Bochum. Was für ein Spektakel an der Castroper Straße! Der VfL Bochum hat am Samstag Tabellenführer FC Bayern München mit 4:2 geschlagen.
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Historisches Spektakel im Ruhrstadion. Aufsteiger VfL Bochum fertigte den deutschen Rekordmeister FC Bayern München nach einer sensationellen ersten Halbzeit mit 4:2 (4:1) ab. Die 8.500 Fans flippten schon lange vor dem Abpfiff aus, sie feierten begeistert die neuen Bayern-Besieger-Helden. „Das ganze Stadion hüpft“ war einer der Dauerbrenner und, natürlich: „O wie ist das schön, so was hat man lange nicht gesehn.“
Letztmals hatte es vor 18 Jahren einen Sieg gegen die Münchener gegeben – und noch nie vier Bochumer Tore in einer Halbzeit gegen den FCB!
Bochum beeindruckte bei seinem Husarenstück mit viel Einsatz, enger und energischer Zweikampfführung, viel Mut, Tempo und Spielfreude nach vorne – und begeisterte mit mehreren Traumtoren in einer Phase des Fußball-Rauschs vor der Pause.
Thomas Reis nahm vier Wechsel in der Startelf vor
Vier Änderungen nahm Trainer Thomas Reis vor nach dem 1:1 gegen Hertha BSC, zwei waren durchaus überraschend. Neben Torwart Michael Esser (für Manuel Riemann/Covid-19) und Kapitän Anthony Losilla (für Robert Tesche) spielten der 22-jährige Patrick Osterhage im Zentrum und Christopher Antwi-Adjei auf dem rechten Flügel. Milos Pantovic und Takuma Asano mussten auf die Bank. Dort blieb auch Sebsatian Polter, im Sturmzentrum erhielt Jürgen Loadia erneut den Vorzug.
Dass der FC Bayern den VfL ernst nahm, zeigte die Startelf – kein Star wurde vor dem Champions-League-Spiel am Mittwoch in Salzburg geschont. Trainer Jürgen Nagelsmann nahm nach dem 3:2 gegen Leipzig nur zwei Änderungen vor. Manuel Neuer fällt nach seiner Meniskus-OP ein paar Wochen aus, Sven Ulreich vertritt den Nationaltorwart. Zudem rotiert Upamecano in die erste Elf, Tolisso blieb auf der Bank. Bayern agierte damit in einem 4-1-4-1-System.
Der VfL setzte auf eine klare Zuteilung. Rexhbecaj kümmerte sich früh um Aufbaumann Kimmich, Losilla um Sane und Osterhage um Müller. Auf den Außen bekamen es Soares und Gamboa mit Gnabry und Coman zu tun. Und Bochum trotzte dieser Weltklasse-Offensive nicht nur mit energischer Zweikampfführung, die dem Bayern-Herzstück sichtlich auf die Nerven ging, sondern auch mit Mut und Spielfreude.
VfL Bochum versteckt sich gegen Bayerns Weltklasse-Profis nicht
Bochum versteckte sich nicht, attackierte beherzt und sorgte vor allem über den wie aufgedreht spielenden Gerrit Holtmann immer wieder für Akzente. Holtmann entwischte auf links Upamecano, einem Bayern-Schwachpunkt, und Pavard immer wieder, spielte sein Tempo bestens aus. Zum Teil gelang dies auch Antwi-Adjei auf der anderen Seite.
Und weil Locadia nicht nur einen guten Schuss, sondern vor allem auch einen ganz feinen Fuß und Blick für den Steckpass hat, feierte der VfL nach 14 Minuten ein Tor wie aus dem Lehrbuch, wenn es gegen Bayern und seine eben nicht so flotte Abwehr geht. Locadia schickte Holtmann perfekt in den Lauf, der Torschütze des Jahres flankte ebenso perfekt in die Mitte zu Antwi-Adjei, der Niklas Süle alt aussehen ließ und mit links ins linke Eck vollstreckte.
Es war Antwi-Adjeis erstes Tor für den VfL, es war das 1:1, denn nach gut acht Minuten hatte Robert Lewandowski nach Flugkopfball-Vorarbeit von Coman den Favoriten mit dem ersten nennenswerten Abschluss in Führung gebracht. Lewandowski zeigte dabei seine ganze Klasse, die Bella Kotchap am Ende einer Fehlerkette nicht unterbinden konnte.
Locadia sorgt zum ersten Mal für das Tollhaus an der Castroper Straße
Doch der prompte Ausgleich ließ die ohnehin offensichtlich mit Selbstbewusstsein aufgepumpte Brust des Aufsteigers noch breiter werden. Einmal klärte Gamboa auf der Linie, doch dann enteilte Holtmann wieder auf links, der Ball sprang Upamecano an die Hand. Elfmeter. Jürgen Locadia trat an – und traf. Noch eine Torpremiere für den VfL und die 2:1-Führung (38.). Das mit 8.500 pandemiebedingt nur zu gut einem Drittel gefüllte Stadion glich schon jetzt einem Tollhaus.
Und es kam noch irrer. Bayern bekam bis zur Pause kein Bein auf den Boden, Bochum spielte sich in einen Rausch und erzielte zwei Traumtore am Stück. Erst hämmerte Cristian Gamboa, der Außenverteidiger, den Ball nach einem Tunnel gegen Coman und Doppelpass mit Osterhage vom rechten Strafraumeck volley in den linken Winkel. 3:1 (40.). Dann zirkelte Holtmann den Ball vom linken Strafraumrand in den rechten Winkel mit seinem schwächeren rechten Fuß, zuvor hatte er Upamecano getunnelt. 4:1, 44. Minute. Drei Tore in sechs Minuten, Wahnsinn anner Castroper.
Historischer Rückstand für den FC Bayern München
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Vier Tore in einer Halbzeit gegen die Bayern, nein, das gab es noch nie! Beim legendären 5:6 im September 1976 führte Bochum „erst“ nach der Pause mit 4:0 (Halbzeit 3:0). Und umgekehrt war das FCB-Debakel auch schon jetzt historisch: Vier oder mehr Gegentore in der ersten Halbzeit kassierte er Rekordmeister zuletzt vor 46 Jahren (!) beim 0:6 (0:5) gegen Frankfurt.
In der Pause lief der Hit „Bochum“ von Grönemeyer, normalerweise die Einstimmung auf jedes VfL-Spiel. Doch vor dem Anpfiff hatte es einen Stromausfall im Stadtteil Grumme gegeben, erst nach rund 25 Minuten kehrte der Saft zurück. Auf dem Platz konnte von fehlender Energie ja keine Rede sein - bei den Bochumer Spielern.
Bella-Kotchaps Grätsche wird gefeiert wie ein Tor
FCB-Coach Julian Nagelsmann brachte nach dem Wechsel Tolisso für Upamecano, stellte auf Dreierkette um und hatte nun, bis auf Neuer, die gegen Leipzig fulminant siegreiche Elf auf dem Feld. Doch Bochum suchte die endgültige Entscheidung. Holtmann verpasste den Querpass und scheiterte an Ulreich nach schlampigen Pavard-Rückpass, zwei Abseitstore – bei Antwi-Adjeis Treffer war es knapp - folgten binnen nur vier Minuten. Erst dann setzte sich mal wieder 25-Tore-Mann Lewandowski durch, und der mit langer Grätsche kurz vor der Linie klärende Bella Kotchap wurde gefeiert wie ein Winkel-Torschütze.
60 Minuten waren rum, als Gamboa den Ball aus dem Abwehrzentrum nach vorne drosch und die Becker-Faust ballte. Einmal, zweimal, dreimal, Adrenalin pur. Als Bayern, jetzt mit Choupo-Moting für den entnervten Müller, auf den Anschluss drückte und Bochum viel Platz für Gegenstöße hatte. Holtmanns nächster Schlenzer aber flog übers Tor.
Lewandowskis Treffer zum 2:4 bleibt lediglich Ergebniskosmetik
Der VfL igelte sich weiterhin nicht ein, blieb dran, aufmerksam, konsequent. Erst in Minute 75 schlug dann doch Weltfußballer Lewandowski nach einem Freistoß erneut zu. 4:2, noch 15 Minuten.
Stafylidis war nun im Spiel für den Gelb-Rot-gefährdeten Gamboa. Zehn Minuten vor Schluss brachte Reis drei frische Offensiv-Kräfte für die letzte zu gehende Distanz. Polter, Pantovic und Asano kamen für Locadia, Holtmann, Antwi-Adjei. Polter holte eine Ecke heraus vor der 1.500-Zuschauer-Ostkurve, auch das: gefeiert. Ebenso wie Soares‘ cooler Zweikampfgewinn gegen Gnabry und, ein bisschen Glück darf auch mal sein, der Lattentreffer von Lewandowski (86.). Und noch mehr, noch lauter, noch stärker feierten sie die Sieger nach dem Schlusspfiff. Bochum vier, Bayern zwei. Ein Stück fürs Geschichtsbuch. „O wie ist das schön“….