Nimes. . 29 Jahre nach dem letzten Sieg durch Bernard Hinault mischt die Grande Nation bei der Tour de France wieder vorne mit. Mit Romain Bardet, Thibaut Pinot und Jean-Christoph Peraud haben gleich drei Franzosen das Podium im Blick. Von einem möglichen Gesamtsieg zu sprechen, traut sich aber keiner.
Vincenzo Nibali scheint nach den Alpenetappen schon der Sieger der Tour de France zu sein. Hinter dem Italiener ist aber noch alles offen, vor allem die Grande Nation ist im Aufwind. 29 Jahre nach dem letzten Erfolg durch Bernard Hinault schieben sich drei Franzosen auf den Plätzen drei, vier und sechs ganz nah an die Spitze – und eine Nation feiert und hofft auf die Pyrenäen.
Die junge Frau ist ganz aus dem Häuschen: „Thibaut, Thibaut“ ruft sie immer wieder über die Absperrgitter in der Auslaufzone hinter dem Ziel und wedelt hektisch mit einem winzigen Frankreich-Wimpel und ihrem Smartphone. Ihre Stimme ist derart schrill, dass sie den allgemeinen Tourlärm deutlich durchdringt – und schließlich auch Thibaut Pinot erreicht. Der junge Franzose ist zwar müde von der Etappe, Staub und Schweiß kleben in seinem Gesicht, aber gut. Er lenkt sein Rad an das Gitter, schreibt ein Autogramm auf die nackte Schulter seines immer noch kreischenden Fans, genehmigt ein Selfie mit dem Smartphone; dann radelt Pinot Richtung Feierabend, sprich Mannschaftsbus. Begleitet von einer deutlichen Ansage seines Fans. „Du gewinnst die Tour.“ Aber das hört er nicht mehr.
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Was die junge Frau so bestimmt sagt, bewegt in diesen Tagen eine ganze Nation. Die Tour de France, die wie Croissants, Champagner oder dem Eiffelturm zum unverwechselbaren Tafelsilber der Grande Nation gehört, giert aus Sicht der Franzosen nach einem einheimischen Sieger. Das Spektakel sei lange genug von gedopten Ausländern oder diesem mafiösen Ami namens Armstrong beherrscht worden, so der Tenor. „Wir fahren sauber und sind seit Jahrzehnten die Dummen“, sagt Thierry Perrin, der drei Wochen für die Organisation VIPs in edlen Limousinen über den Kurs pilotiert. Wie der Student (26) denken viele, auch wenn es so nicht stimmt.
Richard Virenque, der 1997 Zweiter hinter Jan Ullrich war und 2000 wegen Dopings gesperrt wurde, war auch ein Früchtchen. Aber der letzte Toursieg der Franzosen stammt tatsächlich aus der Zeit vor EPO. 1985 siegte der Bretone Bernhard Hinault und seither, also seit 29 Jahren, warten die Franzosen auf ihnen radsportlichen Erlöser.
Und jetzt keimt in Frankreich Hoffnung. Chris Froome verletzt draußen, ebenso Alberto Contador. Und dann sind hinter dem souveränen Vincenzo Nibali plötzlich drei Franzosen in Griffweite des Gelben Trikots – vor einem Jahr war am Ende kein Einheimischer unter den ersten Zehn. Und jetzt das. Die Zeitung L’Equipe, das Organ der Tour und sowas wie die Letztinstanz des französischen Sportjournalismus, titelte in ganz fetten Lettern „L’Année ou jamais!“ kurz: Jetzt oder nie. Und das Land wacht auf und lernt die Namen der drei Profis, die es richten sollen.
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Das ist ganz vorne Romain Bardet. 23 Jahre jung und aktueller Träger des Weißen Trikots des besten Jungprofis. Bardet vom Team AG2R war schon 2013 auf Platz 15 bester Franzose. Jetzt wird er fast angefleht, die Worte „Ich will den Sieg“ zu sagen, er bleibt aber ruhig: „Platz fünf wäre ein großer Erfolg für mich.“ Mehr sagt er nicht.
Hinault schaut skeptisch zu
Auch ganz dicht dabei ist noch Thibaut Pinot (24), der 2012 Zehnter der Tour war, sich das ganz große Ding aber auch nicht zutraut. „Ich bin kein so guter Zeitfahrer“, sagt er und bleibt auch dabei, als der Fernsehmann fast flehentlich fragt: „Aber es gibt dieses Jahr doch nur ein Zeitfahren?“ Pinots Konter: „Das reicht für einen Rückstand.“
Bleibt noch die dritte blau-weiß-rote Hoffnung. Jean-Christoph Peraud, der eigentlich als Kapitän von Jungspund Bardets Team AG2R zur Tour kam. Peraud ist allerdings schon 37 Jahre alt, ein echter Spätstarter, der erst 2011 seine erste Tour fuhr. Würde er gewinnen, wäre er der älteste Gesamtsieger in der Geschichte des Rennens.
Zwei Jungspunde und ein Oldie – den Franzosen wäre es letztlich egal, wer sie aus dem radsportlichen Dauerschlaf wach küsst. Nur dass es an der Zeit wäre, da ist sich nicht nur die L’Equipe sicher.
Nur einem scheint das Ganze nicht geheuer: Bernard Hinault, der letzte Toursieger der Grande Nation. Er schaut noch skeptisch zu.