Essen. Ab dem 2. November muss der Amateursport erneut pausieren. LSB-Chef Christoph Niessen warnt vor den Folgen und appelliert an die Politik.

Die Landessportbünde in Deutschland schlagen Alarm: Die beschlossenen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus bedrohen den Amateursport. Ab dem 2. November bleiben bundesweit alle Sporthallen- und plätze für vier Wochen geschlossen. Es ist der zweite Lockdown in diesem Jahr. „Er trifft den Sport ungleich härter als im Frühjahr“, sagt Christoph Niessen (51), Vorstandsvorsitzender des Landessportbundes NRW, im Interview.

Dr. Christoph Niessen, Vorstandsvorsitzender LSB NRW.
Dr. Christoph Niessen, Vorstandsvorsitzender LSB NRW. © WAZ Foto Pool

Herr Niessen, Bund und Länder haben einen vierwöchigen Lockdown für den Amateursport beschlossen. Welche Folgen hat das für die Vereine in NRW?

Christoph Niessen: Das ist eine sehr, sehr bittere Pille für den organisierten Sport. Die Maßnahmen treffen ihn in einer Situation, in der er gerade Mut geschöpft hat. Mit der ganzen Robustheit und Kraft, die ihm Inne wohnt, wird er auch diese vier Wochen überstehen. Nichtsdestotrotz trifft ihn dieser Lockdown ungleich stärker als im Frühling – zum einen, weil die Reserven aufgebraucht sind. Da denke ich nicht nur an Geld, sondern auch an Mut und Engagement. Zum anderen, weil wir auf die Wintermonate zugehen: Wird es bei den vier Wochen bleiben? Eine monatelange Auszeit würde sicher zu irreparablen Schäden führen.

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Im Sommer konnte der LSB vermelden, dass es keine Insolvenzen gab. Kann das auch nach dem zweiten Lockdown so bleiben?

Niessen: Bis zum heutigen Tag ist uns in Nordrhein-Westfalen keine Vereinsinsolvenz zur Kenntnis gelangt. Der Grund ist die großartige Unterstützung durch Landesregierung und Parlament . Circa 750 Vereinen, die in Zahlungsschwierigkeiten waren, konnte geholfen werden. Das wird jetzt verstärkt notwendig sein, weil Vereine bekanntlich nur beschränkt Rücklagen bilden dürfen und diese in der ersten Phase gebraucht wurden.

Die Staatshilfen sind also von noch größerer Bedeutung?

Niessen: Ja. Es ist ganz wichtig, dass diese Programme insbesondere auf Landesebene verlängert werden, auch über das Jahresende hinaus. Denn die Auswirkungen kommen im nächsten Jahr. Da darf die Politik nicht auf die Jährlichkeit von Mitteln schauen. Es ist noch Geld da, die Mittel müssen jetzt unbürokratisch zugänglich gemacht werden. Ich kann die ehrenamtlichen Kräfte in den Vereinen, die ohnehin gebeutelt sind, nicht mit komplizierten Verfahren belasten. Da, wo Lücken entstehen, muss schnell geholfen werden. Wenn sich im Nachhinein zeigt, die Mittel wurden nicht aufgebraucht, kann man einen Teil wieder zurückzahlen. Bei Pferdesportvereinen zum Beispiel, die sehr hart betroffen sind, weil sie ihre Tiere weiterhin versorgen müssen, ist es wichtig, dass erstmal Geld auf dem Konto ist, damit der Verein nicht zusammenbricht.

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Angela Merkel hat noch einmal betont, dass die Maßnahmen verhältnismäßig seien. Teilen Sie die Meinung der Bundeskanzlerin für den Sport?

Niessen: Nichts ist einfacher, als politische Maßnahmen zu kritisieren und in Frage zu stellen. Ich bin fest davon überzeugt, dass uns das in der momentanen Situation überhaupt nicht weiterhilft. Bundes- und Landespolitik mussten eine sehr schwierige Güterabwägung vornehmen. Wir möchten dafür werben, dass insbesondere nach Ablauf der vier Wochen nicht vergessen wird, wie wichtig Bewegung und Zusammensein für die Menschen ist. Der Mensch lebt nicht von Brot allein, das gilt insbesondere für Kinder und Jugendliche. Deshalb appellieren wir ganz dringend an die Politik, den Schulsport aufrechtzuerhalten. Wir sind bereit, mit unseren Trainern zu helfen. Kinder brauchen gerade jetzt in dieser schwierigen Situation mit Angst und Zukunftssorgen Bewegung.

Machen Sie sich Sorgen um den Nachwuchs?

Niessen: Definitiv. Sport und Bewegung müssen gelernt sein. Wenn Kinder und Jugendliche ein Jahr lang kaum Sport machen können, ist das ein verlorener Jahrgang. Das gilt in dramatischem Ausmaß vor allem für diejenigen, die Hochleistungssport betreiben wollen. Ein Olympia-Kaderathlet wird mit dieser Situation besser klarkommen. Er hat ein System, er hat ein professionelles Umfeld. Aber ein Nachwuchssportler, der am Horizont nicht mehr erkennt, dass er seine Leistung erbringen kann, sich mit anderen messen kann, der verliert die Orientierung.

Was muss in vier Wochen passieren?

Niessen: Mich wundert, wie wenig darüber gesprochen wurde, was nach dem Sport-Lockdown sein wird. Ich halte die Vorstellung für naiv, dass wir nach dem 30. November wieder in einen Normalzustand zurückkehren. Denn die Pandemie wird uns weiter begleiten. Ich möchte meinen Appell an die Politik wiederholen: Der organisierte Sport ist in der Lage, ein Angebot zu machen, was zu der Gesamtgesundheit positiv beitragen kann – gerade in einer Krisensituation. Die Politik sollte dies unbedingt im Blick behalten. Der Sport ist kreativ, wir möchten uns anbieten. Wir sind in der Lage, auf gewisse Angebote in der Halle zu verzichten, aber eine Perspektive, Sportplätze über Monate mit Flatterband abgesperrt zu sehen, wäre eine fatale Aussicht. Ich werbe dafür, schon ab morgen mit uns eine gemeinsame Perspektive zu entwickeln - nicht erst zwei Tage vor Ablauf des Lockdowns. Wir brauchen einen Plan für die Menschen, damit sie eine Sicherheit haben.