Essen/London. Heute beginnt die Darts-WM im Londoner Alexandra Palace. Party-Stimmung wird nicht aufkommen. Dafür ist das Titelrennen spannend wie lange nicht.
Nicht wenige treten zwischen den Jahren die Reise zum Londoner Alexandra Palace an, „um mal dabeigewesen zu sein“. Nirgendwo sonst werden Profisport und Karnevalsstimmung derart vermischt wie bei der Darts-WM. Und im Corona-Jahr? Wird die Stimmung vor Ort fehlen. Das Gute am Schlechten: Die Darts-WM von diesem Dienstag bis zum 3. Januar ist sportlich so spannend wie lange nicht. Fragen und Antworten.
Wie viele Zuschauer sind erlaubt?
Vom 16. bis 23. Dezember wird die WM vor leeren Rängen statt wie bisher geplant mit 1000 Fans (sonst 3000) pro Session ausgetragen. Dies teilte der Weltverband PDC am Montagabend nach einer Entscheidung der Regierung mit. Demnach wird die britische Hauptstadt ab Mittwoch in eine andere Corona-Kategorie eingestuft, weshalb Sport-Events vor Publikum vorübergehend untersagt sind. Der Auftakt heute Abend (ab 19 Uhr/Sport 1 und DAZN) darf noch vor Zuschauern – allerdings ausschließlich englischen – ausgetragen werden. Aber es gelten strenge Auflagen: Keine Verkleidungen, kein Gesang, Alkohol nur am Platz. Für Ally-Pally-Fans wie schales Bier. „Die Partymentalität wird auf Null gestellt“, sagt der frühere WM-Teilnehmer Tomas Seyler im Gespräch mit dieser Redaktion. Der 46-Jährige arbeitet für DAZN als Experte.
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Ab Mittwoch finden dann zunächst für acht Tage Geisterspiele statt. Bis Weihnachten werden im „Ally Pally“ die ersten beiden Runden gespielt, ab dem 27. Dezember geht es mit der dritten Runde weiter. Ob dann Zuschauer erlaubt sind, soll sich in der kommenden Woche entscheiden. Für einige Präzisionssportler könnte die fehlende Kulisse ein Vorteil sein: „Die ersten 16 der Welt sind ja praktisch nur große Bühnen gewöhnt. Aber ab Weltranglistenplatz 30 sieht das anders aus. Das könnte eine WM der Überraschungen werden“, sagt Seyler.
Wer sind die Favoriten auf die Sid-Waddell-Trophy?
96 Spieler aus 29 Nationen machen sich Hoffnungen auf den Siegerpott und die 500.000 Pfund (rund 550.000 Euro) Preisgeld. Die Liste der Anwärter ist lang. „In meinen Augen gibt es keinen Favoriten“, sagt Seyler. „Es gab in diesem Jahr so ein wahnsinniges Durcheinander, dazu kommt der Publikumsfaktor – vielleicht haben wir am Ende einen Weltmeister, den wir noch gar nicht auf dem Zettel haben.“ Ganz oben stehen der Niederländer Michael van Gerwen und Titelverteidiger Peter Wright aus Schottland. Van Gerwen (31) spielte zuletzt schwach, könnte nach sieben Jahren den Weltranglistenplatz eins verlieren. Titel-Chancen werden auch dem Waliser Gerwyn Price (35) eingeräumt. Der frühere Rugby-Spieler erlebte ein phänomenales Jahr. „Er ist auf dem richtigen Weg. Er ist offen und ehrlich mit sich, wusste, wann er platt ist und hat es zugegeben. Die Pause hat er genutzt, um sich zu entspannen und vorzubereiten. Er könnte es diesmal ins Finale schaffen“, sagt Seyler. Sein Bad-Boy-Image habe Price abgelegt. Seyler: „Am Anfang ist es vielleicht geil für den Einstieg, weil die Leute begeistert von dir sind, aber später lenkt es dich nur noch ab. Das hat er jetzt verstanden.“
Und die Deutschen?
Aktuelle Nummer eins ist Gabriel Clemens (37). Der an Platz 31 gesetzte Saarländer hat ein Freilos und könnte in Runde zwei auf den Hessen Nico Kurz (23) treffen. Max Hopp (24) hat am Mittwoch (19 Uhr) gegen den Australier Gordon Mathers eine machbare Aufgabe. Für den Hessen ist es bereits die achte WM, den Erwartungen konnte er bislang nicht gerecht werden. Seyler nimmt Hopp in Schutz: „Darts ist eine Sportart, in der Karrieren 50 Jahre dauern können. Warum also muss jemand in den ersten Jahren Weltmeister werden? Wenn Max Hopp mit 37 Weltmeister wird, ist er immer noch ein grandioser Spieler. Der aktuelle Weltmeister ist 50.“
Warum gab es bislang keinen deutschen Sieger?
Noch nie hat es ein Deutscher ins Achtelfinale geschafft. Dabei blüht der Sport hierzulande seit einigen Jahren auf. Die EM fand jüngst in Oberhausen statt. Seyler stört sich an der Erwartungshaltung: „Wir sind im Aufbau, aber wir sind ein ungeduldiges Land. In allen anderen Sportarten haben wir große Titel geholt. Wir erwarten, dass es schneller geht. Die Niederländer spielen seit zwanzig Jahren professionell Darts. Da muss Deutschland erst mal hin.“