Lisicki erfüllt sich den Kindheitstraum vom Wimbledon-Finale
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London. Sabine Lisickis Triumphzug durch London nimmt einfach kein Ende. Durch den Sieg über Agnieszka Radwanska steht die 23-jährige Berlinerin als erste Deutsche nach Steffi-Graf im Finale von Wimbledon. Am Samstag könnte ein Kindheitstraum in Erfüllung gehen.
Ihr Traum als kleines Mädchen? Wimbledons Trophäe in den Händen halten und die Nummer eins des Tennis sein; die glitzernde Schale ist nun zum Greifen nah. Mit ihrem Sieg in einer knisternd spannenden Partie gegen Agnieszka Radwanska (6:4, 2:6, 9:7) flog Sabine Lisicki Donnerstagnachmittag in Wimbledon ins Finale der All England Championships, auf den Tag genau 14 Jahre, nachdem zum letzten Mal eine Deutsche um den Titel im Einzel gespielt hatte, Steffi Graf. Graf hatte eine Nachricht mit guten Wünschen geschickt, doch die Arbeit erledigte Lisicki mit Mumm und Mut und einer Menge Durchhaltevermögen ganz allein.
Die allgemeine Einschätzung vor dem Spiel hatte so ausgesehen: Vorteil Lisicki, sollte die in der Lage sein, nahe ihres maximalen Leistungsvermögens zu spielen und die Partie wie in den Runden zuvor mit ihrem mächtigen Aufschlag zu dominieren; Vorteil Radwanska in jedem anderen Fall.
Fast eine Dreiviertelstunde lang sah es so aus, als laufe die Berlinerin mit großen Schritten in einer von Blumen begrenzten Schneise auf den Sieg zu. Es dauerte zwar bis Mitte des ersten Satzes, bis ihr Timing beim Aufschlag passte, aber der Rest funktionierte bestens. Ein paarmal versuchte sie es sogar mit Erfolg mit Serve und Volley, sie zog die Vorhand mit Karacho durch und bewegte sich auf scheinbar sicherem Terrain.
Blondiert und dick bandagiert
Radwanska hatte beide Oberschenkel bandagiert, aber von diesem Anblick musste man sich nicht täuschen lassen. Ihre Beine hätten reichlich Belastung aushalten müssen, hatte sie vorher gesagt, aber man solle sich keine Sorgen machen, sie könne jede Menge Schmerz aushalten. Wie immer huschte sie über den Platz, versuchte, mit dem Tempo der anderen zu arbeiten, die sie so lange kennt. Die beiden spielten schon als Zehnjährige gegeneinander, diesmal allerdings taten sie es zum ersten Mal als Blondinen; die von Hause aus brünette Polin trägt seit dem Frühjahr eine neue Farbe.
So schön freut sich Lisicki
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Mitte des ersten Satzes verlor sie zum ersten Mal ein Aufschlagspiel, mit der Führung im Rücken gewann Lisicki zehn Minuten später den ersten Satz, ging auch gleich im zweiten mit einem Break in Führung, und danach sah es so aus, als seien die Weichen gestellt. Doch es sah nur so aus. Mit einem Aufschlagverlust zum 1:1, ihrem ersten, stürzte Lisicki in eine Krise, in der sie sieben der folgenden acht Spiele verlor. Immer mehr Fehler schlichen sich ein, Radwanska hatte in dieser Phase vergleichsweise leichtes Spiel, und Lisicki war sicher gut beraten, nach dem Satz zum Kleiderwechsel und Sortieren der Gedanken in der Kabine zu verschwinden.
Mit einem Handtuch um die Schultern gelegt und einem Snack in der Hand kam sie zurück, aber es dauerte eine Weile, bis sie sich und ihr Spiel zur Freude des Publikums wieder im Griff hatte. Nach dem einseitigen ersten Halbfinale, das die zwingend und extrem druckvoll spielende Marion Bartoli gegen die sichtlich angeschlagene Belgierin Kirsten Flipkens 6:1, 6:2 gewonnen hatte, folgten die Leute mit Vergnügen diesem aufregenden zweiten Spiel.
0:3 und keine Sorgen
Radwanska ging 3:0 in Führung im dritten Satz, man hatte den Eindruck, Lisicki habe völlig den Faden verloren, aber sie machte sich keine Sorgen. Ähnliches hatte sie beim Sieg gegen Serena Williams erlebt und überstanden, und sie glaubte daran, dass es auch diesmal wieder so sein würde. Und tatsächlich, plötzlich traf wieder wie im ersten Satz. Weiter ging´s im atemlosen Auf und Ab, sie glich zum 3:3 aus, nahm der immer noch scheinbar emotionslosen Polin deren Aufschlag ab und schlug danach beim Stand von 5:4 zum Matchgewinn auf.
Lisicki - Auf den Spuren von Steffi Graf
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Ein Raunen ging durchs Publikum, und in ihrer Box oben auf der Tribüne rückten die Eltern, Coach Wim Fissette und Teamchefin Barbara Rittner an die Kante der Sitzbank. Radwanska gelang wieder ein Break. Beim Stand von 6:5 fehlten ihr nur noch zwei Punkte zum Sieg, noch Lisicki rettete sich mit guten Aufschlägen, glich wieder aus und erzwang ein paar Minuten später das entscheidende Break zum 8:7.
Wieder schlug sie zum Match auf, und diesmal erreichte sie das ersehnte Ziel. Beim zweiten Matchball lag die Hälfte des Platzes offen wie eine Allee vor ihren Augen, und ihr letzter Ball landete mittendrin im Paradies. Anders als nach dem Sieg gegen Serena Williams fasste sie sich diesmal vergleichsweise schnell. Sie folgte den Rufen der Fans, die vor der großen Tür draußen auf sie warteten, und schrieb im Licht der Abendsonne Autogramme. Wie sie sich fühlte in diesen Momenten? „Besser könnte es nicht sein.“ Vielleicht doch, Samstag nach dem Finale gegen Marion Bartoli.
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