Essen. Ein Sommer ohne Spiele: Durch die Verschiebung haben die Athleten endlich Klarheit. Doch die Terminfindung wird schwierig.

Die Olympische Flamme bleibt in Japan. Das ist die gute Nachricht an diesem Dienstag, den 24. März 2020, der als trauriger Tag in die Sport-Geschichtsbücher Eingang finden wird. Die Olympischen Spiele werden zum ersten Mal in ihrer 124-jährigen Historie verschoben. Die Spiele in Tokio, angesetzt für den 24. Juli bis zum 9. August, wird es aufgrund der Corona-Pandemie erst 2021 geben. „Ich habe eine Verschiebung um ungefähr ein Jahr vorgeschlagen und Präsident Bach war zu 100 Prozent einverstanden“, sagte Japans Premierminister Shinzo Abe am Dienstagmittag nach einer Telefonkonferenz mit dem deutschen Chef des Internationalen Olympischen Komitees.

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Ein genauer Zeitpunkt steht noch nicht fest, die Terminfindung dürfte schwierig werden. Im Sommer 2021 sind bereits drei große Wettbewerbe angesetzt: die bereits verschobene Fußball-EM (11. Juni bis 11. Juli), die Leichtathletik-WM in den USA (6. bis 15. August) und die Schwimm-WM in Japan (26. Juli bis 1. August). Die weiteren wichtigen Fragen: Werden wieder die heißen Sommermonate Juli/August gewählt? Wo sollen die 11.000 Athleten überhaupt unterkommen, wenn die Wohnung im Olympischen Dorf schon über den Sommer 2020 hinaus verkauft oder vermietet sind?

DOSB lobt Entscheidung

Thomas Bach drückte dennoch seine Hoffnung aus, dass Olympia im nächsten Jahr „ein Fest der Menschlichkeit und eines Überstehen der Pandemie sein“ könne. Deutschland reagierte überwiegend positiv auf die Verschiebung der Olympischen und Paralympischen Spiele. Jürgen Kessing, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, nannte die Verschiebung „eine für die Glaubwürdigkeit des Sports enorm wichtige Entscheidung“. Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, lobte dies als „einen richtigen und enorm wichtigen Schritt für den internationalen Sport und die gesamte Weltgemeinschaft“.

Bach in der Defensive

Doch bis dahin hatten das IOC und der Gastgeber alles dafür getan, die Flamme größer zu machen – komme, was wolle. Thomas Bach, 1976 als Fechter Mannschafts-Olympiasieger, schien in den vergangenen Wochen eine neue Leichtfüßigkeit in der Verteidigung zu entwickeln. Wie auf der Planche wich er vor den Zweifeln zurück. Ein, zwei schnelle Schritte und Gegenangriff. Er schrieb Briefe an die Athleten und versicherte öffentlich, dass die Eröffnungsfeier am 24. Juli erfolgreich werden würde, trotz genauester Beobachtung der Lage. Diese verschärfte sich mit jedem Tag. Die Zahl der Infizierten klettert rasant, weltweit haben sich laut der Johns-Hopkins-Universität 395.000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, 17.241 Menschen starben.

Schwere Stunden: Japans Premierminister Shinzo Abe.
Schwere Stunden: Japans Premierminister Shinzo Abe. © dpa | CHARLY TRIBALLEAU

Am Wochenende verlor Bach dann doch den Kampf gegen die Zweifler. Erst kündigte der DOSB an, seine Athleten hinsichtlich einer Olympia-Teilnahme zu befragen, dann rückten Kanada und Großbritannien von den Spielen ab. Das IOC lavierte, binnen vier Wochen sollten die Szenarien analysiert werden. Doch dann folgte der Auftritt eines 78 Jahre alten Kanadiers: Richard Pound, eine IOC-Institution, erklärte am Montagabend der USA Today, die Spiele würden sicher verschoben. Das IOC versuchte zu parieren, doch Anführer Bach hatte das Ende der Planche erreicht.

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Dass die USA kurz darauf ebenfalls ihre Teilnahme verweigerten, machte die Verschiebung unausweichlich. In einer Telefonkonferenz am Dienstag wurde der historische Schluss gefasst. Die Flamme wird gedrosselt. Fürs erste.

Spekulationen um Zeitspiel des DOSB

Noch vor diesem Telefonat kamen Spekulationen auf, das IOC würde aus finanziellen Gründen auf Zeit spielen, um Japan zum Verzicht zu bewegen. In der offiziellen Mittelung steht davon selbstredend nichts, vielmehr wird der Inhalt des Telefonats ausführlich geschrieben. Darin hätten Präsident Bach und Premierminister Abe „ihre gemeinsame Besorgnis über die weltweite Covid-19-Pandemie“ zum Ausdruck gebracht. Das Gespräch sei sehr „konstruktiv und harmonisch“ gewesen. Wer Druck ausgeübt hat, wird vielleicht später ans Tageslicht kommen. Fest steht, dass dem IOC und Japan milliardenschwere Verluste drohen.

Hohe Verluste durch Verschiebung

Zu einem Teil ist Olympia historischer Wettkampf der Athleten, zu einem anderen Teil Geldmaschine und Antriebsmotor für die austragende Region. Sponsoren, TV-Rechteinhaber, Baufirmen, Tourismus-Unternehmen gehören zu den Gewinnern Olympischer Spiele. Ihnen droht nun ein immenser Verlust. Japan soll laut Experten beispielsweise 5,9 Milliarden Euro verlieren.

Doch darüber zu urteilen, ist verfrüht. Noch befindet sich die Menschheit im Tunnel. Bei den Athleten herrscht erstmal Erleichterung: Weil sie Klarheit haben und nicht fürchten müssen, Figuren stoischer Puppenspieler zu werden. „Es hat sich gezeigt: Wenn alle an einen Strang ziehen, Athleten und nationale Verbände, dann ist man nicht machtlos. Deswegen ist das für mich ein freudiger Moment“, sagte Speerwurf-Olympiasieger und Athletensprecher Thomas Röhler. „Der olympische Traum ist damit nicht ausgeträumt, er wird nur um ein Jahr verschoben.“