Doha. Steffi Nerius begeisterte vor zehn Jahren in Berlin als Speerwurf-Weltmeisterin. Nun drückt sie einer Nachfolgerin die Daumen. Ein Interview.

Vor zehn Jahren ließ Steffi Nerius die deutschen Leichtathletik-Fans jubeln. Die Frau mit dem Stirnband wurde in Berlin überraschend Weltmeisterin und ein Gesicht der WM. Kurz darauf beendete sie ihre Karriere. Die Leichtathletik-WM in Doha verfolgt sie nun am Fernseher. Nicht allein, sondern mit den Schülern des Sportinternats von Bayer Leverkusen, das die 47-Jährige leitet. Steffi Nerius wird heute besonders auf das Finale der Speerwerferinnen (20.20 Uhr deutscher Zeit/ZDF) schauen. Da steht wieder eine Deutsche im Finale: Christin Hussong.

Frau Nerius, wo befindet sich der Speer von Berlin heute?

Steffi Nerius: Ich habe zum zehnten Jahrestag eine kleine Party mit meinen Weggefährten gefeiert. Seitdem hängt er quer über einem Balken im Keller. Und an ihm hängen meine ganzen Stirnbänder.

Die Bänder waren damals Ihr Markenzeichen. Wie kam es dazu?

Nerius: Angefangen hat es damit, dass es mich genervt hat, wenn mir die Haare ins Gesicht gefallen sind. Dann habe ich ein Stirnband ausprobiert und direkt persönliche Bestleistung geworfen. Da dachte ich: Das bringt Glück, das mache ich jetzt immer um.

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Aber es blieb nicht bei dem einen Modell.

Nerius: Nein. Bis 2002 hatte ich bei Wettkämpfen immer eines mit Yin-und-Yang Symbol darauf. Da habe ich sogar Zuschriften von Fans aus Japan und China bekommen, die das toll fanden. 2003 hat mich eine Freundin dann überredet, mir extra ein Band für die WM in Paris zu machen. Ich bin voll durchgestartet, habe Bronze geholt. Seitdem hat sie mir zu jedem Höhepunkt ein Band gemacht und es mir kurz vor dem Abflug in die Hand gedrückt.

Was stand auf dem in Berlin?

Nerius: Auf dem aus der Qualifikation stand: „Ran an die Buletten.“ Fürs Finale stand auf der einen Seite „Berlin macht Rabatz“ und auf der anderen Seite „Danke für eure Treue“. Als ich dann kurz danach meinen letzten Wettkampf machte, saßen im Publikum viele Freunde und Verwandte mit Stirnbändern auf denen stand: „Danke, Steffi.“ Das war eine schöne Geste.

Nehmen Sie den Speer heute noch selbst in die Hand?

Nerius: Nein, eher nicht. Ich halte mich mit Fahrradfahren und Golfen fit. Oder ich gehe mit meinem Freund auf die Jagd.

Aber auch nicht mit dem Speer?

Nerius: Nein, nein. Mein Freund hat in Burscheid ein Stück Wald, er ist seit 30 Jahren Jäger. Ich habe dann auch irgendwann mein „Grünes Abitur“, also den Jagdschein, als Crashkurs gemacht. Das war eine ganz schöne Büffelei – aber ich bin stolz, dass ich es geschafft habe. Und es macht mir großen Spaß.

Da wirkt Ihre Speerwurf-Karriere ja fast wie aus einem anderen Leben.

Nerius: Ja, ich sehe es gerne als das erste Drittel meines Lebens. Da habe ich einen Haken dran gemacht. Jetzt lebe ich das zweite Drittel: Als Trainerin im paraolympischen Bereich und als Leiterin des Sportinternats von Bayer Leverkusen. Danach kommt dann wahrscheinlich nur noch jagen und golfen (lacht).

Wenn Sie an die Heim-WM 2009 in Berlin denken. An Ihren Weltmeistertitel. Welche Geschichte von damals erzählen Sie noch heute am liebsten?

Nerius: Das ist schwer zu sagen. Da lief alles so hollywoodmäßig ab. Es war eine super Saison, ich war gut drauf, hatte sogar noch einmal meine persönliche Bestleistung gesteigert. Mein Ziel war es immer, einmal ganz oben auf dem Treppchen zu stehen – das hatte ich bei der EM 2006 geschafft. Ich war glücklich und wollte mich nun mit einem guten Wettkampf verabschieden.

Es wurde mehr als guter Wettkampf.

Nerius: Ja, und da ist dann so eine Geschichte, die ich immer gerne erzähle: Kurz vor dem Finale stand ich neben einem Psychologen im Hotelfahrstuhl. Ich erzählte ihm, dass ich eben die Startreihenfolge erfahren hätte und als erste von denen, die weit werfen können, dran sei. Er fragte, was ich tun wollte. Ich sagte: „Alle müssen nachlegen, also knalle ich denen im ersten Wurf direkt einen vor den Latz.“

Das taten Sie tatsächlich. Ihren Wurf auf 67,30 Meter konnte an dem Tag nicht einmal die Weltrekordhalterin Barbora Spotakova aus Tschechien überbieten.

Nerius: Genau. Ich traf den Psychologen später wieder. Er gratulierte mir und war ganz fasziniert, dass es tatsächlich genauso gekommen war, wie ich es ihm vorher erzählt hatte. Aber so cool das jetzt auch klingt, es war schon ein nervenaufreibender Wettkampf.

Ein besonderes Geschenk machten Sie damals Ihrem Trainer.

Nerius: Ja, das stimmt. Er war ein großer Harley-Davidson-Fan und ich habe gesagt: Wenn ich Weltmeisterin werde, dann bekommt er so ein Motorrad. Letztlich hätte er es so oder so von mir bekommen, aber es war natürlich perfekt, dass es auch mit dem Titel geklappt hat. Meine Erfolge hatte ich auch immer ihm zu verdanken, ich habe ihm jedes Jahr etwas geschenkt, aber die Harley war etwas Besonderes. Hollywood eben.

Jetzt findet wieder eine Weltmeisterschaft statt. Sind Sie mit Ihren Nachfolgerinnen und Nachfolgern zufrieden?

Nerius: Bei den Männern ist die Lage ja sensationell – da gibt es mehr Top-Kandidaten als WM-Plätze. Und die, die jetzt starten, werfen alle um den Titel mit. Bei den Frauen dachte ich bis zum vergangenen Jahr: Da kommt echt gar nichts mehr. Aber jetzt sind da wieder ein paar. Und Christin Hussong hat gute Chancen, Weltmeisterin zu werden.

Was macht Sie so optimistisch?

Nerius: Ich kenne sie aus meiner aktiven Zeit noch, da war sie ein junges Mädchen. Und schon da hat man gesehen, dass sie richtig gut ist. Vergangenes Jahr ist sie in Berlin dann mit fünf, sechs Metern Vorsprung Europameisterin geworden. Ich denke, mit 66 Metern kann sie bei der WM eine Medaille holen. Wirft sie 67 Meter – und das kann sie –, holt sie Gold.

Wie wichtig ist es, wieder erfolgreiche Vorbilder zu haben?

Nerius: Der Kampf um Talente wird immer schwieriger. Die Konkurrenz durch Fun-Sportarten ist sehr groß geworden. Viele Jugendliche haben nicht mehr das Durchhaltevermögen, sich acht bis zehn Jahre zu quälen, ehe sie die Spitzenklasse erreichen. Da ist es gut, wenn wieder so sympathische, bodenständige, aber auch erfolgreiche Typen wie Christin da sind.