Essen. Tokio - doch keine Reise wert? Tennis-Stars fokussieren sich bei hoher Belastung auf Grand Slams - nicht auf die Olympischen Spiele.

Das Foto, das Roger Federer am Dienstagabend auf seinen Internet-Kanälen verbreitete, zeigte ihn in stolzer Pose. Als Fahnenträger hatte er die Schweizer Olympia-Auswahl vor zwölf Jahren in Peking angeführt, lächelnd winkte der Tennis-Superstar damals den Zuschauern zu. In Chinas Hauptstadt verpasste er 2008 das ersehnte Einzelgold, allerdings stand Federer zusammen mit seinem Kumpel Stan Wawrinka in der Doppelkonkurrenz ganz oben auf dem Treppchen.

Das Gold als Solist wird Federer nicht mehr einsammeln können, es wird eine der wenigen Lücken in seiner Trophäensammlung bleiben. Denn auch der 39-Jährige wird bei den Geisterspielen von Tokio fehlen, er begründete seine Absage mit einem kleineren Verletzungs-Rückschlag in den letzten Turnierwochen. Allerdings gibt es bei Federer genau so wie bei vielen anderen aus dem Tennis-Profikosmos Hintergedanken – die fehlende Atmosphäre ohne Fans und die schwierigen Corona-Auflagen sind nicht gerade ein Motivationstreiber, die Reise nach Asien inmitten eines prall gefüllten Terminkalenders anzutreten.

Nadal und Williams sagen ab

In der zweiten Corona-Saison auch für die Tennisbranche mischen sich bei vielen Topakteuren die Motive und Überlegungen. Der Österreicher Dominic Thiem, aktueller US Open-Champion, und die prägende Spielerin im Frauentennis, Serena Williams, sind verletzt angeschlagen. Spaniens Matador Rafael Nadal kann seinem geschundenen Körper nicht mehr ein stressbeladenes Programm zumuten, als Goldmedaillengewinner von Peking hat er ohnehin schon das höchste olympische Ziel erreicht und erholt sich nun lieber daheim auf Mallorca. Novak Djokovic, gerade zum sechsten Mal auf den Wimbledon-Thron gestiegen, hat den echten Grand Slam vor Augen, den Gewinn aller vier Majors in einer Saison. Doch dieser Traum könnte in Gefahr geraten, wenn die Strapazen in Tokio zu groß sind. Eine 50:50-Chance für eine Teilnahme in Japan hatte der „Djoker“ in Wimbledon gesehen, Insider rechnen aber auch bei ihm noch mit einem Rückzug. Der Australier Nick Kyrgios meinte: „Der Gedanke, vor einem leeren Stadion zu spielen, gefällt mir nicht. Das hat er nie.“ Und so war auch er von der Teilnehmerliste verschwunden.

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Auch die Größten im Tennis waren seit der Wiederaufnahme des Sports ins olympische Programm 1988 in Seoul vom Mitwirken berauscht und inspiriert. Doch Grand- Slam-Titel haben immer noch einen höheren Stellenwert als eine olympische Medaille, sie bemessen später den historischen Rang einer Spielerin oder eines Spielers. Angelique Kerber hatte vor fünf Jahren in Rio, wo sie die Silbermedaille gewann, zu Recht festgestellt, „dass für die meisten Sportler die Chance auf den größten Erfolg nur alle vier Jahre einmal besteht“: „Bei uns Tennisprofis kommt das nächste Topturnier aber schon bald.“ Trotzdem schwärmte sie von diesen olympischen Tagen.

Kerbers Teilnahme ist ungewiss

Wie Kerber sich nun entscheidet, ist noch ungewiss – auch für sie ist bei der nüchternen Aufwand- und Ertragsabwägung nicht viel zu gewinnen. Es sei denn, Kerber rechnet sich eine Goldchance aus. Ein starkes deutsches Team wird gleichwohl nach Tokio reisen, allen voran Frontmann Alexander Zverev, der in Abwesenheit vieler Größen berechtigte Chancen auf eine Medaille hat. Auch die Doppel Struff/Zverev und Krawietz/Pütz gehen aussichtsreich ins Rennen. Offen bleibt, ob es zum Traummixed Kerber/Zverev kommt.