Essen. Olympia in Tokio wird es erst 2021 geben. Für die Sportler ist es ein Riesenerfolg - für IOC-Präsident Thomas Bach ein Desaster. Ein Kommentar.
Auch wenn das Internationale Olympische Komitee und sein mächtiger Präsident ein anderes Bild in die Welt tragen wollten: Thomas Bach und das IOC haben schon lange die Kontrolle über die Situation verloren, die nun für einen außergewöhnlichen Moment in der olympischen Geschichte sorgt. Die Sommerspiele werden nicht im Juli in Tokio ausgetragen, weil die Lage der Welt solch eine Massenzusammenkunft nicht zulässt. Die Corona-Pandemie umspannt den Globus, täglich sterben viel zu viele Menschen daran, die Wirtschaft steuert auf eine Rezession und Deutschland laut der Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg zu. Die Verschiebung um ein Jahr, zu der die obersten Olympioniken und die Gastgeber nun gezwungen sind, war unausweichlich.
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Dies ist ein Erfolg, den sich vor allem die Sportlerinnen und Sportler weltweit auf die Fahne schreiben dürfen. Ihr Druck, ihr Drängen auf eine Verschiebung ist dafür verantwortlich, dass nun alle Gewissheit haben. Sie wollten mit ihren klaren Bekenntnissen Olympia keinesfalls Schaden zufügen.
Auch die Aussicht auf unfaire Wettkämpfe – weil viele sich noch qualifizieren hätten müssen, die Athleten sich auf diese Wettkämpfe nur höchst unterschiedlich vorbereiten können und überdies aufgrund ausgesetzter Dopingkontrollen nicht klar gewesen wäre, wer sauber nach Tokio reisen würde – war nicht ihr Antrieb. Es ging um ihre Gesundheit. Jetzt, in ein paar Wochen und auch im Juli. Olympia darf nicht als gigantisches Viren-Reiseunternehmen in den Gedächtnissen verankert bleiben.
Die Hinhaltetaktik des IOC war würdelos
Am Wochenende begann das dünne Brett, auf dem Athleten symbolisch ihre Proteste tonnenschwer abgelegt hatten, bereits bedenklich zu knarzen. Nun ist es über Bach und dem IOC, dessen jämmerliche Hinhaltetaktik mit der vierwöchigen Bedenkzeit nicht einmal 48 Stunden gehalten hat, zusammengekracht. Sollte der IOC-Boss wirklich geglaubt haben, Herr über das Virus werden und die Krise aussitzen zu können, ist er nun eines Besseren belehrt worden. Nur: Von Einsicht kann ganz und gar nicht die Rede sein.
Was das Ganze auch für Bach zu einem persönlichen Fiasko werden lässt. Er vermittelt immer das Bild der geeinten Olympischen Familie, die an einem Strang zieht, die mit einer Stimme spricht. Am Ende gingen die paar verbliebenen dünnen Stimmchen, die von Bach und seinen endlos treuen Gefolgsleuten, unter im Chor derer, um die es letztlich in dieser Angelegenheit geht: die Sportlerinnen und Sportler. Ihre Stimmen formierten sich zu einem Protest, der in die Geschichte des Internationalen Olympischen Komitees eingehen wird. Und der Bach zu seinem Desaster auch noch in die Position bringt, dem bisher schaurigsten IOC-Anführer, Juan Antonio Samaranch, dessen unrühmlichen Rang streitig zu machen.
Die Wünsche der Sportler und die der IOC-Funktionäre sind unterschiedlicher denn je
Natürlich nehmen bestehende IOC-Verträge und Milliardenverluste eine immens wichtige Rolle in diesem unwürdigen Spiel ein. Olympia ist nicht bloß ein Sportevent, es ist ein gigantisches Unternehmen. Aber aus dieser Partie konnte kein Sieger hervorgehen. Weder der Veranstalter oder der Gastgeber der Spiele – noch die Athleten oder die Besucher. Fraglich bleibt, ob sie alle in einem Jahr, wenn noch nicht absehbar ist, ob die Pandemie dann in Griff ist, sorgenfrei zu einem Olympischen Fest der Freude zusammenkommen können.
Die Verschiebung ist also zu begrüßen. Der Weg dorthin, die quälende Entscheidungsfindung zeigt eines überdeutlich: Die Wünsche und Träume der Athleten sowie die der obersten IOC-Funktionäre sind unterschiedlicher denn je.