Gelsenkirchen/Willich. „. Trabrennfahrer Michael Nimczyk hat zum siebten Mal den Goldhelm gewonnen und ist auf den Spuren von Heinz Wewering. Es gibt aber Probleme.

Der Nim­czyk“, sagt der Mann in Gummistiefeln, „der trainiert bestimmt noch.“ Der Mann deutet auf die Autobahn. „Einfach durch die Unterführung durch.“ Die A 52 trennt das Pferdesportzentrum Kaiserhof in Willich von der Trainingsbahn, auf der Michael Nim-czyk seine Runden dreht. Unhörbar entfernt er sich auf der 1300 Meter langen Bahn, kommt nach einer langen Geraden näher und hält. Das Pferd schnaubt, Nimczyk nicht. Der 31-Jährige sitzt im Sulky, in dem Wagen, den das Pferd zieht.

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Michael Nimczyk ist der derzeit beste Trabrennfahrer. Zum siebten Mal hat der 31-Jährige den begehrten Goldhelm gewonnen. Damit wird der beste deutsche Berufsfahrer ausgezeichnet. Am Silvestertag fuhr er im Sulky mit seiner Stute Colombe d’Or in Dinslaken zu seinem 178. Saisonsieg und damit zu seinem fünften Titel in Folge. Gleichzeitig stellte er mit einer Gewinnsumme von 630 358 Euro einen persönlichen Jahresrekord auf. „Das Jahr war nahezu perfekt“, sagt Nimczyk. Er ist auf den Spuren des großen Heinz Wewering – wenn da nicht die Zeit wäre, die das Vergangene vom Jetzt trennt.

Wer kennt noch die Rennbahn?

Der Castrop-Rauxeler gewann zwischen 1977 und 2005 29-mal in Folge den Goldhelm, holte in seiner langen Karriere weit mehr als 16 000 Siege. „Ich glaube nicht, dass da noch jemand rankommt“, sagt Nimczyk über die Legende. „Wewering hat tausende Rennen gefahren, das ist nicht mehr zu schaffen. Früher war an jedem Tag ein Rennen: Mönchengladbach, Recklinghausen, Dinslaken, Gelsenkirchen, da waren die Bahnen voll, da hast du keinen Platz mehr bekommen.“ Heute fährt er vor fast leeren Rängen, wenn er nicht gerade in Hamburg, Berlin oder Paris startet. Oder eine besondere Veranstaltung die Besucher zu den hiesigen Rennbahnen lockt.

Als der heute 67-jährige Wewering in Nimczyks Alter über die Bahnen fegte, standen die Menschen Schlange an den Wettannahmen. „Fünf Minuten von der Rennbahn in Mönchengladbach entfernt gibt es einen Supermarkt. Fragen Sie da mal, wo die Trabrennbahn ist. 80 von 100 können es Ihnen nicht sagen“, sagt Nimczyk. „Früher hatte jeder Metzger, jeder Bäcker ein Pferd.“

Die Rennbahn in Gladbach gibt es noch, die in Recklinghausen ist dicht. 2022 soll auch die Trabrennbahn in Dinslaken schließen.

In Gelsenkirchen brennt noch Licht. Michael Nimczyk fährt hier sehr oft, auch heute. Der Gelsentrabpark ist ein wahrer Tempel, ein Relikt vergangener Zeit, als es dem Trabrennsport noch gut ging. Die Tribüne zieht sich über drei Stockwerke, die Bahn wird von Flutlichtmasten erhellt. In der Wettannahme sitzen vor allem jüngere Menschen, tratschen miteinander. Und warten.

Im dritten Stock ist es kuschelig-warm, auf den Tischen stehen kleine, schwarze Röhrenfernseher, über die die Rennergebnisse flimmern. An den meisten Tischen geht ihr Bild ins Nichts, an anderen stöbern überwiegend ältere Herren in Renn-Magazinen, machen Kreuze, geben mürrische Kommentare ab, einer rückt die Brille gerade, ein anderer rauft sich das Haar.

Sport macht zu wenig Werbung

Danach ging es bergab. Statt an der Trabrennbahn wird das Geld heute lieber woanders ausgegeben, in Wettbüros, die in Großstädten wie Unkraut sprießen, oder im Internet, wo man auf alles dieser Erde wetten kann. Ohne dabei zu sein. „Gewettet wird schon, aber das Geld fließt leider in andere Richtungen“, sagt Nimczyk. Beim Fußball wüssten die Menschen, was sie gewinnen können. „Beim Trabrennsport fehlt der Anreiz. Der Pool ist nicht groß genug.“ Ein großes Problem sieht er auch in der fehlenden Werbung. In Düsseldorf bei der Galoppbahn sei das anders. „Die Leute wissen, was ihnen da geboten wird.“

Ans Aufgeben denkt Nimczyk trotzdem nicht. Er arbeitet fast jeden Tag auf dem Kaiserhof. Das Gelände gehört Michael Nimczyks Onkel, dem Unternehmer Hans Brocker. Die Nimczyks sind verrückt nach Pferden. Mutter Beate fuhr Rennen, Vater Wolfgang wurde 2017 zum zweiten Mal Trainer-Champion, Schwester Cathrin sitzt ebenfalls fest im Sulky. Und Michael Nimczyks Oma macht täglich Mittagessen im Aufenthaltsraum, wo an der Wand Helme in Bronze, Silber und Gold hängen, und Bilder, auf denen ein strahlender junger Mann zu sehen ist.

„Ich bin ein Optimist. Auch vor Jahren haben die Leute gesagt: Was machst du da? Aber ich bin unheimlich froh, dass ich es gemacht habe und glaube, dass es immer weiter gehen wird.“ Im Ruhrgebiet stirbt der Trabrennsport, in Berlin oder Hamburg lebt er noch wie in alten Zeiten. „Beim Deutschen Derby stehen 20 000 Menschen an der Seite, alles ist draußen voll. Das ist unheimlich schön.“ Nimczyk fuhr in Berlin-Mariendorf in 56 Rennen zu 21 Siegen. Die Masse jubelte. Wie in alten Zeiten.

Ein Pferd mit 400 Besitzern

Wenn es trotzdem nicht klappt, dann müsse er ins Ausland, nach Frankreich, sagt Nimczyk. Aber er möchte lieber bleiben. „Die Hoffnung ist immer da.“

Die Hoffnung, die ist beim ersten Rennen in Gelsenkirchen spürbar. Michael Nimczyk sitzt im Sulky von Hannah Hazelaar. Das Pferd hat 400 Besitzer. Für einmalig 99 Euro kann man einen Anteil für 33 Monate kaufen. Und mitfiebern. Nimczyk steuert die Stute souverän zum Sieg. Am Rand stehen diesmal auch jüngere Menschen.