London. Angelique Kerber hat sich durch starke Leistungen in Wimbledon in der Weltelite zurückgemeldet. Selbst das Finale war nicht weit weg.
Als Angelique Kerber am Donnerstagnachmittag den Centre Court von Wimbledon verließ, ging sie nicht etwa mit hängenden Schultern aus diesem Theater der Träume. Kerber marschierte aufrecht vom Tennis-Grün, sie winkte unter donnerndem Applaus den Zuschauern zu, sie lächelte sogar über das ganze Gesicht. Auch als Verliererin der Halbfinalpartie gegen Ashleigh Barty konnte und wollte sich die 33-jährige als Siegerin fühlen, als Frau, die sich anderthalb Wochen lang wieder ein neues sportliches Lebensgefühl verschafft hatte.
3:6 und 6:7 verlor die Kielerin gegen die Nummer eins der Welt, der Zugriff auf eine zweite Pokaltrophäe blieb ihr verwehrt – und dennoch war Wimbledon 21, überhaupt die ganze Rasensaison dieses Jahrgangs ein Gewinn. „Es war ein emotionaler Moment nach dem Match, die Standing ovations der Zuschauer. Und mein Stolz, in den letzten drei Wochen wirklich etwas gedreht zu haben“, sagte Kerber später, „ich bin einfach wieder da, vorne mit dabei. Und ich bin dankbar, dass ich diese Reise noch einmal geschafft habe.“ Eines der besten Matches ihrer Karriere habe es gebraucht, um gegen Kerber zu gewinnen, sagte Barty, „sie hat das Beste aus mir herausgeholt.“
„Sie hat sich mit Weltklassetennis in der Weltspitze zurückgemeldet“
Tatsächlich musste sich Kerber nicht grämen oder schämen, der wohl natürlichsten und begabtesten Spielerin im Frauentennis unterlegen zu sein. Auch ohne einen finalen Glanzpunkt werden sich für das Nordlicht im nachhinein gute Erinnerungen mit dieser Wimbledon-Ausgabe verbinden – sie gewann das hochklassigste Match des Turniers in der zweiten Runde gegen die Spanierin Sarah Sorribes, sie schlug Amerikas Supertalent Coco Gauff und die gefährliche Tschechin Karolina Muchova in der zweiten Turnierwoche souverän. „Sie hat sich mit Weltklassetennis in der Weltspitze zurückgemeldet“, sagte TV-Expertin Chris Evert, früher selbst einmal die prägende Figur im Frauentennis. Wozu auch der Titellauf beim „Heimturnier“ in Bad Homburg zählte, es war der erste Turniergewinn seit dem Endspielerfolg 2018 gegen Serena Williams an der Church Road gewesen.
Kerber begann die Partie gegen Barty, die dominierende Spielerin des Tourbetriebs, durchwachsen – und sie beendete das Duell wacklig. Dazwischen lag eine Partie, die auf Augenhöhe geführt wurde, in der nur kleine Nuancen entschieden. Früh lief die deutsche Frontfrau einem 0:3-Defizit hinterher und konnte den Rückstand im ersten Akt des Zweiteilers auch nicht mehr wettmachen. Doch wer anschließend einen Durchmarsch der Australierin erwartet hatte, die vor zehn Jahren das Juniorinnenfinale gewann, sah sich getäuscht. Kerber riss im zweiten Satz entschlossen die Regie an sich, ihre Bälle hatten plötzlich mehr Power und Präzision – und bei einer 5:2-Führung der Rasenkönigin von 2018 sah eigentlich alles nach einer Verlängerung und noch mehr Spannungsmomenten aus.
Zwei Schwächephasen kosten Kerber die Chance aufs Finale
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Aber zwei eklatante Schwächephasen kosteten Kerber dann doch die Chance, ein zweites Mal das Titelmatch beim Turnier der Turniere bestreiten zu können. Bei der Aufholjagd Bartys vom 2:5 zum 5:5 verlor Kerber einmal elf Punkte in Serie. Und nach Kerbers 6:5-Führung gingen noch einmal zehn Punkte an Barty – vier zum 6:6-Ausgleich und dann die ersten sechs Punkte im Tie-Break. Drei Matchbälle konnte Kerber unverdrossen abwehren, aber dann flog ein aussichtsreicher Rückhandball knapp unter der Kante ins Netz – und die wundersame Reise in London SW19 war zu Ende..
Kerber wird nach den besten Tenniswochen der letzten 30 Monate wieder an die Top 20 der Weltrangliste heranrücken. Die Saison könnte noch spannend werden – mit ihr und für sie. Bald schon wartet das nächste Highlight, die Olympischen Spiele der Saison. 2016 hatte Kerber die Silbermedaille in Rio gewonnen, auch in Tokio spekuliert sie auf Edelmetall, übrigens auch im Mixed mit Alexander Zverev. Allerdings brauche ihr Körper zunächst einige Tage Pause nach der Hetzjagd der letzten Wochen, sagte Kerber im Pressegespräch nach dem Halbfinale, „wir müssen jetzt im Team schauen, wie es weitergeht.“ Für Finalistin Barty jedenfalls ist klar: „Angie ist in großartiger Form. Ich würde sagen. Sie ist wieder überall für etwas Besonderes gut“.