Essen. Nach den neuesten Enthüllungen aus Russland ist der Start bei den Olympischen Spielen in Gefahr. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Skandal.

Kaum ein Tag ist in den vergangenen Monaten vergangen ohne eine negative Schlagzeile im Sport. Korruption im Weltfußball-Verband Fifa, die Affäre im Deutschen Fußball-Bund, systematisches Doping in Russland, Blutdoping in Kenia: Der Sport steckt in einer tiefen Krise. Nach den neuesten Enthüllungen aus Russland ist sogar der Start des größten Landes der Welt bei den Olympischen Spielen 2016 in Gefahr. Wir geben die Antworten auf die wichtigsten Fragen der aktuellen Doping-Skandale.

Was wird den russischen Sportlern vorgeworfen?

Den Stein ins Rollen brachte nicht etwa eine internationale Sportorganisation, sondern ein Journalist. ARD-Doping-Experte Hajo Seppelt enthüllte schon im Dezember 2014 flächendeckendes Doping in der russischen Leichtathletik. Eine Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) bestätigte die Ergebnisse. In der New York Times berichtete jetzt der in die USA geflohene Ex-Leiter des Anti-Doping-Labors in Sotschi, Grigorij Rodtschenkow, dass bei den Winterspielen 2014 russische Geheimagenten verdächtige Urinproben gegen vorher abgegebene, unauffällige ausgetauscht hätten. Mindestens 15 russische Medaillengewinner sollen so bei den prestigeträchtigen Heimspielen gedopt gestartet sein.

PRO - Ein Signal der Abschreckung

Seit Dezember 2014 wissen wir, dass es in Russland ein staatlich unterstütztes Dopingsystem gibt. Seitdem hat es außer Beteuerungen, den Skandal aufzuklären, keine Fortschritte im Anti-Doping-Kampf gegeben. Im Gegenteil, neue Indizien zeigen: Auch bei den Winterspielen 2014 sind mit Unterstützung des Geheimdienstes Urinproben heimlich im Labor von Sotschi ausgetauscht worden: 15 der 33 russischen Medaillengewinner sollen betrogen haben.

Sicherlich gibt es auch saubere Sportler in Russland. Aber so schlimm es für sie ist, jetzt muss das IOC durchgreifen und ein Signal der Abschreckung aussenden: Russland darf nicht an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro teilnehmen. (Thomas Lelgemann)

Wie geht es jetzt weiter?

Ermittelt wird jetzt von zwei Seiten. Da es eine Verbindung in die USA gibt, untersucht die New Yorker Staatsanwaltschaft die Vorwürfe. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat zudem die Wada mit Ermittlungen beauftragt. Leiter des Teams ist Mathieu Holz, ein früherer Offizier der französischen Gendarmerie und Interpol-Agent.

Wann ist mit einer Entscheidung zu rechnen?

Die Wada kann selbst keine Strafen aussprechen. Der Welt-Leichtathletik-Verband IAAF ist am 13. November 2015 der Wada-Empfehlung gefolgt und hat die russischen Leichtathleten suspendiert. Am 17. Juni will die IAAF auf Grundlage eines neuen Wada-Berichts entscheiden, ob Russlands Leichtathleten suspendiert bleiben und so ein Teilnahmeverbot bei den Sommerspielen in Rio wirksam würde.

Sind nur die russischen Leichtathleten betroffen?

Nein. Durch die neuen Enthüllungen steht der gesamte Sport in Russland unter Verdacht. Die Schlinge scheint sich zuzuziehen. Es kommt jetzt auch darauf an, ob die Wada noch rechtzeitig vor dem Beginn der Olympischen Spiele am 5. August ihre Ermittlungen abschließen kann. Formal kann jedoch nur das IOC das russische Olympia-Team ausschließen, weil es in Rio de Janeiro das Hausrecht hat.

CONTRA - Es gibt keine Sippenhaft

Es gibt im modernen Rechtsempfinden keine Kollektivschuld, keine Sippenhaft. Es gilt zudem der Satz der Aufklärung, dass es besser sei, einen Schuldigen laufen zu lassen, als einen Unschuldigen zu verurteilen. Diese Prinzipien sollten heilig bleiben, bei aller verständlichen Empörung über ständige Doping-Vergehen.

Zwar, so könnte man einwenden, kennen Satzungen und Verbandsgerichte im Mannschaftssport Strafen gegen ganze Teams. Die russische Olympia-Mannschaft ist jedoch nur Organisationseinheit, kein Kollektiv im Sinne einer gemeinsam agierenden Mannschaft. Eine Strafe gegen eine Nation träfe also auch möglicherweise völlig Unbeteiligte – und allein deshalb kommt ein Ausschluss nicht infrage. (Jan Kanter)

Was sagt IOC-Präsident Thomas Bach zu den Skandalen?

Bach, dem ein enges Verhältnis zum russischen Präsidenten Wladimir Putin nachgesagt wird, spricht von einer „schockierenden Dimension des Dopings mit beispielloser krimineller Energie“. Jeder werde zur Rechenschaft gezogen, der in den Betrug verwickelt sei. Dies kann dann zur Maximalstrafe, dem Ausschluss in Rio führen.

Stehen nur russische Sportler unter Verdacht?

Nein. Die Untersuchungsanalytik der Dopingproben hat sich stark verbessert. So sind bei Nachtests der Olympischen Spiele 2008 in Peking insgesamt 31 Sportler aus zwölf Ländern positiv getestet worden. Ob auch deutsche Athleten betroffen sind, ist noch nicht bekannt.

Gibt es auch Nachtests der Sommerspiele 2012 in London?

Ja. 250 eingefrorene Proben von den Spielen vor vier Jahren stehen bereit. Sinnvoll wäre auch eine zweite Analyse der Tests von den Winterspielen 2014 in Sotschi.