Essen. Ein Tour de France-Sieger, der über jeden Zweifel erhaben ist? Nein, diesen Anspruch kann auch Bradley Wiggins nicht erfüllen. Obwohl er (noch) nicht mit Doping in Verbindung gebracht wird, hat auch sein Triumph einen Beigeschmack, weil er womöglich nur durch die Stallregie zustande kam.

Wenn Jan Ullrich während seiner Rad-Karriere gefragt wurde, ob er jemals gedopt habe, pflegte er gebetsmühlenartig zu versichern, niemals einen Konkurrenten betrogen zu haben. Zugegeben: Eleganter lässt sich schwerlich ein Regelverstoß einräumen, ohne diesen direkt einzugestehen. Stand dahinter doch die Botschaft: Solange alle dopen, ist erstens niemand benachteiligt und gewinnt zweitens am Ende doch immer der Beste.

Die Argumentation mag, was den Dopingaspekt betrifft, überzeugend klingen. Mindestens die Schlussfolgerung, dass immer der Beste gewinnt, ist jedoch zu relativieren. Natürlich nicht nur im Radsport, dort aber besonders. Haben wir es dabei doch auch über Doping hinaus mit Manipulation im weitesten Sinne zu tun, wie die gerade beendete 99. Tour de France erneut bewies.

Froome leistete wertvolle Führungsarbeit

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Man musste kein Insider sein, um in den vergangenen drei Wochen zu erkennen, dass das Rennen ohne den Eingriff der sportlichen Leitung des britischen Sky-Teams womöglich einen anderen Ausgang genommen hätte. In allen Bergetappen hat der Engländer Chris Froome selbstlos die Führungsarbeit für seinen Landsmann und Kapitän Bradley Wiggins geleistet und dabei seine eigenen Ambitionen hintenan stellen müssen. Mindestens zweimal gab es keinen Zweifel, dass Froome seinem schwächelnden Kollegen locker hätte davon fahren können. Jedes Mal jedoch wurde er von seiner Teamleitung gebremst. Wozu der Tour-Zweite fähig gewesen wäre, werden wir nie erfahren.

Für Radsportkenner riecht dies freilich nicht einmal ansatzweise nach Skandal. Ist doch das Verhalten des Sky-Teams Teil des Systems, das nach Führungsfiguren, Spezialisten und Wasserträgern wie bei keinem anderen Sport unterscheidet. Zur Entlastung der Branche darf nicht unerwähnt bleiben, dass Stallregie auch in anderen Sportarten, allen voran in der Formel 1, angewendet wird.

Ullrich musste 1996 Riis den Vortritt lassen

Ein Opfer dieses fragwürdigen Prinzips, das einen klassischen Individualsport als Mannschaftssport definiert, besser: tarnt, wurde im Übrigen auch der junge Jan Ullrich, der bei seiner ersten Tour de France 1996 noch seinem dänischen Teamkollegen Bjarne Riis den Vortritt lassen musste, bevor er 1997 selbst als – siegreicher – Kapitän von der Unterstützung anderer profitierte. Dass beide Tour-Sieger später Opfer ihrer Doping-Vergangenheit wurden, ist eine andere Geschichte.

Aber ob Doping oder Stallorder – mit den Idealen des Sports ist das eine wie das andere nicht zu vereinbaren.