Essen. Bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 sollen Urin-Dopingproben der russischen Sportler ausgetauscht worden sein. Verbandsvertreter fordern nun eine Sperre für Russlands Sportler bei den Spielen in Rio de Janeiro.

DOSB-Chef Michael Vesper sprach von einem „Tiefschlag für die olympische Bewegung“, den die New York Times in ihrer Donnerstagausgabe aufgedeckt hatte. Kronzeuge der US-Tageszeitung ist Grigori Rodschenkow (57). Der ehemalige Leiter des Anti-Doping-Labors in Moskau behauptet, mindestens 15 der 33 Medaillengewinner seien während der Olympischen Winterspiele 2014 gedopt gewesen. Darunter der zweimalige Bob-Olympiasieger Alexander Subkow. Bei den Spielen in Sotschi seien, so Rodschenkow, Urin-Dopingproben russischer Sportler heimlich ausgetauscht worden.

Was ist dran an den neuen, schweren Doping-Vorwürfen?

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Grigori Rodschenkow leitete von 2005 bis 2014 das Moskauer Anti-Doping-Labor, trat im Zuge der Ermittlungen wegen angeblich 1400 vernichteter Dopingproben und der folgenden Sperre gegen den russischen Leichtathletikverband zurück – flüchtete nach Los Angeles, weil er sich in Russland nicht mehr sicher gefühlt hatte. Dem Filmemacher Bryan Fogel schilderte er die Ereignisse von Sotschi und sprach vom „größten Betrug im Sport aller Zeiten“. Die Urinproben russischer Sportler sollen nachts in einer Abstellkammer, zu der kein internationaler Beobachter Zutritt hatte, gegen „saubere“ Proben getauscht worden sein. Involviert in das Dopingsystem war ab Herbst 2013 offenbar auch der russische Geheimdienst FSB.

Wer wird konkret beschuldigt?

Neben Bob-Olympiasieger Alexander Subkow und seinem Anschieber Alexei Wojewoda werden auch Alexander Legkow, Gewinner im Skilanglauf über 50 Kilometer, sowie Alexander Tretjakow genannt, der Olympiasieger im Skeleton. Dazu die gesamte Eishockey-Nationalmannschaft der Frauen, die allerdings nur Sechste wurde.

Was sagen die Beschuldigten?

„Das ist die Verleumdung eines Deserteurs“, giftete Kreml-Pressechef Dimitri Peskow. Sportminister Witali Mutko sprach von der „Fortführung der böswilligen Angriffe auf den russischen Sport“. Olympiasieger Subkow erklärte gegenüber der Zeitung Sport Express: „Ich bin zu 300 Millionen Prozent ruhig.“ Vizesportminister Juri Nagornich betonte, es habe keine Möglichkeit gegeben, die Urinproben auszutauschen: „In den Laboratorien in Sotschi haben 58 Spezialisten gearbeitet, davon zwölf Ausländer.“ Der Minister schloss nicht aus, die New York Times wegen des Artikels zu verklagen.

Was sagen andere Verbände?

Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, fordert Konsequenzen: „Wenn in Russland so systematisch gedopt wird, dann sollte die gesamte russische Mannschaft in Rio nicht starten.“ Ähnlich äußerte sich sein französischer Amtskollege Bernard Amsalem: „Die internationalen Sportbehörden müssen sehr, sehr hart durchgreifen.“

Droht dem russischen Sport der Ausschluss bei Olympia in Rio de Janeiro vom 5. bis 21. August?

Zunächst wird die Welt-Doping-Agentur Wada die Vorwürfe Rodschenkows aufklären müssen. Dann entscheidet das Internationale Olympische Komitee über Russlands Rio-Start. Die Frage wird sein, ob dabei die Nähe von IOC-Präsident Thomas Bach zum russischen Staatschef Vladimir Putin eine Rolle spielt. „Bach wird jetzt unter Druck geraten“, glaubt Doping-Experte Prof. Fritz Sörgel.

Haben deutsche Sportler eine Aussicht auf eine Medaille, sollten sich die Dopingvorwürfe erhärten?

In den Disziplinen der bisher beschuldigten Russen würden nachträglich keine Medaillen nach Deutschland gehen.

Wie ernst ist der aktuelle Dopingverdacht im russischen Fußball?

Offenbar so ernst, dass die Fifa auf den Plan getreten ist. Nach dem 3:1 bei Dynamo Moskau wurde die komplette Mannschaft des Tabellenzweiten FK Rostow getestet. Grund: Verdacht auf Einnahme von Meldonium, so Fifa-Medizinchef Jiri Dvorak. Seit Januar steht das Herzmedikament auf der Dopingliste. Tennisstar Maria Scharapowa war positiv getestet worden.