Halle. Im Finale des Rasenturniers in Halle unterlag Alexander Zverev Florian Mayer. Dennoch gilt der 19-Jährige als größtes Talent des deutschen Tennis.
Die Trophäe für den Zweitplatzierten hält Alexander Zverev emotionslos wie einen Regenschirm. 24 Stunden vorher schaltet der 19-Jährige im Halbfinale sein Kindheitsidol Roger Federer aus und jetzt soll er sich über einen schlichten Silberteller freuen. Das ist ganz schön viel verlangt von dem Schlaks aus Hamburg, den sie alle als größtes Talent des deutschen Tennis lobpreisen. Er lächelt gequält und versucht, seinem Gegner artig zu applaudieren. Das Generationenduell im Finale von Halle geht an Florian Mayer (32). Kleiner Schönheitsfehler in der sonst makellosen Turnierwoche des Alexander Zverev.
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Halle hat sich zwischen Busch und Baum im Ostwestfälischen versteckt. Es ist ein Städtchen, in dem es an 358 Tagen im Jahr ausschließlich im Kreisverkehr rund geht. Und dann gibt es noch die Woche mit den Gerry-Weber-Open. Dieses Familiäre, Beschauliche ist es, was die Tennisszene seit 24 Jahren hier so mag. Roger Federer bezeichnet Halle als eines seiner Lieblingsturniere, Alexander Zverev schwärmt schon vor acht Jahren: „Es ist wunderschön hier“. Damals ist er 11 und sieht sich den Erfolg seines älteren Bruders Mischa im Doppel an. Mischa ist heute 28 und nun ist er es, der meistens zuschaut. Spätestens seit der vergangenen Turnierwoche ist aus Alexander, „jüngerer Bruder von“, Alexander, „erfolgreicher Bruder von“ geworden.
Davis-Cup-Legende Niki Pilic vergleicht Zverev mit Boris Becker
In Deutschland ist die Sehnsucht nach neuen Tennis-Helden groß. Besonders dann, wenn es auf Wimbledon zugeht. Schmerzlich werden Erinnerungen wach an eine Ära voller Beckers, Grafs und Stichs. In einer Woche beginnen wieder die Wehmutstage mit den All England Championships (27. Juni bis 10. Juli). Doch da gibt es dieses Wunderkind in Lauerposition. Gekommen, um zu siegen. Nicht erst seit seinem Finale von Halle geraten Experten ins Schwärmen. Sie prophezeien dem Hamburger mit dem um ein Stirnband wippenden Haar eine Zukunft irgendwo zwischen rosig und golden. Der im Halbfinale bezwungene Rasen-König Roger Federer sagt: „Ich bin beeindruckt. Er hat verdient gewonnen.“ Davis-Cup-Legende Niki Pilic vergleicht Zverev mit Boris Becker: „Sein Wille zu gewinnen, ist unmenschlich groß. Wie bei Boris damals.“ Und der ehemalige Wimbledon-Champion Michael Stich hält ihn für „unglaublich talentiert“.
Der so Hochgelobte selbst kontert erfrischend geerdet. „Ich bin doch immer noch ein kleiner Junge“, sagt er in Halle. Alles eine Sache der Perspektive. Ein körperlicher Riese ist der junge Herr schon jetzt mit seiner schlanken Linie, verteilt auf 198 Zentimetern. Nicht nur aus Sicht seines kleinen Pudels Lövik, der brav neben den Tennisplätzen dieser Welt auf sein viel beobachtetes Herrchen wartet und nur selten bellt.
Alexander Zverev gilt als Musterprofi. Nach der zehnten Klasse verlässt er die Schule für die Karriere. Sein Vater: ehemaliger sowjetischer Tennisprofi, die Mutter: Tennistrainerin, der Bruder: auch auf der Tour. Er weiß, auf was er sich da einlässt. Bezeichnend eine Szene bei der Players-Night vor dem Finale in Halle: „Ich brauche keine Mutti, um zu erkennen, dass es jetzt Zeit für mich wird, zu gehen.“ Sagt’s und verschwindet zu früher Stunde im Hotel.
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Bei aller Disziplin muss er weiter auf seinen ersten Titel warten. In Halle entzaubert ihn Altmeister Florian Mayer nach überstandener Verletzungspause mit 6:2, 5:7, 6:3. Es ist eigentlich ein Spiel auf Rasen, doch an der Grundlinie wird im Laufe einer langen Turnierwoche mehr und mehr auf Sand gespielt. Abnutzungserscheinungen. Die zeigt auch Zverev nach seinem Sensationssieg gegen Federer. Finalgegner Mayer lockt ihn immer wieder ans Netz, um ihn dann mit einem Lob auszuschalten. Frech, wenn man so einem körperlichen Riesen gegenübersteht. Das ist dann wohl der Stolz des Alters. Zverev meckert, schmeißt den Schläger, guckt genervt. Kurz nach dem Matchball sagt er, dass er seinen Aufstieg keineswegs als zu rasant empfindet: „Von mir aus kann es so schnell wie möglich gehen.“
In Gedanken ist Zverev längst in Wimbledon
Als nächstes also Wimbledon. Es wird erst das vierte Grand-Slam-Turnier sein, bei dem Alexander Zverev im Hauptfeld steht. Und zwar nicht irgendwo im Nirgendwo, sondern - Premiere - als gesetzter Spieler. Nach dem Finale in Halle wird er in der am Montag erscheinenden Weltrangliste einen weiteren Sprung machen, hinein in die Top 30. Obendrein ist er der jüngste Spieler unter den 50 Besten der Welt.
Bei aller Professionalität hat sich der junge Aufsteiger seine Lässigkeit bewahrt. Manche sprechen von Coolness, andere nennen es Arroganz. Wenn er mit seinen Riesenschritten auf den Platz schlendert. Wenn er breitbeinig und scheinbar gedankenverloren beim Seitenwechsel auf der Bank relaxt. Oder wenn er sich zu schade ist, in Gesprächen Fragen zu beantworten, die er für dumm hält.
Beim Siegerinterview mit Florian Mayer sitzt er ein paar Meter entfernt und stützt sein Kinn auf die Hand, so als würde er auf den Bus warten. „Mach dir keine Sorgen, dir gehört die Zukunft. Du wirst viele Siege erleben“, hört er Mayer sagen und lächelt kurz. In Gedanken ist Alexander Zverev längst in Wimbledon. Er fühlt sich neuen Aufgaben gewachsen: „Ich habe eine starke Woche gespielt. Gegen Federer haben noch nicht viele auf Rasen gewonnen.“ Was er sich vornimmt? „Es kommt auf die Auslosung an. Wenn ich in der ersten Runde wieder gegen Florian spielen muss, wird es schwer.“