Wien. Christian Schwarzer, Weltmeister von 2007, kritisiert den Deutschen Handballbund. Ein Gespräch über die EM und das deutsche Team.
Mittlerweile lebt Christian Schwarzer (50) in Blieskastel und ist Jugendkoordinator und -trainer beim Handball-Verband Saar. Die Kleinen dort werden von einem der ganz Großen des deutschen Handballs betreut. Von Blacky, dem einst so kompromisslosen Kreisläufer, dessen Abende seit zwei Wochen gleich aussehen: Im Hause des Welt-und Europameisters laufen Spiele der Handball-EM. Ein Gespräch über das Turnier, die deutsche Mannschaft und über Bundestrainer Christian Prokop.
Herr Schwarzer, wenn Sie dieser Tage die Spiele der deutschen Handballer bei der EM sehen und Johannes Bitter im Tor steht – fragen Sie sich dann ganz kurz, ob da im Fernsehen Ausschnitte aus einem Spiel von 2007 laufen?
Christian Schwarzer: (lacht) So schlimm ist es nicht, aber man muss sich bei dem Anblick ja schon wundern, dass diese WM mittlerweile 13 Jahre her ist – und Jogi noch immer auf allerhöchstem Niveau spielt. Es ist einfach schön, ihm jetzt auch bei er EM zuzugucken. Er hilft dieser Mannschaft mit seiner Wahnsinns-Erfahrung auf und neben dem Spielfeld. Und Jogi ist auch einfach ein richtig guter Typ.
Sie denken nicht: Ich wäre auch gerne noch auf dem Spielfeld?
Schwarzer: Nein. Das habe ich 22 Jahre lang auf höchstem Niveau machen dürfen, jetzt ist es Zeit für andere. Wir haben noch unser Ehemaligen-Team, in dem unter anderem Daniel Stephan, Markus Baur, Stefan Kretzschmar und Henning Fritz mitspielen, meist machen wir das zu Benefizzwecken. Sieht alles nicht mehr so dynamisch aus wie früher, aber ein bisschen können wir auch noch auf die Platte bringen. Bei den großen Turnieren guck ich dann doch lieber nur zu (lacht).
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Johannes Bitter war ihr Teamkollege beim Gewinn des WM-Titels 2007. Wie macht er sich aus Ihrer Sicht bei der EM 2020?
Schwarzer: Für Jogi ist das eine ganz tolle Sache und ich denke, dass das Gespann Andreas Wolff/Johannes Bitter ein sehr harmonisches ist. Jogi muss niemandem mehr etwas beweisen, er geht aufs Spielfeld und hat einfach Spaß daran, Handball zu spielen. Er sitzt nicht draußen auf der Bank und hofft, dass Wolff nichts hält, damit er spielen kann. Er ist ein absoluter Teamplayer, das war schon in unseren Zeiten so. Als Duo mit Henning Fritz hat er das ja auch bewiesen, man denke nur ans WM-Finale 2007, als Henning sich in der zweiten Halbzeit verletzte und Jogi nach holprigem Start am Ende das Tor vernagelt hat und wir Weltmeister wurden.
Überraschungen gibt es auch jetzt: Dänemark raus, Frankreich raus, Schweden vor dem Halbfinale gescheitert – was ist das für eine EM?
Schwarzer: Eine sensationelle. Es ist einfach schön zu sehen, wie eng die europäische, also die Weltspitze, da zusammengerückt ist. Da schlägt mitunter jeder jeden und diese Ausgeglichenheit macht einfach Spaß. Ich habe vor dem Turnier auch gesagt, dass Dänemark ein Stück besser ist als der Rest, und wurde wie alle anderen auch eines Besseren belehrt. Es ist eine Floskel, aber jedes Spiel muss erst einmal bis zum Abpfiff gespielt werden.
Deutschland spielt am Samstag in Stockholm um Platz fünf. Völlig okay? Oder zu wenig?
Schwarzer: Ich finde es soweit okay. Es kommt ja drauf an: Wie und mit welchen Zielen startet man in so ein Turnier? Wie sind die Turniere davor gelaufen? Und die größte Frage lautet doch: Muss man Ziele, die man sich intern gesetzt hat, auch so vehement nach außen tragen?
Sie sprechen vom anvisierten Halbfinaleinzug.
Schwarzer: Ja. Oder hätte man zumindest in der Außenkommunikation nicht doch lieber kleinere Brötchen backen müssen, wenn klar ist, dass wichtige Spieler wie Steffen Weinhold und Fabian Wiede durch Verletzungen ausfallen? Da tut man sich und der Mannschaft als Deutscher Handballbund einfach keinen Gefallen. Klar, man könnte diese EM angesichts des abermaligen Verpassens eines Zieles schon als Enttäuschung sehen, andererseits gehört man mit diesem Personal und dem Blick auf andere bereits ausgeschiedene Nationen noch immer zur europäischen Spitze.
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Sind die mangelnden personellen Alternativen im Rückraum ein Problem?
Schwarzer: Über mangelnde Alternativen kann man sich heutzutage nicht beklagen, das war eher zu Zeiten unter Heiner Brand so, als der nur zwischen zwei, drei Spieler aussuchen konnte. Mittlerweile kann ein Bundestrainer zwischen fünf bis sechs guten Spielern pro Position auswählen. Nehmen wir Weinholds Ausfall im rechten Rückraum: Kai Häfner ist ein erfahrener Spieler, David Schmidt ist vielleicht noch nicht ganz so weit, kann aber punktuell Impulse setzen. Gegen Kroatien konnten wir lange auf höchstem Niveau mitspielen, auch wenn uns am Ende Kleinigkeiten den Sieg gekostet haben.
Trotzdem gelten Sie als Verfechter eines klassischen Mittelmanns, der das Spiel lenkt. Und einen solchen hat das deutsche Team bei der EM nicht.
Schwarzer: Ja, ich bin Freund des klassischen Spielmachers, ich habe viele Jahre mit Markus Baur in Lemgo und in der Nationalmannschaft zusammengespielt, einem Spieler, der in jeder Spielphase weiß, was zu tun ist, der ein verlängerter Arm des Trainers ist. Ohne klassischen Spielmacher hatte ich schon die Befürchtung, dass es bei dieser EM nicht für ganz oben reichen könnte. So ist es ja leider auch gekommen. Eigentlich müssen wir die Ausbildung von Jugendlichen als klassische Rückraum-Mitte-Spieler wieder verstärken, auch wenn ich weiß, dass der Trend zu flexiblen Rückraumspielern geht.
Fehlt dem deutschen Team ein Führungsspieler in manchen Phasen? Ist so der Einbruch in den letzten 15 Minuten zu erklären, der schon häufiger zu sehen war?
Schwarzer: Ich denke schon, dass Spieler wie Uwe Gensheimer, Hendrik Pekeler oder Andreas Wolff auf ihre Art auch Führungsspieler sind. Üblicherweise sind die Führungsspieler im Angriff aber nicht Außenspieler, Kreisläufer oder der Torwart, sondern die im Rückraum, weil die am häufigsten den Ball kontrollieren. Die haben in entscheidenden Spielen gegen Spanien oder Kroatien zu viele einfache technische Fehler gemacht und die Gegner so zu leichten Toren eingeladen. Vielleicht sind oder waren unsere derzeitigen Jungs noch nicht so weit, deshalb gilt es auch, aus diesem Turnier, zu lernen. Man kann aber sagen, dass sich die Mannschaft im Lauf des Turniers deutlich gesteigert hat, gerade das Tempospiel war ja in der Vorrunde fast nicht vorhanden.
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Können Sie verstehen, dass es nach dem Kroatien-Krimi eine Trainerdiskussion um Christian Prokop gab?
Schwarzer: Auf der einen Seite schon, weil man ja leider von offizieller Seite des Deutschen Handballbundes davon sprach, dass die Mannschaft jetzt Charakter zeigen müsse. Nach diesem Spiel gegen Kroatien, in dem die Mannschaft mit viel Einsatz und Kampf meiner Meinung nach sehr viel Charakter gezeigt hat, aber leider Kleinigkeiten am Ende wiederholt den Ausschlag gegeben haben. Mit solchen Aussagen tue ich mich schwer, wenn sie dann auch noch von jemandem geäußert werden, der als Spieler nie in einer solchen Situation gewesen ist, der selbst nie miterlebt hat, wie es ist, wenn man nach einem solchen Spiel auf höchstem Niveau seine Wünsche und Träume fürs Turnier begraben muss. Nur wenige Stunden danach von Charakterfrage zu sprechen – das geht nicht.
Sie spielen auf Bob Hanning an, den Vizepräsident des Deutschen Handballbunds, der selbst nie als Profispieler tätig war. Mit seinen wechselhaften Aussagen war er an der Situation nicht ganz unschuldig, als vor dem Österreich-Spiel fragte: „Was macht diese Mannschaft mit ihrem Trainer?“
Schwarzer: Ein Satz, der viel Spielraum gelassen hat, gerade angesichts der vergangenen Turniere. Mit einer klaren Aussage hätte man Prokop direkt schützen können. Das Problem war nur, dass der Bundestrainer kurz darauf wieder in die Schusslinie gebracht wurde. Das überhaupt zuzulassen, war ein großer Fehler. Bob Hanning ist doch das Sprachrohr des Verbands. Zuerst macht er eine Trainerdiskussion auf, am nächsten Tag will er davon nichts mehr wissen und fühlt sich angeblich falsch verstanden. Manchmal ist es da besser, ruhig zu sein.
Welchen Eindruck macht Bundestrainer Christian Prokop bei dieser EM denn auf Sie?
Schwarzer: Ich denke, dass er aus den letzten Turnieren viel gelernt hat, was seinen Umgang mit der Mannschaft angeht. Vor zwei Jahren bei der EM hat es wohl gar nicht miteinander gepasst. Nun hat er die Mannschaft mit ins Boot genommen, was gut ist, denn erfahrene Bundesligaführungsspieler kann ich nicht behandeln wie kleine Kinder. Auch in den Auszeiten nimmt er die Spieler mit. Man hat aber gemerkt, dass ihm die ganze Diskussion um seine Person getroffen hat. Aber am Ende werden wir alle im Leistungssport daran gemessen, ob wir ein gutes Spiel machen und gewinnen oder ob wir ein gutes Spiel machen und verlieren. Für ihn als Bundestrainer und als Mensch ist es aber schade, weil die Führungsetage des Handballbunds an der ganzen Diskussion nicht unschuldig ist.
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Ihr langjähriger Mitspieler Daniel Stephan war sehr hart in seiner Kritik, nannte Prokop als Bundetrainer „nicht den Richtigen“.
Schwarzer: Daniel ist ein sehr guter Freund von mir und er wird für seine klare Meinung auch geschätzt. Daniel hatte ja die vergangenen drei Jahre zusammengefasst. Dass ist ein gutes Recht und das sollte man auch so akzeptieren, auch wenn das beim DHB sicher keiner hören möchte.
Zurück zum Positiven: Welcher Spieler hat Sie bisher denn überrascht?
Schwarzer: Unser Rechtsaußen Timo Kastening ist ein ganz toller Junge, er hat dieses Turnier genutzt, um sich in den Vordergrund zu spielen. Philipp Weber hat sich im Rückraum weiterentwickelt und er versucht, Verantwortung zu übernehmen. Johannes Golla macht in der Abwehr einen unheimlich guten Job, manchmal etwas zu ungestüm, aber als jüngster Spieler darf er das. Sonst ist es eine sehr ausgeglichen Mannschaft. Wir haben keinen Mikkel Hansen, keinen Sander Sagosen, keinen Nikola Karabatic. Obwohl es manchmal nicht schlecht wäre, einen solchen Spieler zu haben, um die entscheidenden Spiele auf höchstem Niveau zu gewinnen.
Im April steht die Olympiaqualifikation an. Rechnen Sie mit einem Erfolg?
Schwarzer: Mich stimmt optimistisch, dass wir in Berlin spielen. Man sieht ja bei dieser EM, was der Umzug von Trondheim nach Wien mit dem viel größeren Publikum bewirkt hat, was die Kraft von den Rängen auf dem Spielfeld bewegen kann. Ein bisschen Bedenken habe ich nur, wenn ich sehe, wie viele gute Mannschaften es mittlerweile gibt, die da um die Olympiatickets spielen werden. Ein Selbstläufer wird das sicher nicht.
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Falls nicht – wäre das ein Desaster für den deutschen Handball?
Schwarzer: Dann müsste man sich im Verband auf jeden Fall noch einmal Gedanken machen. Die Goldmedaille war einst das erklärte Ziel, das wurde nun schon auf Medaille runtergestuft. Was trotzdem eine mutige Ansage ist. In diesem Zusammenhang gar nicht dabei zu sein, würde sicherlich die eine oder andere Veränderung auf so mancher Position mit sich bringen.
Am Samstag gucken Sie auch das Spiel um Platz fünf?
Schwarzer: Natürlich, auch wenn dieses Spiel ein undankbares ist. Ein Länderwechsel von Österreich nach Schweden ist eine zusätzliche Reisebelastung. Und überhaupt ist es ja ein Spiel, das eigentlich kein Mensch braucht. Aber es muss ja gespielt werden und im Hinblick auf die Olympiaqualifikation kann der Bundestrainer es als guten Test nutzen.