Essen. Abwehrchef Patrick Wiencek wird aus Sorge vor Corona nicht beim Turnier in Ägypten spielen. Weitere deutsche Nationalspieler könnten folgen.
Es ist immer ein wenig irritierend, wenn man auf Patrick Wiencek trifft. Auf dem Feld für die gegnerischen Angreifer, die an dem 31-Jährigen vorbei wollen und dabei so häufig scheitern, wenn sich dieser zwei Meter große Hüne vor ihnen aufbaut. Wenn all das Zerren, Klammern und Schubsen wenig nützt gegen diese so hohe wie breite menschliche Mauer, die sich zentral vor dem Tor auftürmt und die die Gegenspieler brachial an sich abprallen lässt. Irritierend für Journalisten sind erste Treffen mit Patrick Wiencek ebenfalls, weil sich dieser abseits des Spielfeldes als ruhiger, ja schon fast schüchterner Typ herausstellt. Recht schnell ist ihm anzumerken, dass er viel lieber Handball spielt als auf Pressekonferenzen und in Interviews über Handball zu reden. Und doch hat Wiencek nun über Handball gesprochen, und was der 116-Kilo-Mann sagte, hat Gewicht: Patrick Wiencek hat entschieden, im kommenden Januar nicht für die deutsche Nationalmannschaft bei der WM in Ägypten zu spielen.
„Jeder weiß, wie stolz ich auf jedes meiner Länderspiele bin“, sagte der gebürtige Duisburger über seine 146 Einsätze im Nationaldress. Er sei aber nicht nur Nationalspieler, sondern auch Spieler des THW Kiel und vor allem Familienvater: „In dieser Konstellation und in dieser immer noch besonderen Situation hat es sich einfach nicht richtig angefühlt, im Januar vier Wochen weit weg von zu Hause zu sein.“
Unmut der Spitzenklubs
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Damit fehlt Bundestrainer Alfred Gislason bei der WM ab 13. Januar einer der wichtigsten Spieler, ein zentraler Baustein der Abwehr. „Bam Bam“ lautet sein Spitzname, weil Wiencek mit seinen strohblonden Haaren an den gleichnamigen Jungen aus der Zeichentrickserie Familie Feuerstein erinnert. Freundlich, sanft, zugleich bärenstark. Und mutig, wie dieser Entschluss zeigt. Wiencek: „Das war eine der schwersten Entscheidungen meines Sportlerlebens.“ Nun besteht beim Deutschen Handballbund (DHB) die Sorge, dass weitere Spieler dem Beispiel von Patrick Wiencek folgen.
Seit Monaten ist die WM umstritten, immer wieder wird ihr Sinn in Zeiten der Corona-Pandemie hinterfragt. Für den Weltverband IHF und den DHB ist sie enorm wichtig, Sponsorenverträge müssen erfüllt und Wachstumsziele erreicht werden. Alleine die TV-Gelder garantieren Millioneneinnahmen in Zeiten versiegender Geldflüsse. Auch für die Bundesliga galt die Nationalmannschaft stets als größtes Aushängeschild, doch ausgerechnet deren Spitzenklubs THW Kiel und SG Flensburg-Handewitt machen seit dem Sommer ihrem Unmut über die WM-Austragung Luft. Für Weltverbandspräsident Hassan Moustafa mag sie „das Licht am Ende des Tunnels in der Corona-Pandemie“ sein, die führenden deutschen Klubs sehen im Turnier der 32 Nationen jedoch eher die Gefahr eines Corona-Hotspots und damit verbundener Spielausfälle in der Bundesliga und in der Champions League. Gestern erst mussten sich die Kieler mal wieder in Quarantäne begeben, zwei THW-Spieler wurden positiv auf das Coronavirus getestet. Somit droht auch die Bundesligapartie gegen Tusem Essen am Sonntag auszufallen. Das Hinterfragen der WM ist längst auch ein Schutzmechanismus für das eigene wirtschaftliche Überleben in Corona-Zeiten.
Bundestrainer ist niedergeschlagen
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„Ich habe großes Verständnis für Patricks Entscheidung in dieser Zeit“, sagte Bundestrainer Alfred Gislason. „Aber ich bin traurig, dass uns so ein wichtiger Spieler nicht zur Verfügung stehen wird. Uns bleibt nichts anderes übrig, als das Beste daraus zu machen.“ Gislason ahnt, dass die Absage Wienceks womöglich nicht die einzige bleiben wird. „Möglich ist das“, sagte der 61-Jährige geknickt. Dafür müsse man in „jetzigen Corona-Zeiten aber Verständnis haben“. In der Kieler Isolation befinden sich auch Hendrik Pekeler und Steffen Weinhold. Zwei Nationalspieler, die sich mehrfach kritisch zur WM äußerten.
Bis spätestens zum 21. Dezember sollen sich die weiteren Nationalspieler nun entscheiden, ob sie an der WM teilnehmen wollen. DHB-Vizepräsident Bob Hanning vertraut dabei auf die Motivation und Faszination des internationalen Großturniers. Hanning: „Ich glaube, dass alle anderen die WM spielen werden.“