Bochum. Michael Eckardt hat fassungslos den Abbruch gegen Mönchengladbach im Stadion erlebt. Er findet klare Worte: „Eckis“ Kolumne zum VfL Bochum.

Selten hat der VfL Bochum in so kurzer Zeit so positiv von sich reden machen können wie in den letzten knapp 22 Monaten. Zunächst war da der verblüffende Durchmarsch durch die Zweitliga-Spielzeit mit dem Aufstieg als verdienter und souveräner Meister.

Es folgten in der Beletage so begeisternde wie überraschende Auftritte vor allem im eigenen Stadion. Die Stimmung war fantastisch und wurde, nicht zuletzt auch von den Gegnern, in den höchsten Tönen gelobt. Auch dafür stand der VfL. Und als es sogar gelang, den großen FC Bayern aus den Angeln zu heben, schwappte eine Welle der Zuneigung und des Respekts über die Bochumer hinweg.

So etwas tut nicht nur unendlich gut, sondern ist auch beste Werbung für einen Verein, der genau das braucht, um sich nach einem quälend langen Jahrzehnt als Zweitligist perspektivisch wieder in der Bundesliga zu etablieren.

Der fatale Becherwurf: Eine Frage der Zeit

Alles lief nahezu perfekt, dann flog ein Becher. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Es waren sowohl im Spiel gegen Borussia Mönchengladbach als auch in anderen Begegnungen vorher bereits reichlich Becher geflogen. So gesehen war es nur eine Frage der Zeit, wann einer dieser schwer erziehbaren Pseudo-Erwachsenen auf den Tribünen, die sich, ihren Spieltags-Alkoholismus, ihre negativen Emotionen und leider auch ihre Hände nicht im Griff haben, mal jemanden da unten treffen würde.

Das ist nun geschehen, und von einer Minute auf die andere ist der komplette Imagegewinn dahin, steht der VfL für etwas ganz anderes - für Pöbeleien, Beleidigungen und physische Attacken von aggressiven Anhängern, die diese wohlwollende Bezeichnung in keinster Weise verdient haben. Skandal im Ruhrstadion, aus Hochachtung wird binnen Minuten Verachtung.

Haltung der Verantwortlichen des VfL Bochum ist vorbildlich

Gibt es in den Tagen danach überhaupt noch irgendetwas Positives zu berichten ? Probleme sind dazu da gelöst zu werden, heißt es doch. Fangen wir also mit der Haltung der Verantwortlichen nach Becherwurf und Abbruch der Partie an und sagen: Gottlob, alle haben bislang alles richtig gemacht. Ob Spieler, Trainer, Vorstand oder Aufsichtsrat, es herrschte über alle Ebenen hinweg Fassungslosigkeit, aber auch Einigkeit in der Bewertung des Eklats.

Jahrzehntelang hat Michael „Ecki“ Eckardt für die WAZ über den VfL Bochum berichtet. Nun hat er etwas Abstand, ist aber im Stadion dabei und schreibt einmal pro Monat eine Kolumne zum VfL Bochum: Eckis Einwurf.
Jahrzehntelang hat Michael „Ecki“ Eckardt für die WAZ über den VfL Bochum berichtet. Nun hat er etwas Abstand, ist aber im Stadion dabei und schreibt einmal pro Monat eine Kolumne zum VfL Bochum: Eckis Einwurf. © FUNKE Foto Services | ngo Otto

Da wurde nicht relativiert, nicht verharmlost und auch nicht versucht den Tabubruch klein zu reden. Die Statements waren allesamt eindeutig, die Empörung echt, die Entschuldigung in Richtung des betroffenen Schiedsrichter-Assistenten glaubhaft. So geht man damit um, wenn nicht der komplette Klub dauerhaft in Mithaftung gezogen werden soll.

Der VfL muss Konsequenzen ziehen

Aber so muss es auch weiter gehen, der VfL muss Konsequenzen aus diesem Fall ziehen. Alles was unser Rechts- und Sportrechtssystem an Sanktionen, Strafen und Kompensationsforderungen hergibt, muss erwogen und womöglich durchgesetzt werden, und was technisch möglich ist, um Gewalttäter künftig umgehend identifizieren zu können, sollte installiert werden. Das mag drastisch klingen, aber wie anders soll man den Feinden des Fußballs, den Chaoten und Zerstörern dieses wunderbaren Spieles, die ihre idiotischen Auftritte ja grundsätzlich im Schutz der anonymen Menge wagen, Herr werden?

Die Mannschaft muss sich wieder auf Kompaktheit konzentrieren

Kann man angesichts dieses schwer wiegenden Vorfalls eigentlich noch über den Sport sprechen, also über das, was uns Nicht-Werfer immer wieder ins Stadion zieht? Man kann nicht nur, man muss sogar. Denn die Saison biegt ja gerade erst auf die Zielgerade ein, und die nach wie vor formidable Bochumer Mannschaft muss, um in der Liga zu bleiben, die negative Erfahrung des vergangenen Freitags hinter sich lassen. Sie muss sich unbedingt wieder auf das konzentrieren, was sie lange Zeit stark gemacht hat: Kompaktheit, Unnachgiebigkeit, Zweikampfstärke, Schnörkellosigkeit, Gemeinsamkeit.

Der VfL hat, besonders angesichts der personellen Konstellation, auch gegen Mönchengladbach lange Zeit gut, ja sogar hervorragend gespielt und hätte ein Tor längst verdient gehabt. Aber nach dem 0:1 war plötzlich die Struktur weg. Die Abwehr stand zu tief, die Offensive zu hoch, im Mittelfeld gähnte ein großes Loch. Für die Borussia Raum und Gelegenheit genug, um mit Ein-Kontakt-Spiel in die Tiefe und Doppelpässen die Defensive der Bochumer auszuhebeln.

Zweimal in Folge zwei Gegentreffer in wenigen Minuten

Sechs Minuten lagen zwischen Treffer eins und Treffer zwei, sechs Minuten nur hatte auch Eintracht Frankfurt eine knappe Woche zuvor gebraucht, um das Spiel mit zwei Toren zu drehen. Die Mannschaft von Thomas Reis wird nur bestehen können, wenn sie auch nach einem Gegentreffer ruhig, kompakt, hartnäckig und fokussiert bleibt. Wir wissen: Sie kann das.

Außerdem wird es mal wieder Zeit, die Null hinten zu feiern, denn die Durststrecke ist inzwischen lang. In der Liga hat es das Team in den letzten neun Spielen nicht geschafft, ohne Gegentor in die Kabine zu kommen, mit dem Pokalspiel sind es bereits zehn Partien. Das war in der Hinrunde noch anders gewesen. Auch das hat viel mit Kompaktheit zu tun.

Der VfL Bochum benötigt ein Publikum, das lautstark hinter ihm steht

Es scheint noch einmal eng zu werden im Abstiegskampf, aber das grundsätzliche Vertrauen in die Mannschaft ist keineswegs verloren gegangen. Überstehen die Jungs von Thomas Reis die aktuelle Infektionswelle ohne Substanz zu lassen, dann brauchen sie in den restlichen Heimspielen vor allem eins: ein Publikum, falls zugelassen, das von der ersten bis zur letzten Minute lautstark hinter ihnen steht, ohne zu pöbeln und mit Gegenständen nach Menschen zu werfen. Nichts anderes hat diese Mannschaft verdient.