Doha. Zwei Jahre nach der Geburt ihres Sohnes Zyon lief Shelly-Ann Fraser-Pryce über 100 Meter bei der Leichtathletik-WM in Doha zum Titel.
Plötzlich stand die Frau, der bei dieser WM alles gelang, doch vor einem Problem. Shelly-Ann Fraser-Pryce wollte ihren Triumph im 100-Meter-Finale der Leichtathletik-WM in Doha mit ihrem zweijährigen Sohn Zyon feiern. Doch die Entfernung zwischen der Tribüne, wo der Sohn saß, und dem Inneren des Khalifa-Stadions, wo Mama jubelte, war zu groß. Also drückte Papa Jason Pryce den kurz aufquengelnden Sohnemann einem Helfer in die Hände, der Zyon zu Mama brachte. Auf ihrem Arm konnte der Kleine wieder lachen – und ließ Shelly-Ann Fraser-Pryce an diesem Abend noch heller strahlen.
Fraser-Pryce ist die älteste 100-Meter-Siegerin der WM-Geschichte
Später in der Nacht trat die nur 1,52 Meter große Jamaikanerin mit ihrem an ihrer Schulter schlummerndem Sohn vor die TV-Kameras und sagte: „Ich bin so glücklich, hier zu sein und den Titel gewonnen zu haben – als Mutter, mit 32 Jahren. Ich hoffe, ich kann alle Frauen inspirieren, die eine Familie haben oder dabei sind, eine zu gründen.“
Auch interessant
Shelly-Ann Fraser-Pryce hat zwei Jahre nach der Geburt ihres Sohnes in Katars Hauptstadt Einmaliges geschafft: Sie ist die älteste 100-Meter-Siegerin der WM-Geschichte und hat nun als erste Frau viermal den Sprinttitel gewonnen. Schon im Vorlauf und Halbfinale hatte sie dominiert. Nach ihrem Raketenstart im Finale stoppte die Uhr im Ziel bei spektakulären 10,71 Sekunden.
Nach einem Jubelschrei wich alle Härte der Anspannung aus ihrem Gesicht und wurde von gelächeltem Glück abgelöst. Die Konkurrenz freute sich mit Fraser-Pryce, obwohl sie deutlich abgehängt wurde: Die britische Europameisterin Dina Asher-Smith holte in 10,83 Sekunden Silber, die Ivorerin Marie-Josee Ta Lou (10,90) Bronze.
Doch es war nicht allein die Überlegenheit, die den Sieg von Fraser-Pryce an diesem Abend so besonders machte. Genauso wenig waren es ihre langen, in sämtlichen Tönen der Farbpalette getupften Haare – nicht echt allerdings –, die einen Tag vorher noch in Jamaika-Gelb geleuchtet hatten und über die sie mal gesagt hatte: „Wenn die Haare bunt und hübsch sind, fühle ich mich gut.“
Mutter und Weltmeisterin - das gilt noch immer als ungewöhnlich
Nein, es war das Zeichen, das sie sendete und das ihren Sieg so bedeutend machte. Sie sei stolz nach der Geburt ihres Sohnes wieder da zu sein, „Grenzen zu durchbrechen“.
Später auf der Pressekonferenz verdeutlichte Shelly-Ann Fraser-Pryce ihre Botschaft: „Dass Zyon, das hier heute Abend miterleben kann, ist ein Moment, den ich in Ehren halten werde. Er erinnert mich daran, wie viel ich arbeiten und als Frau kämpfen musste“, sagte die Olympiasiegerin von 2008 und 2012 und erklärte: „Die Welt meint, du solltest mit einem Baby warten, bis du aufgehört hast. Aber ich hatte andere Pläne.“
Während Männer wie zuletzt 100-Meter-Bronze-Gewinner Andre De Grasse aus Kanada häufiger mit ihren Kindern auf der Ehrenrunde zu sehen sind, ist solch ein Bild bei Frauen selten. Mutter und Weltmeisterin? In der Leichtathletik, vor allem im Sprint, gilt das noch immer als ungewöhnlich.
Shelly-Ann Fraser-Pryce glaubte daran, dass alles möglich ist. Also hat sie hart gekämpft, um körperlich und mental wieder in Form zu kommen. Sie sagt, „es war eine lange Reise“, auf der sie auch Zweifel hatte. „Ich habe mir Sorgen gemacht, ob ich ein Comeback schaffe.“
Auch Allyson Felix gab ein starkes Comeback nach Babypause
Doch am Ende stand sie ganz oben – genauso wie die Chinesin Hong Liu (32). Sie gewann als Mutter den Geherinnen-Wettbewerb über 20 Kilometer. Und auch US-Star Allyson Felix (33) gab bei dieser WM ein starkes Comeback nach Babypause. Mit der Mixed-Staffel über die 4x400-Meter holte sie ihren insgesamt zwölften WM-Titel – Rekord. So oft gewann nicht einmal der Sprint-Superstar im Ruhestand, Usain Bolt, WM-Gold. „Es ist immer schön, ein Stück Geschichte zu schreiben“, sagte Felix. „Aber dieses Jahr war eine Herausforderung für mich.“ Es sei etwas Besonderes, den Erfolg in Doha jetzt mit ihrer erst im Dezember geborenen Tochter erleben zu können.
Sie alle drei haben gekämpft, sie alle drei haben gewonnen – am Ende sogar mehr als Gold.