London. Roger Federer besiegte im Wimbledon-Halbfinale den Weltranglistenersten Novak Djokovic und steht zum achten Mal im Endspiel. Dort trifft er auf die britische Hoffnung Andy Murray. Der bezwang Jo-Wilfried Tsonga und steht als erster Brite seit 74 Jahren im Finale von Wimbledon.
Die digitalen Ziffern auf der berühmten Uhr standen auf 6.47, als Andy Murray, der widerspenstige Held, sich selbst und Britannien einen Platz im Finale der All England Championships schenkte. Der grüne Planet bebte, und er wird mindestens zwei Tage weiter beben in Erwartung des großen Spiels, in dem Murray am Sonntag entweder als erster Brite nach Fred Perry anno ´37 den Titel im Einzel oder Roger Federer im achten Finale seit 2003 den siebten gewinnen wird.
Federers Freude über den Sieg war für alle sichtbar
Ein grandioser Tag in Wimbledon, begonnen mit Regen und Federers Sieg unter geschlossenem Dach gegen Novak Djokovic (6:3, 3:6, 6:4, 6:4), beendet Stunden später im goldenen Schein der Abendsonne mit Murrays Erfolg gegen Tsonga (6:3, 6:4, 3:6, 7:5). Schwer zu sagen, was am Ende größere Bedeutung hatte, der erste Sieg des Meisters aus der Schweiz nach sechs Niederlagen zuletzt in sieben Spielen gegen Novak Djokovic oder Murrays Coup. Jedenfalls hätte man die Emotionen dieses Tages in Flaschen abfüllen und verkaufen sollen, für triste Regentage und sonstige Tiefdruckgebiete des Lebens.
Federers Freude über den Sieg gegen Djokovic war für alle sichtbar; einen schönen Moment lang spiegelte sie sich einem jungenhaften Lachen. Aber welchen Wert er wirklich besaß, das fiel dem Schweizer erst auf, als er begleitet vom donnernden Beifall seiner Fans den Centre Court verließ und als ihm im Klubhaus die ersten Freunde gratulierten. „Da wusste ich, dass dieser Moment größer war, als ich zuerst gedacht hatte“, gestand er hinterher.
Natürlich hatte er die Sache nie so betrachtet wie manche Beobachter, die nach zwei Niederlagen in den vergangenen Jahren im Viertelfinale von Wimbledon und nach sechs Niederlagen in sieben Spielen gegen Djokovic zuletzt bezweifelt hatten, ob er die Form habe, um den Ersten der Weltrangliste herauszufordern. Die Diskussion war nach der Niederlage im vergangenen Jahr im Finale der US Open und vor allem nach der Niederlage in drei Sätzen im Halbfinale der French Open vor vier Wochen wieder aufgeflammt. Federer ignorierte sie geflissentlich, aber er wusste, dass es sie gab.
Djokovic wirkte bei weitem nicht so überzeugend
Das Dach war vor Beginn der Partie geschlossen worden, denn es regnete wieder mal. Unter dem geschlossenen Dach hören sich die Geräusche des Spiels anders an; alles wirkt plastischer, wenn es so etwas gäbe wie Töne in 3D. Und es war in dieser speziellen Atmosphäre von Anfang an nicht zu überhören, wen die Leute siegen sehen wollten. Der Titelverteidiger wurde mit dem gebührenden Respekt begrüßt, aber Federer flogen die Herzen zu. Als er mit einem Break im ersten Satz 4:2 in Führung ging, zog ein Raunen durch das grüne Theater, von Jubel wurde der Gewinn des Satzes begleitet. Mit sichtlicher Nervosität reagierten die Leute auf die Fehler, die den Schweizer den zweiten Satz kosteten, aber als er im wegweisenden dritten immer stärker wurde, flammte die Begeisterung auf, als habe jemand ein Streichholz an einen Stapel Seidenpapier gehalten.
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In fantastischen Ballwechseln Mitte dieses Satzes präsentierte Federer sein komplettes Repertoire, Djokovic wehrte sich, aber er wirkte dabei bei weitem nicht so überzeugend wie in den meisten gemeinsamen Spielen der jüngeren Vergangenheit. Diesmal war nichts zu sehen von einer physischen Überlegenheit, mit der er die Gegner im vergangenen Jahr so oft schockiert und eingeschüchtert hatte. Als er hinterher in der Pressekonferenz erwähnte, er habe sich in den vergangenen Tagen nicht allzu toll gefühlt, wolle aber nicht weiter darüber reden, klang seine Stimme in der Tat belegt. Zusammengefasst kam er zu dem Schluss, Federer habe gut gespielt, er selbst im dritten Satz leider nicht, und so sei eines zum anderen gekommen.
Aber Federer spielte nicht nur gut in dieser entscheidenden Phase; es war mitreißend, und die Leute fühlten sich in die große Zeit des Maestros versetzt, in der er sieben Mal in Folge das Finale erreicht hatte. Die letzten Befürchtungen verscheuchte Federer mit einem frühen Break im vierten Satz, und spätestens in diesem Moment wähnten ihn die Leute auf sicherem Weg zum Sieg. Der erste Matchball brachte die umjubelte Bestätigung, und so landete Federer wieder mittendrin im historischen Spiel.
Sampras, Becker und Arthur W. Gore hatten sieben Mal das Finale erreicht
Mit seinem achten Auftritt im steht er nun allein an der Spitze einer ganz speziellen Liste. Pete Sampras, Boris Becker und in grauer Vorzeit der Engländer Arthur W. Gore hatten sieben Mal das Finale erreicht, das Trio hat er nun hinter sich gelassen. „Da bin ich wieder“, meinte er nach dem ersten Sieg gegen Djokovic nach mehr als einem Jahr. Gewinnt er am Sonntag den Titel, ist der nächste Eintrag in die Geschichtsbücher fällig, und darüber hinaus wird er am Tag danach an der Spitze der Weltrangliste stehen. Gewinnt Murray, wird nicht nur der grüne Planet wackeln, sondern ganz Britannien.