Garmisch-Partenkirchen. Anders Jacobsen hat sich mit seinem zweiten Sieg zum Topfavoriten bei der 61. Vierschanzentournee gemausert. Für jede Menge Gesprächsstoff sorgt dabei vor allem die norwegische Wunderwaffe - ein modifizierter Sprungschuh.
Als die Sprache auf die norwegischen Wunder-Stiefel kam, wurde Anders Jacobsen plötzlich ganz ruhig. "Das ist unser kleines Geheimnis", sagte der Überflieger nach seinem zweiten Tagessieg bei der Vierschanzentournee und setzte sein breitestes Grinsen auf. Vom Geheimtipp ist der 27-Jährige innerhalb von drei Tagen zum Favoriten geworden. Und ein speziell modifizierter "Stöckl-Schuh" spielt dabei eine entscheidende Rolle.
"Wir haben versucht, den Schuh etwas steifer zu machen, das sind ja Lederschuhe. Das hilft im Fliegen und ist regelgerecht"', sagte Norwegens Nationaltrainer Alexander Stöckl. Sein Vater, ein technische versierter Tiefbau-Ingenieur, habe den Schuh konzipiert und in Eigenregie einen Prototypen hergestellt, verriet der Österreicher: "Wir haben im Sommer damit trainiert, im Wettkampf haben wir den Schuh in Engelberg das erste Mal eingesetzt."
Chance auf vier Siege - wie eins Hannawald
Rechtzeitig zur Tournee nutzen der Gesamtführende Jacobsen, der nach zwei Siegen als erster Springer nach Sven Hannawald den Grand Slam schaffen kann, und Tom Hilde, Vierter in Oberstdorf, das neue Hilfsmittel. "Das ist im Prinzip eine Verlängerung der Zunge des Schuhs, wie eine Manschette", erklärt Stöckl. Andere Nationen sind noch nicht auf diese Idee gekommen.
Vom Skiweltverband FIS sei das nicht zu beanstanden. Deswegen sehen die Norweger möglichen Anfeindungen gelassen entgegen. "Man kann Einsprüche einlegen, aber die werden sicher abgewiesen. Alles ist im Rahmen des Reglements", sagte Stöckl: "Jede Nation baut an den Schuhen, und es gibt verschiedene Lösungsmöglichkeiten."
Kritische Blicke aus Österreich
Vor allem die Konkurrenz aus Österreich schaut mit kritischem Blick auf die norwegische Ingenieurskunst. Nach Medienberichten sollen sie die FIS sogar ausdrücklich auf eine Prüfung hingewiesen haben. "Wir haben alles abgeklärt', sagte Stöckl. Österreichs Nationaltrainer Alexander Pointner meinte am Mittwoch: "Der Schuh ist legitim, sonst hätte die FIS etwas dagegen eingewendet. Wir könnten jetzt auch in die nächste Apotheke gehen, so eine Schiene holen, sie einbauen und dann Ehrenrunden fliegen. Das wäre aber sicher nicht der Fall."
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Der kleine technische Vorteil ist aber sicher nicht der einzige Grund für den Höhenflug, denn auch Anders Bardal sprang in Garmisch-Partenkirchen als Dritter aufs Podium - ohne Wunder-Stiefel. Drei Norweger waren beim Neujahrsspringen unter den Top 4. "Der Schuh ist ein Hilfsmittel, kein Heilmittel", sagte Stöckl: "Wenn man technisch gute Sprünge macht, kann das bei der Stabilität in der Luft helfen. Aber der Sprung muss trotzdem stimmen."
Selbst ein Faststurz konnte den Sieg nicht verhindern
Und vor allem bei Rückkehrer Jacobsen stimmt im Moment alles. Selbst ein Fast-Sturz im ersten Durchgang konnte seinen Triumph am Neujahrstag nicht verhindern. "Ich mache meinen Job gerade vielleicht so gut wie noch nie", sagte der Tournee-Gewinner von 2007, der im vergangenen Weltcup-Winter wegen "Motivationsproblemen" pausierte: "Es fühlt sich großartig an. Ich freue mich sehr auf Österreich und die Atmosphäre dort. Ich kann es nicht erwarten."
Sein größter Widersacher ist Titelverteidiger Gregor Schlierenzauer, der zweimal Zweiter wurde. "Ich fühle jetzt den Druck, aber der Druck fühlt sich gut an", sagte Jacobsen. Zu verlieren habe er sowieso nichts: "Ich habe jetzt schon mehr erreicht, als ich mir zuvor erhofft hatte."