Essen. Die Begegnung mit der geflüchteten Schwimmerin beeindruckte unseren Autor Thomas Lelgemann mehr als jeder Olympiasieger.
Wenn du als Olympiareporter dieser Zeitung von acht Winter- und Sommerspielen berichtest, dann wirst du Augenzeuge von sporthistorischen Ereignissen, dann lernst du die Weltstars des Sports ein wenig besser kennen als der Fernsehzuschauer auf der Couch. Du erfährst Einblicke in die Welt der Superstars, von denen du manchmal am liebsten gar nichts gewusst hättest. Manche Sportler bleiben dir dein ganzes Leben unvergessen wie der Recklinghäuser Frank Busemann, der Olympiazweite 1996 in Atlanta im Zehnkampf, der immer authentisch geblieben ist. Ein toller Sportler, der leider zu früh von Verletzungen gestoppt wurde, und noch viel wichtiger: ein liebenswerter Mensch. Oder Dirk Nowitzki, der 2008 als einer der besten Basketballer der Welt zu den Olympischen Spielen nach Peking kam und sich wie ein kleiner Junge darüber freute, an diesem Weltereignis teilnehmen zu dürfen.
Gegenbeispiel Michael Phelps
Aber es gibt auch Gegenbeispiele wie den erfolgreichsten Sportler der olympischen Geschichte: Schwimm-Superstar Michael Phelps, mit 23 Goldmedaillen dekoriert. Aber Gold allein gibt keine Ausstrahlung. Und was Phelps mit seinem kleinen Sohn Boomer bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro machte, war einfach nur unverantwortlich. Obwohl die Schwimmwettbewerbe zu nachtschlafender Zeit wegen TV-Interessen ausgetragen wurden, präsentierte sich Phelps mit dem kleinen Sohn nach seinen Triumphen auf der Tribüne. Das US-Publikum sollte sein tolles Familienleben vor dem Fernseher erleben.
Ganz anders das Auftreten von Yusra Mardini. Wie Phelps kommt sie aus dem Schwimmsport, und anders als er wird sie nie eine olympische Medaille gewinnen. Selbst eine Finalteilnahme ist illusorisch. Und doch hat sie bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio etwas getan, was weit über den Beckenrand hinausgeht. Yusra Mardini war 2016 Teil des erstmals vom Internationalen Olympischen Komitee zusammengestellten Flüchtlingsteams. Ihr Auftritt bei der Pressekonferenz in Rio war beeindruckender als die jedes Olympiasiegers. Die 18-Jährige hat mit ihren Worten und mit ihrem Start in Rio Flüchtlingen auf der ganzen Welt Mut gemacht.
Samba hieß der große Saal des olympischen Medienzentrums in Rio de Janeiro. Hier erzählten die Superstars, wie sie in der brasilianischen Metropole auf Goldjagd gegangen sind. Aber auch als Usain Bolt, der schnellste Mann der Welt, dort Hof hielt, war es nicht voller als bei der Pressekonferenz des Flüchtlings-Teams.
Das Mitwirken der zehn Geflüchteten aus dem Südsudan, aus dem Kongo und Syrien war ein Symbol des Friedens in einer Welt voll mit Kriegen und Elend. Einige meinten, das Internationale Olympische Komitee habe die Idee dieses Teams nur ins Leben gerufen, um von den aktuellen Problemen um Doping und Korruption abzulenken. Aber die Hundertschaften von Journalisten aus der ganzen Welt, die Zeugen dieses Auftritts einer einzigartigen Gemeinschaft waren, sahen keine Marionetten des IOC-Präsidenten Thomas Bach. Sie erlebten zehn Sportler, die in Rio nicht auf dem Podium stehen sollten, jedoch mit ihren Auftritten weitaus mehr erreichten als alle Olympiasieger.
"Stellvertretend für alle Flüchtlinge auf der Welt"
„Alle Menschen sollen ihre Träume leben“, sagte Yusra Mardini auf Englisch. „Manche Flüchtlinge haben sie durch ihre große Not schon fast vergessen. Wir wollen ihnen Mut machen, ihre Träume eines Tages zu realisieren. Wir starten hier stellvertretend für 60 Millionen Flüchtlinge auf der Welt.“
In Rio ist die Syrerin, die zum Gesicht dieses Teams wurde, über 100 Meter Schmetterling und 100 Meter Freistil auf den Startblock gestiegen. Sie ist im Vorlauf ausgeschieden, aber darum ging es nicht. Es ging um Zeichen, ums Mutmachen für die Schwächsten. Yusra Mardini, die damals in Berlin lebte und trainierte, hat Schreckliches erlebt.
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Gemeinsam mit 20 Flüchtlingen aus Somalia und Syrien hockte sie 2015 auf einem kleinen Boot. Schlepper hatten ihnen viel Geld für die Überfahrt nach Griechenland abgenommen. Als der Motor ausfiel, schwappten Wellen ins Boot. Verzweifelt warfen die Menschen Gepäck ab. Ohne Erfolg, das Boot begann zu sinken. Gemeinsam mit ihrer Schwester Sarah, ebenfalls Wettkampfschwimmerin, sprang Yusra Mardini in die Fluten. Sie nahmen das Boot ins Schlepptau, paddelten der Insel Lesbos entgegen und retteten sich und den anderen das Leben.
Yusra Mardini erzählte in Rio nicht gern von ihrer Heldentat, sie blickte nach vorn und wollte anderen Auftrieb geben. Ihr Spandauer Trainer Sven Spannekrebs, der in der schwarzen Trainingskleidung des Flüchtlings-Teams Fragen beantwortete, hatte schon in Berlin Interviewanfragen abgelehnt.
Yusra Mardini hat in Rio ihren sportlichen Traum gelebt. Ihren anderen Traum verriet sie auch: „Ich will bald wieder zurück nach Damaskus.“ Ihr syrischer Teamkollege Rami Anis, ebenfalls ein Schwimmer, sagte: „Es wäre schön, wenn es in vier Jahren bei den Olympischen Spielen in Tokio kein Flüchtlings-Team mehr geben müsste.“
Leider ist dieser Wunsch nicht Wirklichkeit geworden. Noch immer gibt es Millionen Flüchtlinge. Und Yusra Mardini trainiert bereits für die Olympischen Sommerspiele in Tokio. Sie ist nach Hamburg gezogen. Sie hat in ihrem Buch „Butterfly“ ihre Geschichte erzählt. Jetzt wird ihr Leben in Hollywood verfilmt. Ich werde ihn mir ansehen.