Dortmund. . Timo Boll steht bei der Team-Weltmeisterschaft in der Dortmunder Westfalenhalle als Spitzenspieler der deutschen Tischtennismannschaft an der Platte. Wir haben mit Boll über China, Borussia Dortmund und einen Schalker im Tischtennis-Team gesprochen.

Es ist aber auch zum Heulen. BVB-Fan Timo Boll reist das ganze Jahr durch die Welt und verpasst dadurch die Spiele des deutschen Fußball-Meisters Borussia Dortmund. Jetzt wohnt die Nummer sechs der Tischtennis-Weltrangliste zehn Tage im Hotel neben dem BVB-Stadion. „Aber ich werde wieder kein Spiel sehen“, sagt Boll. „Wir haben ja selber zu tun.“ Boll steht bei der Team-WM in der Dortmunder Westfalenhalle ab Sonntag als Spitzenspieler der deutschen Mannschaft an der Platte.

Hat es in dieser Saison denn bisher für gar kein BVB-Spiel gereicht?

Timo Boll: Doch, eines habe ich im Stadion gesehen. Champions League gegen Arsenal.

Keine Chance, das Heimspiel am kommenden Freitag gegen Stuttgart zu sehen?

Boll: Hoffentlich nicht, denn Freitag wollen wir im WM-Viertelfinale stehen. Außerdem würden wohl auch nicht alle Kollegen mitkommen.

Keine Fußball-Fans?

Boll: Doch, schon. Aber wir haben da auch einen Schalker...

Wer ist das?

Boll: Sage ich nicht, sonst wird er in Dortmund ausgepfiffen.

Wird er nicht. Wer ist es?

Boll: War auch nicht ernst gemeint. Christian Süß ist unser Schalker.

Wer es nicht ins Fußball-Stadion schafft, sieht die Spiele zumindest im Fernsehen. Tischtennis sieht man dort so gut wie gar nicht. Ärgert Sie das?

Boll: Ich überlege, woran das liegt. Ich glaube, es hängt an wenigen Leuten beim Fernsehen und deren Interessen. Fernsehreporter fliegen wohl lieber in schöne Skigebiete als eine Woche irgendwo in einer Tischtennishalle zu sitzen. In China ist das ganz anders.

Wie sieht es dort aus?

Boll: In China ist Tischtennis zur besten Sendezeit live im Fernsehen zu sehen. Die Übertragungen haben Zuschauerzahlen in zweistelliger Millionenhöhe. Deshalb kann ich das Argument nicht nachvollziehen, Tischtennis sei kein Fernsehsport.

China ist allerdings auch eine andere Welt. Sie haben dort zwei Monate in der ersten Liga gespielt, ist es auch eine andere Tischtennis-Welt?

Boll: Die Qualität unseres Sports ist in China wesentlich höher als in Europa. Die Chinesen haben zum Beispiel im Moment den Liga-Betrieb ausgesetzt und bereiten sich nur gezielt auf die Weltmeisterschaft und auf Olympia vor. 30 bis 40 Spitzenspieler sind monatelang gemeinsam im Trainingslager und treiben sich dort gegenseitig zu Höchstleistungen.

Hatten Sie als ehemalige Nummer eins der Weltrangliste Probleme, mitzuhalten?

Boll: Ich bin mit 6:1-Siegen in den Ligaspielen gestartet, am Ende stand meine Bilanz bei 9:5. Du darfst dort nicht ein einziges Mal nur um zehn Prozent nachlassen, dann verlierst du sofort.

China besteht nicht nur aus Sport, sondern auch aus den Problemen mit den Menschenrechten. Wie haben Sie das im Land erlebt?

Boll: Ich reise seit 15 Jahren regelmäßig nach China und trainiere und spiele dort. Das Land wird bei uns oft zu schlecht dargestellt, es gibt eine positive Entwicklung, die in die richtige Richtung geht.

Ein Beispiel?

Boll: Es ist ein weiter Weg, den China gehen muss. Sowas funktioniert nicht von heute auf morgen. Aber ich nehme am besten Tischtennis für ein Beispiel. Die chinesischen Spieler sind viel offener geworden und schotten sich uns gegenüber nicht mehr ab. Sie machen sogar Scherze und lernen auch Englisch.

Was macht Ihr Chinesisch?

Boll: Ich habe angefangen zu lernen, aber vor der WM und Olympia habe ich das zunächst wieder eingestellt. Es reicht noch lange nicht für eine fließende Unterhaltung, aber ich kann im Restaurant zumindest eine Pekingente bestellen.

Können Sie bei der Siegerehrung den Chinesen auf Chinesisch sagen: Herzlichen Glückwunsch zur Silbermedaille?

Boll: Kann ich nicht.

Alle reden über China und erwarten ein WM-Finale zwischen Deutschland und den Chinesen. Haben Sie gar keine Sorge vor den anderen Teams?

Boll: Sorgen nicht, aber Bundestrainer Jörg Roßkopf und wir Spieler wissen sehr genau, wie stark die anderen sind. Zum Beispiel Japan und Südkorea. Doch das ist keine Story, die sich verkaufen lässt. Also reden alle über China.

Tischtennisprofis spielen und spielen und spielen. Zwischen den WM-Lehrgängen mal kurz Champions League, dann die WM, dann Bundesliga, dann Turniere, dann die Olympischen Spiele. Wird es Ihnen nicht bald zu viel?

Boll: Wegen der tausenden von Topspins hatte ich zuletzt eine Sehnenreizung in der Schulter und musste auf die deutsche Meisterschaft verzichten. Als Profi muss ich genau abwägen, was ich mir zumuten darf. Ich habe mittlerweile gelernt, auch mal auf die Polish Open zu verzichten.

Aber als Profi verdienen Sie dort Ihr Geld.

Boll: Das stimmt, aber was nutzt es mir, wenn ich danach wochenlang ausfalle?

Wann haben Sie in diesem Jahr den ersten Urlaubstag?

Boll: Eine richtigen Urlaubstag? Gar nicht. Vielleicht mal wieder 2014. Wenn die Bundesliga-Saison vorbei ist, habe ich eine Woche Pause. Aber auch in der Woche muss ich ein paar Mal trainieren, um im Rhythmus zu bleiben. Daher überlege ich, ob ich nicht mit meinem Kollegen Dimitrij Ovtcharov wegfahre, dann habe ich wenigstens einen Trainingspartner dabei.

Sie sind 31 Jahre alt, wie lange halten Sie das noch durch?

Boll: Leistungssport ist kein Gesundheitssport. Der Absprung wird sicherlich schwer, aber irgendwann muss er natürlich trotzdem kommen. Aber solange nichts weh tut, geht’s weiter.

Morgens tut nichts weh?

Boll: Heute morgen zumindest nicht (lacht).