Mülheim/Köln. Thomas Roßkopf wurde 1993 mit dem Post SV Telekom Mülheim Tischtennis-Vizemeister. Der Bruder von Doppel-Weltmeister Jörg erinnert sich.
Es ist noch früh. Der Kölner Stadtteil Ehrenfeld erwacht gerade erst. Auch der kleine Tischtennisladen an der Ecke ist noch geschlossen. Im Schaufenster liegen Dinge, die nur ein Tischtennisspieler zu schätzen weiß: Belagreiniger, Griffbänder, Drei-Sterne-Bälle. Das Türgitter knarzt. Thomas Roßkopf öffnet. Die Ähnlichkeit sieht man sofort. Thomas ist der ältere Bruder von Jörg Roßkopf, dem Doppel-Weltmeister von 1989. Wie Jörg war auch Thomas Roßkopf Tischtennis-Profi. Sechs Jahre lang spielte der heute 50-Jährige beim Post SV Telekom Mülheim in der Bundesliga. Doch während Jörg nach seiner aktiven Zeit Bundestrainer der Nationalmannschaft um Timo Boll wurde, entschied sich Thomas für eine andere Karriere: Er eröffnete in Köln einen Tischtennisladen.
Der erste Chinese: Witthaus holte Spitzenspieler
1986 entwickelte Bernd Witthaus einen kühnen Plan: „Es sollte ein Paukenschlag werden: Der erste Chinese in der Bundesliga sollte in Mülheim spielen.“ China war schon damals eine Tischtennis-Weltmacht. Witthaus nahm Kontakt zu der Agentur „China Sport Services“ auf, die chinesische Profis ins Ausland vermittelte.
Bald darauf holte Bernd Witthaus den in China geborenen, aber in Hongkong lebenden Chan Kong Wah vom Düsseldorfer Flughafen ab – der Beginn einer Erfolgsgeschichte und einer langen Freundschaft. Witthaus: „Wir schreiben uns immer noch E-Mails.“ Neulich trafen sie sich mit der Familie in Düsseldorf. Chan Kong Wah ist Trainer der Nationalmannschaft von Hongkong und war wegen der Tischtennis-WM in der Stadt. (meme)
Anders als für Thomas Roßkopf gab es für den Post SV, der 1996 den Sponsor und damit auch den Namenszusatz „Telekom“ verlor, keine Karriere nach der Karriere. Von den 500 000 D-Mark, die für einen konkurrenzfähigen Erstligisten pro Saison notwendig waren, kamen 400 000 Mark von dem Telekommunikationsriesen. Als der sich zurückzog, um sich in anderen Sportarten zu engagieren, konnten Profis wie Thomas Roßkopf nicht mehr bezahlt werden. Es folgten: Bundesliga-Rückzug, Neubeginn in der Verbandsliga. 2006 fusionierte die Tischtennis-Abteilung und ging im TTC Union 69 auf.
„Mülheim war Provinz“
Für Thomas Roßkopf ist das alles lange her. Seit 25 Jahren betreibt er den kleinen Laden in Köln. Das Geschäft ist Kult, ein Paradies für jeden, der dem Tischtennis verfallen ist. Es riecht nach Klebstoff und neuen Turnschuhen. Überall stapeln sich Kartons. Der Laden lebt von seiner Schrulligkeit, der persönlichen Beratung. Mittendrin sitzt Thomas Roßkopf und erinnert sich an seine Zeit im Ruhrgebiet: „Im Vergleich zu Borussia Düsseldorf, das damals schon hochprofessionell war, war Mülheim Provinz. Aber das hatte Charme.“
Für Atmosphäre und Management war vor allem einer zuständig: Bernd Witthaus. Roßkopf sagt über ihn: „Er war der Mann, der alles gemacht hat.“ Für den Mülheimer Unternehmensberater, der auch als Mittsiebziger noch in dem Beruf tätig ist, hieß seit 1976 die Vision: meinen Verein nach oben führen. Das Motto: „Richtig oder gar nicht.“ Mit seinen Kontakten in der Beraterbranche verschaffte er dem Post SV Sponsoren. Schon in der Verbandsliga wurde der Verein vom Sportartikelhersteller Puma unterstützt. 1990 holte Witthaus die Telekom als Hauptsponsor ins Boot. So managte er den Aufstieg des Post SV von der Kreisliga bis in die Bundesliga.
Unsere Serie: „Alter Stolz im Revier“
Liebe Leserinnen und Leser,
zum Auftakt unserer neuen Serie „Alter Stolz im Revier“ haben wir Ihnen heute die Geschichte von einer Zeit erzählt, als es in Gelsenkirchen einen erfolgreicheren Fußballverein gab als den FC Schalke. Klingt unglaublich? Das hat uns neugierig gemacht.
Erinnerungen an große Vereine
In loser Folge möchten wir in den kommenden Wochen an ähnliche Revier-Vereine erinnern. Vereine, die in ihren Sportarten große Erfolge feierten. Vereine, die aber auch aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden sind. Vereine, die sich aufgelöst haben oder solche, die – aus welchen Gründen auch immer – in der sportlichen Bedeutungslosigkeit versunken sind. Vereine, deren Tradition dennoch weiterlebt, die unvergessen bleiben. Wir möchten erinnern an große Triumphe, tolle Zeiten, gefeierte Sieger, tragische Abstiege und Emotionen, die sie nur der Sport hervorrufen kann.
Vielleicht wecken wir ja auch bei Ihnen Erinnerungen. Da wir mit unserer Auswahl natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben können und wollen, freuen wir uns über Ihre Geschichten. Welche Vereine haben Sie zu großen Zeiten begleitet? Wem sind Sie bis in die Kreisliga treu geblieben?
Wir freuen uns auf Ihre Erinnerung per Email an teilnahme@funkesport.de oder per Post an Funke Sport GmbH, zu Händen an Frau Pier, Friedrichstraße 34 - 38 in 45128 Essen.
Kehrt er heute an den Ort zurück, an dem sein Team damals vor bis zu 3000 Zuschauern spielte, hat sich einiges verändert. Aus der Sporthalle an der Carl-Diem-Straße ist die Innogy-Sporthalle geworden. Bernd Witthaus sitzt auf einer leeren Tribüne. Vor ihm findet Schulsport statt. Damals haben sie die Tribüne extra anbauen müssen: „Damit mehr Zuschauer reinpassten.“ Das waren Zeiten.
Das Bruder-Duell
Zeiten, in denen der TV-Sender Sport 1 noch DSF hieß und live Spiele aus der Tischtennis-Bundesliga übertrug. Während heute der Rekordmeister Borussia Düsseldorf bei 1300 Zuschauern „ausverkauft“ meldet, kamen zum Meisterschaftsfinale 1993 rund 3000 Zuschauer in die Mülheimer Halle. Es war die alte Faszination: Klein gegen Groß. Provinz gegen Metropole. Bei den einen spielte der Doppel-Weltmeister Jörg Roßkopf, bei den anderen der deutsche Doppel-Vizemeister Thomas Roßkopf. „Jaja, das Bruder-Duell“, erinnert sich Thomas Roßkopf und lacht. „Die Geschichte fand das Fernsehen auch immer gut.“
Letztlich trafen die beiden in den Finalspielen 1993 gar nicht direkt aufeinander. Thomas Roßkopf fand das richtig: „Es war danach immer schwierig zwischen uns, wenn wir gegeneinander gespielt haben.“ Der Familienfrieden blieb gewahrt – doch Mülheim stand Kopf: Ein 5:5 hatte das Team der Borussia abgerungen. Doch Düsseldorf gilt nicht umsonst als der FC Bayern des Tischtennis: Mülheim verlor das Rückspiel mit 3:6.
Trotzdem: „Das Mülheimer Publikum war einfach unglaublich. Sogar in der Stadt wurden wir erkannt. Wenn wir essen waren, wurden wir eingeladen“, sagt Roßkopf.
Fotos von damals
Der 50-Jährige hat soeben einen dicken Umschlag aus seinem Auto geholt. Darin sind Fotos. Ein alter Fan aus Mülheim hat sie ihm geschickt. Thomas Roßkopf entdeckt sich auf den Bildern. Im Doppel mit Hansi Fischer. Hinten die vollen Tribünen. Auch wenn es lange her ist: In diesem Moment liegt Stolz in seinem Blick.