Essen. Der Pferderennsport ist krisenerprobt. Trotzdem ächzt er unter Corona. Die Krise schlägt auf drei Ebenen zu. Bahnbetreiber fordern Freigabe.
Uwe Küster fühlt sich etwas einsam. „Ich sitze hier auf einer leeren Trabrennbahn“, sagt er am Telefon. 150.000 Quadratmeter um ihn herum, eine Bahn, auf der Pferde traben sollten, und ein nachdenklicher Rennbahnpräsident, der nicht weiß, wann und ob es in Gelsenkirchen weitergeht. „Wir hatten eine wunderschöne Saison vor uns. Wir waren richtig gut drauf. Aber wer rechnet mit so etwas?“, fragt der Gelsenkirchener. „Ein halbes Jahr Pause würde uns sehr weh tun. Wir leben für den Sport.“
Doch der Sport findet wegen der Corona-Pandemie seit Wochen nicht statt. Nicht in der Halle, nicht in den Stadien, nicht auf den Rennbahnen. Aber gerade der Pferderennsport kann eine weitere Krise nicht gebrauchen. Deshalb hoffen die Rennbahnbetreiber der Region, dass sie Grünes Licht für einen Neustart ohne Zuschauer bekommen.
Trabrennbahnen mit gemeinsamem Konzept
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Die Bahnbetreiber haben gemeinsam ein Konzept erarbeitet, nach dem Hygiene- und Kontaktregeln eingehalten werden sollen. Fahrer müssen vor und nach den Rennen Mundschutz tragen, der Zutritt zur Bahn ist dem Publikum untersagt. „In jedem Ikea haben sie ein größeres Infektionsrisiko“, sagt Küster. Wenn die jeweiligen lokalen Behörden das Okay gäben, sähe der Plan wie folgt aus: In Gelsenkirchen starten die Traber am 6. Mai, in Dinslaken am 9. Mai, in Mönchengladbach am 21. Mai. Im Galopp könnte es in Dortmund und Düsseldorf Mitte Mai losgehen.
Doch fernab der allgegenwärtigen Wörter „könnte“, „sollte“ und „müsste“ zeigt der Pferderennsport, wie vielschichtig die Auswirkungen des Coronavirus sein können. Es geht um Vereine, um Arbeitsplätze – und um eine Tradition, die viel gelitten und doch überlebt hat. Bis jetzt.
Die Vereine
Die Bahnbetreiber erklären unisono, dass „Geisterrennen“ den Vereinen keinen Gewinn bringen. „Die Rennvereine machen bei solchen Rennen ohne Einnahmen vor Ort eher ein Minus“, sagt Andrea Höngesberg, Geschäftsführerin des Düsseldorfer Reiter- und Fahrvereins. Das kann gefährlich werden.
Der Unterhalt der Bahnen ist teuer, weshalb sie schon seit langem vielfältig genutzt werden: Für Hochzeiten, Trödelmärkte, Golfsport, Konzerte. Die Vereine sind auf die Einnahmen angewiesen, doch Mietzahlungen bleiben derzeit aus. Ein Beispiel vom Dortmunder Rennverein: Traditionell findet an Christi Himmelfahrt (21. Mai) der Sparkassen-Cup statt. Etwa 15.000 Menschen würden auf der Anlage erwartet, sagt Vereinspräsident Andreas Tiedtke. „Das ist jetzt schwer vorstellbar.“ Die Unterhaltskosten für die historische Anlage in Dortmund-Wambel belaufen sich auf 300.000 Euro im Jahr.
Die Arbeitsplätze
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Warum also Rennen ohne Zuschauer? „Weil am Ende 3000 Arbeitsplätze davon abhängen“, sagt Dortmunds Präsident Tiedtke. Trainer, Reiter oder Fahrer werden ausgebildet. Sie verdienen ihr Geld mit dem Sport, ihrem Beruf. „Keine hochbezahlten Jobs“, sagt Tiedtke. Deshalb treffen die Beschränkungen sie am härtesten. „Die Unsicherheit ist momentan sehr groß“, sagt Rennsekretär Detlef Orth vom Niederrheinischen Trabrennverein Dinslaken.
Trainiert wird noch auf einigen Anlagen. Aber wichtiger sind die Rennen, die regelmäßigen Leistungsprüfungen. Mit guten Pferden wird gutes Geld erzielt, wofür weitere gute Pferde ausgebildet und trainiert werden können. Ein ewiger Kreislauf. In England, wo laut Tiedtke etwa 20.000 Arbeitsplätze betroffen seien, rechne man mit Millionenverlusten. Die Auswirkungen in Deutschland sind noch nicht überschaubar, aber die Zukunftsfrage quält schon jetzt. „Wie betreibe ich denn Rennsport, wenn keine Pferde mehr da sind?“, fragt Tiedtke. Die Sorge ist groß, dass sich die Branche diesmal nicht mehr erholt. „Wenn der Sport einmal brach liegt, wird er schwer wieder auf die Beine kommen“, sagt der Dinslakener Orth.
Die Tradition
Dabei kann der Pferderennsport mit Krisen umgehen. „Wir haben einen Vorteil“, sagt der Gelsenkirchener Präsident Uwe Küster, „wir sind unglaublich überlebensfähig.“ Die Region an Rhein und Ruhr hat eine überraschende Dichte an Rennbahnen, was mit der langen Tradition zusammenhängt. Auf manchen Anlagen gibt es noch Bilder von früher: als Männer mit dicken Zigarren wie gefesselt an der Bande stehen und um ihren Monatslohn fürchten.
Während die Sulky-Spezialisten den Nervenkitzel für die „kleinen Leute“ symbolisierten, galten die Galopprennbahnen als vornehme Orte. Beide Stereotypen mögen heute hin und wieder anzutreffen sein, doch offensichtlicher ist der Publikumsschwund. Gerade auf den Trabrennbahnen sind die Zuschauer überwiegend älter, weshalb „Geisterrennen“ für die Bahnbetreiber wirklich schauderhaft sind. „Die Leute, die nicht kommen, werden nicht zu Hause wetten“, befürchtet Orth. Auf Pferde wird heute im Internet gewettet – was Fluch und Segen ist. Der Sport geht weiter, aber die Tradition droht einen leisen Tod zu sterben, den die Corona-Krise beschleunigen könnte.