Bochum. Der Wattenscheider Agit Kabayel boxt an diesem Samstag in Magdeburg. Es ist der erste Kampf vor Zuschauern seit der Corona-Krise.

Spätestens mit dem Gong sollten Boxer besser keinen Abstand mehr halten. Wer das macht, ist entweder müde, bevor es ernst wird, oder ängstlich. Der Wattenscheider Agit Kabayel ist keines von beidem. Nach 16 Monaten Pause steigt der Schwergewichtler auf der überdachten Seebrücke in Magdeburg gegen den Griechen Evgenios Lazaridis in den Ring, gekämpft wird um den Continental-Titel der WBA. Der Kampfabend am Samstag (22.35 Uhr im MDR und auf sportschau.de) ist die erste Profi-Box-Veranstaltung in Deutschland vor Zuschauern seit Beginn der Corona-Krise. Die Behörden erlauben auf Basis des Hygiene-Konzepts den Zutritt von bis zu 1000 Menschen. „Für mich bleibt der Ring der Ring. Ob im Freien oder in der Halle. Ich freue mich darauf, dass ich die Chance kriege, vor Zuschauern zu boxen“, sagt der 27-jährige Deutsche mit kurdischen Wurzeln im Gespräch mit dieser Redaktion.

Agit Kabayel kehrt an den Ort zurück, an dem er seinen größten Erfolg feierte. 2016 wurde der Profi von SES Boxing auf der Seebrücke Europameister. Den Titel hat er mittlerweile zurückgegeben, weil er höher hinaus will – bis zum Weltmeister-Titel: „Daran hat sich in den letzten eineinhalb Jahren nichts geändert. Ich will Weltmeister im Schwergewicht werden, das bleibt mein Ziel.“

K.o.-Schlag durch Corona

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Die Corona-Krise traf Agit Kabayel mit der Wucht eines K.o.-Schlags. Nach der erneuten EM-Titelverteidigung im März 2019 hatte Kabayel einen Deal mit dem US-Sportsender ESPN (der Kampf am Samstag wird in den USA übertragen) und dem Unternehmen Top-Rank von Promoter-Legende Bob Arum unterzeichnet. Der 88-jährige New Yorker betreute einst Muhammad Ali. Heute zählt Manny Pacquiao zu seinen bekanntesten Boxern. Agit Kabayel legte den EM-Gürtel nieder, wollte in den USA kämpfen und der erste deutsche Schwergewichts-Weltmeister seit Max Schmeling werden.

Am 28. März sollte er zunächst gegen den Polen Mariusz Wolf antreten, doch der Kampf fiel der Corona-Pandemie zum Opfer. „Anfangs war ich zwei Wochen zu Hause, da fällt einem wirklich die Decke auf den Kopf. Dann habe ich angefangen zu joggen und in meinem Garten in Wattenscheid zu trainieren“, erzählt Agit Kabayel. Kontakt mit seinem Trainer Sükrü Aksu war nicht möglich. Kabayel musste warten: „Zum Glück habe ich ein starkes Umfeld. Meine Familie und meine Freunde haben mich immer wieder aufgebaut.“

Fußballkollege von Leroy Sané

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Die lange Pause hat den früheren Wattenscheider Fußballkollegen von Nationalspieler und Ex-Schalker Leroy Sané nachdenklich gemacht. Den Fokus hat er beibehalten, vieles andere hinterfragt. Er will professioneller werden, mehr mit Ernährungsberatern und Physiotherapeuten zusammenarbeiten. „Bislang war ich immer in den Vorbereitungen verletzt, diesmal nicht“, sagt er.

Auch Agit Kabayels Art zu reden ist die eines Boxers. Manche Sätze ähneln Wirkungstreffern, wie wenn er sagt: „Ich bin die letzten sechs Wochen durch die Hölle gegangen. Ich bin froh, dass die Vorbereitung vorbei ist.“ Oder über die Fähigkeiten des 32-jährigen Lazaridis gefragt: „Wenn du oben stehst, bist du immer der Gejagte. Ich werde mich aber nicht jagen lassen.“

„Posen ist doch unnötig“

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Aber wenn es grundsätzlich wird, nimmt Agit Kabayel Fahrt auf, seine Worte werden zu raschen Kombinationen. „Wir in Deutschland können uns aussuchen, was wir essen. In anderen Ländern ist das nicht so“, beginnt Agit Kabayel. „In der Türkei, in dem Dorf, aus dem meine Familie kommt, wurde einer Familie der Strom abgestellt, weil sie ihn nicht bezahlen konnten. Der Vater der Kinder hat sich umgebracht, weil er nicht mehr wusste, wie er seine Familie ernähren sollte.“

Er lässt kurz ab, sagt dann: „Wir vergessen manchmal, in welchem Luxus wir leben. Alle wollen zeigen, dass sie Gucci tragen, dass sie teure Uhren haben. Ich kann mich da nicht rausnehmen, aber das ganze Posen ist doch unnötig. Da fragt man sich, in was für einer Gesellschaft man lebt. Ich will den Leuten zurufen: Ey schaut mal, wie schön das Leben ist.“ Am Samstag will er mit einem Sieg sein eigenes Leben noch ein wenig schöner machen.