträge und Berater besitzen. Deshalb rücken Spieler im Alter von 13, 14 Jahren stärker in den Fokus – auch wenn die sogar auch schon teilweise mit Berater ankommen.
Scouting ab und an auch "Marketing oder ein Gag"
Der FC Chelsea, Real Madrid oder Milan haben sogar schon Sechsjährige verpflichtet…
Todt: Wenn Real, Manchester oder Milan einen Sechsjährigen unter Vertrag nimmt, ist das meist Marketing oder ein Gag. Das Kind hat ja noch die Pubertät noch vor sich. Da kann keiner vorhersagen, was noch passiert - auch wenn es vielleicht ein talentierter Sportler ist. Wer behauptet, er kenne die Entwicklung, der lügt.
Wir haben über die Fähigkeiten der Scouts gesprochen, welche Fähigkeiten muss ein Nachwuchs-Kicker haben?
Richter: Unsere Scouts haben exakte Vorgaben, worauf sie achten müssen. Das ist zum einen die Technik, die der Junge mitbringen muss. Zum anderen ist es die Athletik. Taktische Sachen sind eher sekundär, denn das kann man relativ schnell lernen. Und nicht zu verachten ist auch die Persönlichkeit des Jungen. Wir arbeiten mittlerweile mit Fragebögen, um das herauszufinden, wie groß die Teamfähigkeit und wie groß der Wille ist, weiterzukommen. Wir kooperieren in diesem Zusammenhang mit dem Zentrum für Sportpsychologie an der Uni Bochum.
Wie genau läuft konkret ein erfolgreiches Scouting ab?
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Richter: Bei einigen Spielern ist man sich schon beim ersten Mal sicher, bei anderen muss man doch zwei, drei Mal beobachten, ob unsere Einschätzung wirklich stimmt. Dann nehmen wir Kontakt zu dem Verein auf. Gerade bei den kleinen Vereinen muss man das offen und transparent machen. Nicht, dass man die Jungs einlädt und der Verein weiß nichts davon. Dann kommt der Spieler mit Erlaubnis des Vereins zu uns ins Training, um den Vergleich zu unseren eigenen Jungs zu haben. Danach laden wir die Spieler mit den Eltern zu uns ein und erklären das gesamte Ausbildungskonzept und die Einbindung in den Verein - was wir erwarten und was wir bieten können. Und dann, wenn sich alle einig sind, kommt es zur Anmeldung.
Wahrscheinlich ist der VfL nicht immer der einzige Interessent. Was sind die Argumente, mit denen Sie einen Spieler an die Castroper Straße locken?
Richter: Wir argumentieren mit der Qualität und dem gesamten Konzept unserer Ausbildung. Bei der Zertifizierung durch den DFB haben wir uns kontinuierlich verbessert und gehören zu den zehn besten Nachwuchsleistungszentren in Deutschland. Unser Nachwuchsbereich ist gut aufgestellt, wir bieten hier eine Perspektive und unterstützen die Kinder, wo wir nur können - auch im schulischen Bereich.
Todt: Außerdem können wir unseren aktuellen Profi-Kader präsentieren und sagen, 'diese zwölf Spieler wurden von uns ausgebildet' - das macht natürlich Eindruck. Auch wenn wir den Eltern verdeutlichen, dass schon A-Jugendliche die Chance haben, bei uns in den Profi-Kader zu rutschen und mit den Bundesligaspielern mitzutrainieren. Das wird vor allem in ab der U15 interessant. Dann können wir argumentieren: 'Du kannst gerne zu Bayer Leverkusen gehen, oder zu Borussia Dortmund. Aber bei uns ist die Hürde, Profi zu werden, geringer als bei anderen Vereinen.'
Wie häufig hören Sie die Frage: Wann werde ich endlich Profi?
Richter: In der U17 bis zur U19 eigentlich selten. Das fängt dann erst in der U23 an. Dort wird es spannend für die Spieler, die sich dann durch Leistung anbieten wollen und müssen. Da werden die Jungs im positiven Sinne ein bisschen aufsässig.
Einige U19-Spieler haben aber sicherlich schon das Zeug zum Profi.
Todt: Das Niveau der U19 ist unglaublich hoch. Das ist gar kein Vergleich zu der Zeit, als ich noch in dem Alter war. Da hat sich in den vergangenen Jahren enorm viel getan. Die Vereine wurden gezwungen, was zu tun. Diese Vorgabe des DFB hat jetzt einen nachhaltigen Durchschlag. Die Anzahl der jungen deutschen Spieler ist massiv gestiegen in den Vereinen und das hat auch positive Auswirkungen auf die Nationalmannschaft.
VfL Bochum will "Win-Win-Situation" für alle Vereine
Vor dem VfL-Stadioncenter stehen drei große Bullis, mit denen Sie die jungen Spieler einsammeln – wie aufwendig ist die Tour durch NRW?
Richter: Wir holen zwar nicht alle Spieler ab, denn wir haben ja ein Internat, das wir noch vergrößern können - das gehört zur Gesamtkonzeption des Vereins. Aber tatsächlich fahren wir bis nach Olpe und Siegen, nach Neunkirchen und so weiter, um die Jungs einzusammeln. Der Zeitaufwand darf aber nicht zu groß werden, dann werden die schulischen Leistungen schlechter – damit wäre niemandem geholfen. Deshalb beschränken wir uns meistens bei den ganz jungen Spielern auf den Raum Bochum, Hattingen und Herne. Wir haben jetzt schon täglich 16 Shuttle-Touren zu den gesamten Trainingseinheiten, die 75 bis 80 Jungs einsammeln und zurückbringen. Dazu kommen noch viele, die mit Bussen und privaten PKWs unterwegs sind. Mittlerweile kommen Eltern zu uns und sagen: „Wenn unser Sohn abgeholt wird, wechseln wir zum VfL.“ Das scheint momentan eins der wichtigsten Argumente zu sein. Wir wollen das einschränken, aber müssen wegen dieser Nachfrage natürlich vorsichtig damit sein. Damit fangen wir allerdings erst ab der U15 ab - bis zur U19. Aber wir müssen den Jungs auch nicht alles hinterhertragen - die fünf Kilometer aus Herne kann man in dem Alter auch schon mal alleine schaffen.
Der VfL kooperiert seit geraumer Zeit mit mehreren kleinen Vereinen aus der Umgebung Bochums. Was verbirgt sich hinter dem Konzept?
Richter: Die Idee ist entstanden, als ich 2008 beim VfL angeheuert habe. Damals war es immer nur ein Nehmen des VfL. Der kleine Verein hat weder Geld noch Spieler bekommen, wenn sich der VfL ein Talent geholt hat. Also habe ich mich gefragt, was wir zurückgeben können. Das geht letztlich über Trainer- und Taktikschulungen bis hin zu Spielern, die in ihrer Entwicklung stagnieren. Die können sich dann in einem neuen Umfeld noch mal zeigen und wir behalten sie weiter im Auge. Außerdem bekommen wir von unseren Kooperations-Vereinen regelmäßige Rückmeldungen, wenn sich ein Spieler hervortut, der Potenzial für uns hat - eine Art "Vor-Scouting". Wir wollen letztlich eine "Win-Win-Situation" für alle Vereine.
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Todt: Die Kooperationsverein dürfen aber nicht ganz kleine Vereine sein, sondern sollten schon in ihrer Region auch Magnete für Talente sein. Und letztlich sollen die Vereine auch stolz sein, wenn sie sagen können, dass es jemand von ihnen zum VfL und vielleicht sogar bis zu den Profis geschafft hat.
Bei welchen Spielern haben Sie sich in der jüngeren Vergangenheit getäuscht in der Einschätzung der Fähigkeiten. Gibt es Spielern, denen Sie jetzt nachtrauern?
Todt: Wenn es solche Spieler gibt, würden wir es jetzt nicht zugeben (lacht).
Richter: Es gibt immer wieder Spieler, die wir abgegeben haben, wo verschiedene Faktoren dazu geführt haben. Dass wir Ilkay Gündogan gerne behalten hätten, ist kein Geheimnis. Den hatten wir an der Schwelle zum Profi, aber wir konnten ihn nicht mehr halten. Unter anderem war die Bindung zu seinem A-Jugend-Trainer Michael Oenning, der ihn nach Nürnberg gelost hat, zu stark. Bei Lukas Schmitz war es damals nicht absehbar, dass er so einen Leistungssprung macht. Bei uns war er häufig verletzt und der Vertrag lief aus. Dann kam das besser dotierte Angebot von Schalke.