Bochum. Leon Goretzka ist einer der bekanntesten Profis, die beim VfL Bochum ausgebildet wurden. Der Bundesligist sucht bereits das nächste große Talent.
Seit 2011 ist Alexander Richter Leiter des Nachwuchsleistungszentrums, dem Talentwerk, des VfL Bochum. Der Diplomsportlehrer hat auch die Fußball-Lehrer-Lizenz und ist Sportlicher Leiter der beiden ältesten Talentwerk-Mannschaften, U17 und U19, die jeweils in der Junioren-Bundesliga spielen. Im Gespräch mit der WAZ äußerst er sich zu den geplanten Umstrukturierungen der Junioren-Bundesligen, die Chancen der VfL-Teams in dieser Saison, den Weg der Talente und er beantwortet die Frage, ob es zukünftig einen VfL-Bochum-Campus geben wird.
Wie sieht es mit der angedachten Umstrukturierung der Nachwuchs-Bundesligen aus?
Ich bin in der DFL-Kommission Leistungszentren. Da ging es zuletzt um das Projekt Zukunft. Da gibt es einen Stau, was den Spielbetrieb angeht. Alle anderen Themen sind eigentlich kein Problem. Also die Erneuerung im Trainerwesen, die Lizenztreppe mit verschiedenen Lizenzen als es sie jetzt gibt. Was den Wettbewerb, also den Spielbetrieb der Nachwuchsleistungszentren angeht, gibt es weiterhin Diskussionen, was die Einbindung von Amateurvereinen angeht, die kein Leistungszentrum haben. Im März nächsten Jahres ist DFB-Bundestag. Da wird es sich entscheiden. Bis dahin wird es an einigen Fronten noch reichlich Diskussionen geben, das ist noch nicht verabschiedet.
Muss es Veränderungen geben?
Ich hoffe, dass es Veränderungen gibt und dass wir es hinbekommen, ohne Abstieg zu spielen. Ich merke, dass die Trainer sich selbst Druck machen, den auch ein bisschen brauchen. Um sich auf hohem Niveau weiterzuentwickeln und Toptalente auszubilden, wie wir es immer wieder schaffen, brauchen wir jede Woche Spiele gegen Top-Gegner. Aber es müssen auch Spiele in der Ausbildung dabei sein, in denen du gegen Mannschaften spielst, die nicht so gut sind, die sich hinten reinstellen. Auch da muss man Lösungen finden. Deshalb fände ich es gut, dass die Amateurvereine die Chance haben, mitzuspielen. Ich würde aber dennoch nicht alles so lassen, wie es ist. Das ist mir zu wenig vorausschauend in die Zukunft gedacht. Die Trainer müssen sich weiterentwickeln, haben dann ganz andere Lizenzen. Wenn es keinen Abstieg mehr gibt, können sie individueller auf die einzelnen Spieler eingehen, können an der Technik arbeiten, ohne diesen Ergebnis-Druck, den du dir ohnehin ja immer selbst machst. Dann lasse ich einen Spieler eben 150 Mal flanken, damit die Flanke auf den Punkt genau kommt, bevor ich an der Viererkette arbeite.
Für die Amateure könnte sich mit den Änderungen eine Tür schließen, oder?
Es kommt bei diesem Projekt so rüber, als wollten sich die Leistungszentren herausziehen. Es soll ein wenig der Druck herausgenommen werden. Da sind wir dann auch ein bisschen beim Thema Trainer. Die machen sich auch bei uns immer den Druck, was die Tabelle angeht. Den Druck mache nicht ich ihnen. Ich habe noch nie einem Trainer gesagt, dass wir, wenn er Siebter oder Achter wird, nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten. Darum geht es auch gar nicht. Es geht darum, die Spieler weiterzuentwickeln. Das Projekt sieht vor, dass sich Amateurvereine in einer Hinrunde qualifizieren können. Wenn sie dann Erster sind, können sie in der Rückrunde in diese Ligen der Nachwuchsleistungszentren aufrücken. Wenn sie dann da immer noch gut mitspielen und beispielsweise ins Halbfinale kämen, würde man sogar sagen, dass der Verein in der Saison darauf weiter mit in den Gruppen der Nachwuchsleistungszentren spielen kann. Es geht nicht darum, die Amateurvereine auszuschließen. Aus diesen Vereinen rekrutieren wir unsere Spieler. Da kommen unsere Spieler her. Jeder ist vorher, mit wenigen Ausnahmen, bei anderen Vereinen. Leon Goretzka zum Beispiel war seit der U8 beim VfL Bochum, war aber vorher bereits beim SV Werne. Deswegen haben wir Partnervereine bei den Amateuren. Mit ihnen tauschen wir uns aus, bieten Trainerfortbildungen an.
Der DFB will zukünftig die jüngsten Fußballer ohne Torwart spielen lassen. Was halten Sie von dieser Idee?
Wir sind der Meinung, dass Fußball bei drei gegen drei, vier gegen vier anfängt, weil man da auch den Teamgedanken drin hat. Wir haben tatsächlich mal mit allen Spielern der U11 gesprochen. Die haben alle gesagt, dass es am besten ist, wenn sie Sechs gegen Sechs und Torwart spielen. Bei Vier gegen Vier haben wir ganz viele Ballkontakte, haben sie gesagt, aber am meisten Spaß macht Sechs gegen Sechs. Das Netz muss sich halt beulen. Darauf muss man Rücksicht nehmen. Man sollte es nicht damit übertreiben, auf kleine Tore zu spielen. Lieber Torwart drin und das Netz beult sich.
Der Aufstieg des VfL Bochum in die Bundesliga kam plötzlich, war nicht zwingend zu erwarten. Nun ist der VfL wieder Bundesligist. Wie wirkt sich das auf das Talentwerk aus?
Der Verein wächst und entwickelt sich. Das gilt auch für das Talentwerk. Da sprechen wir dann von Torwarttrainern, Athletiktrainern. Es gibt Vorgaben durch die Lizenzierung. Wir haben eine Sportpsychologin und einen neuen Sportpsychologen. Das war Vorgabe nach dem Aufstieg. Was die Festanstellung muss man beim VfL Bochum immer schauen, was finanziell passt, auch was die Büro-Situation anbelangt. Wir haben auch schon vor dem Aufstieg in vielen Bereichen erstklassig gearbeitet, nicht nur im Talentwerk. Etwas hinten dran geblieben sind die infrastrukturellen Bedingungen, das muss man schon sagen. Aber da sprechen wir gerade intern drüber und schauen, was wir machen können. Und wir wollen natürlich den nächsten Armel Bella-Kotchap oder Maxim Leitsch hervorbringen. Wir haben einige Talente, auch bei der U17. Mal sehen, wer es als nächstes schafft. Das hängt auch viel von Eigenschaften oben im Kopf ab: Durchsetzungsvermögen, Hartnäckigkeit.
Wie ist bei diesem Thema die Kommunikation mit Thomas Reis , dem Trainer der Profis, und Sportvorstand Sebastian Schindzielorz?
Wir sind da jede Woche mit ihnen im Austausch. Wir müssen nicht jede Saison acht Spieler zu Profis machen, um nach außen zu tragen, dass wir eine gute Jugendarbeit machen. Es geht darum, richtig gute Spieler zu Profis zu machen. Wir haben derzeit eine gute Quote bei den Spielern, die es vom Talentwerk zu den Profis schaffen. Wenn es einer ist oder zwei sind ist das auch okay. Wenn es mal keiner ist, ist es auch okay. Wobei wir uns dann Gedanken machen, woran das lag oder liegt. Aber wir hinterfragen uns ohnehin jede Woche. Es gibt so viele Stellschrauben, an denen wir drehen können. Wir machen schon viel, aber es kann immer noch mehr werden, wir können die Spieler immer noch individueller ausbilden.
Der FC Bayern hat sich einen Campus gebaut, setzt verstärkt auf die Ausbildung seiner eigenen Talente, statt teuer Talente aus der ganzen Welt anzuwerben. Wann gibt es den VfL-Bochum-Campus?
Einen VfL-Bochum-Campus wird es nicht geben. Wir machen das hier mit Augenmaß. Was sich da die Bayern hingestellt haben, wird es hier nicht geben. Das würde nicht zum VfL Bochum passen. Wir haben ein Talente-Haus und eine Wohnung daneben, in der Spieler wohnen können, die 18 Jahre alt sind und die keine Betreuung brauchen. Das ist der VfL Bochum. Das reicht. Ich möchte kein Internat mit 60 Spielern. Das passt nicht zu uns. Wenn wir schauen, wer in den vergangenen zehn Jahren bei uns Profi geworden ist, kamen die fast alle, mit wenigen Ausnahmen, aus einer Entfernung von maximal 70 oder 80 Kilometern. Wir haben eine so dicht besiedelte Region, mit vielen Talenten, wir müssen sie nur finden.
Wie war die Talentfindung in Corona-Zeiten möglich?
Es war schwieriger. Aber wir haben unsere Scouting-Abteilung und unsere Datenbanken. Bei unseren eigenen Spielern, mit denen wir nicht verlängert haben und die den Verein verlassen mussten, hat uns auch das Herz geblutet, weil wir ihnen keinen Grund nennen konnten. Es konnte halt keiner Leistung abrufen. Deswegen haben wir aus der letztjährigen U17 viele in die U19 übernommen. Wir haben schon sehr wenige neue Spieler. Es war schwierig neue Spieler zu finden, aber nicht unmöglich. Ein großes Thema ist bei den Talenten immer die Fahrerei, kreuz und quer durchs Ruhrgebiet. Etliche Spieler stehen auf dem Weg zu uns in den üblichen Staus. Das ist Wahnsinn. Meine Idee ist in den verschiedenen Jahrgängen, ab U14, U15 aufwärts, sie morgens abzuholen, und dann sind die hier. Dann können wir mit ihnen arbeiten, sie gehen hier zur Schule, wir haben Kooperationsschulen. Dazu haben wir einen Aufenthaltsraum, eine Küche. Derzeit stellen wir die Zusammenarbeit mit den Schulen gerade neu auf. Da wird es in den nächsten drei, vier Wochen eine Veränderung und Entscheidung geben.
Wie sehen Sie die U17 und U19 für die neue Saison aufgestellt?
Da ist alles gut. Bei beiden Teams ist Qualität drin. Sie sind gut durch die Vorbereitung gekommen. Es gab einige Verletzungen, aber die waren nach der langen Corona-Pause fast zu erwarten. Wir merken aber den Rückstand der Spieler, weil sie über einen sehr langen Zeitraum nicht trainieren und spielen konnten. Bei den ersten Testspielen war das eklatant. Wir wussten, dass es etwas länger dauert. Deshalb war die Vorbereitung länger, dazu gab es den Ligapokal. Jetzt sind wir auf einem richtig guten Weg. Wir haben nur noch ein, zwei verletzte Spieler pro Kader. Da glaube ich schon, dass wir in den Bundesligen gut mithalten können. Ich glaube schon, dass wir gute Mannschaften haben. Wie gut, weiß ich nicht, das wird sich zeigen. Einzige Vorgabe ist, dass wir nicht absteigen. Wir wollen uns immer mit den besten Mannschaften messen.