London. Tennis-Idol John McEnroe berichtet für TV-Sender aus Wimbledon. Im Interview spricht er über sich und die Zeit nach Federer und Nadal.
77 Turniersiege im Einzel hat John McEnroe in seiner Profikarriere zwischen 1978 und 1992 gefeiert. Sieben davon gelangen auf Grand-Slam-Niveau, dreimal (1981, 1983 und 1984) triumphierte er in Wimbledon. Dort ist der ehemalige Weltranglistenerste auch in diesen Tagen gefragt. Als Experte kommentiert der 59 Jahre alte US-Amerikaner für die britische BBC und den US-Sender ESPN das Geschehen im All England Lawn Tennis Club. Er tut dies gewohnt meinungsstark – und wirkt im Gespräch mit dieser Zeitung, für das er sich auf dem Flur des TV-Sendezentrums Zeit nimmt, rastlos und aufgedreht wie einst auf dem Court.
Mister McEnroe, wenn Sie jemandem, der noch nie von Wimbledon gehört hat, die Faszination dieses Turniers beschreiben sollten, wie würden Sie das formulieren?
John McEnroe: Ich glaube zwar, dass es niemanden gibt, der davon noch nie gehört hat. Aber wenn es so wäre, dann würde ich mit der Tradition argumentieren. Wimbledon ist anders als alles andere. Man muss nur diese wunderschöne Anlage sehen. Es reichen schon Fernsehbilder, damit ich Gänsehaut bekomme. Oder die Schlange von Menschen, die jeden Morgen für Tickets anstehen. Das gibt es nirgendwo anders. Die Geschichte, die dieses Turnier ausstrahlt, fesselt jeden.
Wann sind Sie der Faszination erlegen?
Die phantastische Karriere des John McEnore
170 Wochen stand der in Wiesbaden als Sohn eines US-Air-Force-Soldaten geborene John McEnroe an der Spitze der ATP-Weltrangliste im Tennis.
Öfter wurden lediglich Roger Federer (310 Wochen), Pete Sampras (286), Ivan Lendl (270), Jimmy Connors (268) und Novak Djokovic (223) und Rafael Nadal (177) an Position eins geführt.
Mit 26 Turniersiegen (zehn im Einzel, 13 im Doppel) stellte McEnroe 1979 einen Rekord auf.
McEnroe: Ich selbst habe als Jugendlicher schon davon geträumt, hier spielen zu dürfen. Der Reiz hat sich mir aber erst jetzt so richtig erschlossen, da ich eine andere Perspektive habe. Als Spieler habe ich das Ganze nicht ausreichend wertschätzen können, da ging es immer nur ums Gewinnen. Jetzt kann ich die Umstände viel umfangreicher wahrnehmen und genießen.
Heute freuen sich alle wieder auf den Manic Monday, diesen verrückten Montag, an dem alle Achtelfinals stattfinden. Auch das gibt es nur hier.
McEnroe: Und ich liebe es! Ein freier Sonntag, um die Rasenplätze zu schonen, und dann die geballte Action des Achtelfinales an einem Tag, auch das ist etwas, das Wimbledon besonders macht.
Reden wir über den Sport. Wer stoppt Roger Federer in diesem Jahr?
McEnroe: Ich finde es absolut herausragend, was Roger leistet. Wir dürfen nicht vergessen, dass er 37 Jahre alt wird in diesem Jahr. Aber wie er sich auf dem Platz bewegt, das ist unglaublich. Er ist das Größte, was ich in mehr als 40 Jahren Tennis erlebt habe. Trotzdem glaube ich, dass ihn die Zeit in nicht allzu ferner Zukunft einholen wird. Das ist ganz normal, der Lauf der Dinge. Ob es schon dieses Jahr sein wird? Es gibt nicht viele, die ihn schlagen können, das ist sicher.
Wer kann es? Sehen Sie außer Rafael Nadal vielleicht jemanden in der so genannten Next Generation, von der so viel gesprochen wird?
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McEnroe: Natürlich, vor allem sehe ich dort euren deutschen Topmann. Alexander Zverev ist meine erste Wahl, wenn es darum geht, den Nachfolger für Federer und Nadal zu finden. Er ist ein sehr starker Spieler, der alle Anlagen dafür hat, ein großer Champion zu werden. In diesem Jahr hat er etwas Pech gehabt mit seiner Verletzung in Paris und nun diesem Magen-Darm-Virus hier. Aber wenn er geduldig bleibt, wird er Grand-Slam-Turniere gewinnen.
Zverev müssten Sie schon deshalb mögen, weil er ein Charakterkopf ist. Einer, der mal den Schläger wirft oder sich mit dem Schiedsrichter anlegt.
McEnroe: Das stimmt, das gefällt mir. Meine Meinung, dass es früher deutlich mehr Typen gab, ist bekannt. Ich weiß aber auch, dass es den Jungs heute deutlich schwerer gemacht wird, sich gehen zu lassen. Die Regeln sind viel härter geworden. Allerdings beobachte ich eine leichte Abkehr von dem Bestreben, alles glatt und poliert haben zu wollen. Es wird wieder mehr Persönlichkeit zugelassen, man sieht das an Jungs wie Zverev oder auch dem Australier Nick Kyrgios. Mir gefällt das, ich hoffe sehr, dass es weiter in diese Richtung geht.
Wie wichtig ist es, dass wieder ein Deutscher in der Weltspitze mitmischt?
McEnroe: Deutschland ist ein sehr wichtiger Markt im Tennis, das hat sich nicht verändert. Die Zeiten von Steffi Graf, Boris Becker und Michael Stich haben natürlich dafür gesorgt, dass all die Nachfolger es ungemein schwer hatten. Aber ich habe das Gefühl, dass jetzt die Zeit für ein neues Kapitel gekommen ist. Mich würde das sehr freuen.
Deutschland hat im Herrenbereich 1996, als Becker die Australian Open gewann, zuletzt einen Grand-Slam-Triumph gefeiert. Die US-Herren warten aber auch schon seit 15 Jahren auf einen Majortitel. Wie sehr kratzt das am Selbstbewusstsein Ihrer Nation?
McEnroe: Das ist sehr hart, denn natürlich würde ein solcher Triumph das Interesse am Tennis stark vergrößern. Man braucht Stars, um einen Sport zu vermarkten, und die fehlen uns. Ich setze aber Hoffnungen in unseren Nachwuchs. Vielleicht schafft es ein Francis Tiafoe ja noch mal ganz nach oben. Und ich bin zudem ein großer Fan des Kanadiers Denis Shapovalov. Das größte Talent allerdings ist Sebastian Korda. Er ist erst 17, ist der Sohn des tschechischen Topspielers Petr Korda – und er ist Amerikaner. Auf ihn würde ich wetten! Leider sind alle drei in der zweiten Woche hier auch nicht mehr dabei, Korda ist im Juniorenwettbewerb sogar in Runde eins ausgeschieden…
Das heißt, Ihnen ist nicht bange vor der Zeit, wenn Federer und Nadal ihre Karrieren beenden?
McEnroe: Tennis wird auch dann weitergehen. Selbstverständlich wird ein Mann wie Roger schwer zu ersetzen und wohl nie zu erreichen sein. Aber es wird neue Stars und neue Geschichten geben. So war es immer, so wird es bleiben.
Tennis hat Ihr Leben enorm bereichert. Gibt es etwas, was Ihnen an Ihrem Sport gar nicht gefällt?
McEnroe: Grundsätzlich gefällt mir im Sport nicht, welche Wichtigkeit das Geld bekommen hat. Sport ist heute fast nur noch Business. Das finde ich schade, weil dadurch die Ursprünglichkeit und auch viele positive Eigenschaften, die man mit dem Sport verbindet, nach und nach verloren gehen. Und was mir noch nie gefallen hat, ist dieser elitäre Anstrich, den das Tennis hat. Ich wollte immer in einem Sport sein, der für alle Schichten zugänglich ist, der keinen ausschließt. Das kann das Tennis leider nicht für sich reklamieren.
Sie werden heute von den Fans für Ihre TV-Analysen gefeiert, und wenn Sie zu Showmatches antreten, kommen die Zuschauer zu Tausenden. Was zeigt Ihnen das, und was gibt es Ihnen?
McEnroe: Ich kann das heute viel mehr genießen als früher. Es zeigt mir, dass ich nicht alles falsch gemacht habe, obwohl ich oft als der böse Bube aufgetreten bin. So habe ich das Geschäft aber damals verstanden, und so ist es heute noch. Das Wesen des Sports ist, dass man auch gegen jemanden sein kann. Ein Sportevent ist kein Konzert, wo man hingeht und seinem Star zujubelt, weil der immer das Gleiche macht. Sport lebt von Emotionen, und die habe ich transportiert, im Guten und im Schlechten. Dass das anerkannt wird, gibt mir sehr viel.
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Warum heute mehr als früher?
McEnroe: Weil ich früher die Tendenz hatte, immer nach dem Negativen zu suchen. Warum hast du da verloren, warum hast du diesen Ball so schlecht gespielt? Die Fans haben mir mit ihrer Zuneigung beigebracht, die Dinge von der positiven Seite her zu betrachten. Dadurch habe ich gelernt, freundlicher mit mir zu sein. Menschen vergessen negative Dinge und verklären die positiven. Mir hilft das heute sehr.
Am 22. Juli eröffnen Sie das Turnier am Rothenbaum mit dem Legendenmatch gegen Michael Stich. Es wird sein letztes Spiel sein. Was bedeutet es Ihnen, Teil davon zu sein?
McEnroe: Oh, das wusste ich nicht! Warum will er aufhören? Ich wusste nur, dass er als Turnierdirektor ausscheidet. Allein das war mir schon Ehre genug, dass ich noch einmal gegen ihn antreten darf. Michael und mich verbindet eine echte Freundschaft, wir haben 1992 im Doppel gemeinsam Wimbledon gewonnen, verstehen uns wirklich sehr gut. Aber gut zu wissen, dass ich jetzt noch härter trainieren muss.
Kommen Sie in Wimbledon dazu? Zumal es hier keine Sandplätze gibt.
McEnroe: Das stimmt, es ist nicht leicht, sich vorzubereiten. Ich habe hier viel zu tun, und es gibt nur Rasenplätze. Aber ich halte mich fit, und ich habe bei den French Open im Juni Show-Doppel gespielt, Das war auf Sand, eine gute Vorbereitung für Hamburg.
2012 haben Sie schon einmal gegen Stich in Hamburg gespielt. Er sagt, er habe Sie damals gewinnen lassen, damit Sie mit guter Laune zurückkommen.
McEnroe: Das ist natürlich Unsinn, und das weiß er auch. Auch wenn es uns vorrangig darum geht, den Fans eine tolle Show zu liefern, spielen wir beide immer noch, um zu gewinnen. Und das werde ich auch in diesem Jahr wieder tun.