Essen. Merlene Ottey lief noch mit 52 bei einer EM. Sie ist eine der Größten ihres Sports. Doch ihre Karriere hat auch Makel. Am 10. Mai wird sie 60.

Den größten Sportstars der Nation hat Jamaika Statuen gebaut. Dem Olympia-Helden von 1976, Don Quarries, zum Beispiel. Sprint-Superstar Usain Bolt natürlich. Oder Olympiasiegerin Veronica Campbell-Brown. Auch von Merlene Ottey steht eine Statue vor dem Nationalstadion in Kingston.

Noch heute gilt sie als eine der erfolgreichsten Leichtathletinnen der Geschichte. In den 1990er-Jahren war sie ein Sprint-Star. Sie war schnell, sie sah gut aus. „Mannequin in Motion“ wurde sie genannt. Insgesamt gewann Merlene Ottey 14 WM-Medaillen, wurde dreimal Weltmeisterin. Sie nahm an sieben Olympischen Spielen in Folge teil, das erste Mal 1980 in Moskau, das letzte Mal 2004 in Athen. Sie gewann neun Medaillen – über 100 Meter, über 200 Meter und mit der 100-Meter-Staffel. Nur der Olympiasieg blieb ihr verwehrt. Veronica Campbell-Brown sieht in Ottey „eine Inspiration für die ganze Nation“. Usain Bolt nannte sie „the legendary queen“, die legendäre Königin. Am Sonntag feiert Merlene Ottey, die seit 1998 in Ljubljana lebt und seit 2002 die slowenische Staatsangehörigkeit hat, ihren 60. Geburtstag.

Die ewige Sprinterin

Öffentlich ist es ruhig um sie geworden. Doch während der heute 33 Jahre alte Usain Bolt 2017 in den Sprint-Ruhestand gegangen ist, hatte Ottey aus ihrer Sprint-Karriere einen Marathon gemacht. Bei den Olympischen Spielen 2000 wurde sie mit 40 Jahren zur ältesten Olympia-Medaillengewinnerin in Laufwettbewerben. Auf großer Bühne startete Ottey, die ewige Sprinterin, 2012 zum letzten Mal – mit der slowenischen Staffel bei den Europameisterschaften in Helsinki. Mit 52 Jahren.

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Während man in Ausdauerdisziplinen häufiger ältere Athleten auf Topniveau erlebt, ist dies im Sprint äußerst ungewöhnlich. Ottey sagte 2014: „Ich glaube, meine biologische Uhr tickt langsamer, weil ich mich immer jünger gefühlt habe, als ich eigentlich bin. Ich habe bis 2012 auf dem höchsten Level Wettkämpfe bestritten. Sprinten war und ist mein Leben.“ Und: „Wenn ich mich umschaue, sehe ich andere Leute, die mit 75 bis 100 Jahren noch Wettkämpfe bestreiten. Es gibt kein Limit.“

Das Verschieben von Grenzen war das eine in der Karriere von Merlene Ottey. Der Makel der ewigen Zweiten das andere. Beides trieb sie in ihrer Karriere stets an, brachte sie zu Höchstleistungen.

Vom kleinen Dorf in die große Sportwelt

Geboren wurde Merlene Ottey 1960 als viertes von sieben Kindern. Sie wuchs in einem kleinen Dorf in Hanover Parish auf Jamaika auf. Es gab kein fließendes Wasser, keine Elektrizität, kein Telefon. „Viele Male lief ich barfuß zur Schule“, erzählte Ottey einmal. Von Olympia hörte sie zum ersten Mal als sie 14 Jahre alt war. Eigentlich wollte sie Modedesignerin werden, doch nun hatte sie ein neues Ziel. Mit 18 kam sie dank eines Stipendiums an die Universität von Nebraska in den USA, studierte, machte ihren Abschluss. „Ich bin sehr dankbar, mich so weiter bilden und mein Talent verbessern zu können.“ So begann ihre Sprint-Karriere, die zu einem Marathon werden sollte.

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Die Herzen des deutschen Leichtathletik-Publikums gewann die hübsche Merlene Ottey 1993. Bei der Weltmeisterschaft in Stuttgart verpasste die Jamaikanerin den Sieg über 100 Meter um einen Wimpernschlag und nach einer umstrittenen Juryentscheidung. Natürlich war sie sauer, gefrustet, für sie zählte da längst nur noch Gold. Doch sie zog Kraft aus der Niederlage und wurde Weltmeisterin über 200 Meter – die stehenden Ovationen im voll besetzten Stadion dauerten drei Minuten. „Ich glaube, das Publikum reagierte so, weil ich immer da war, es immer wieder versuchte, immer mein Bestes gab. Ich würde nie aufgeben“, sagte sie damals.

Dopingvorwürfe erschütterten Otteys Karriere

Doch wie so viele herausragende Sprintkarrieren ist auch die von Merlene Ottey nicht ganz sauber. 1999 wurde sie positiv auf Anabolika-Steroide getestet. Sie wurde gesperrt, verpasste die WM. Doch sie bestritt immer, gedopt zu haben. Sie und ihr Verband legten Einspruch ein. Der Leichtathletikweltverband sprach Ottey letztlich wegen eines mutmaßlichen Laborfehlers von allen Vorwürfen frei, sie durfte nach Sydney zu Olympia. Doch der Makel blieb. Ihr Trainer Srdjan Djordevic sagte 2000: „Das Bild, das 20 Jahre lang aufgebaut wurde, ist im vergangenen Jahr irreparabel beschädigt worden.“

Ottey gab aber auch diesmal nicht auf, gewann Medaillen in Sydney. 2002 wurde sie Slowenin. Für ihre Wahlheimat startet sie 2004 noch einmal bei Olympia. Danach folgten keine großen Titel mehr. Eine der Größten ihres Sports bleibt sie dennoch.