Peking. Im 100-Meter-Finale trommelt Justin Gatlin kraftvoll über die Bahn – und muss sich am Ende doch hauchdünn dem eleganteren Usain Bolt geschlagen geben.
Nirgendwo ist es so still wie beim Startschuss des 100-Meter-Finals bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften. Wer ist der schnellste Mann der Welt? Diese Frage faszinierte schon immer die Sport-Fans auf dem ganzen Planeten.
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Für einen klitzekleinen Moment verstummt sogar die berechtigte Kritik an der dunklen Doping-Vergangenheit so manches Muskelprotzes. Es ist immer noch ein gigantisches Spektakel, wenn die Schnellsten der Schnellen ihren König ausrennen. Der eine trommelt die Bahn mit wuchtigen Schritten herunter wie der US-Amerikaner Justin Gatlin, der andere scheint über den Tartan zu schweben. Wie Usain Bolt, der am Sonntagabend zu seinem neunten Gold bei Weltmeisterschaften flog. Der Jamaikaner setzte sich in 9,79 Sekunden hauchdünn vor Gatlin (9,80) durch.
Während der chinesische Starpianist Lang Lang die Ehrenrunde des Läuferstars mit seinen Klängen begleitete, flirtete Bolt mit dem Publikum, warf Luft-Küsschen in die Ränge und wedelte freudetrunken mit seiner Landesflagge. Beide lieben die Show, Lang Lang an den Tasten, Bolt auf der Bahn. Ob der Chinese der beste Pianist ist, lässt sich zumindest objektiv nicht beweisen. Bolt ist nicht nur ein begnadeter Entertainer, sondern auch der schnellste Mann der Erde, wie er an diesem Sonntag wieder einmal bewies.
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Am Ende der Ehrenrunde tat er endlich das, worauf das Publikum die ganze Zeit gewartet hatte. Elegant ging er leicht in die Knie, spannte den imaginären Bogen und schoss den Pfeil in die schwarze Pekinger Nacht. Mit dieser Geste wurde er vor sieben Jahren weltbekannt. Seit er bei den Olympischen Spielen 2008 an gleicher Stelle nach 100 Metern in bis dahin nicht für möglich gehaltenen 9,69 Sekunden ins Ziel kam, ist er der größte Star der Leichtathletik. Damals war er mit offenen Schnürsenkeln gelaufen und hatte die letzten Meter gar nicht mehr Vollgas gegeben, sondern die Arme weit ausgebreitet.
Sieben Jahre später hätten ihn solche Gesten das Gold gekostet. Bolt war an diesem Sonntag schlagbar, aber die größte Kunst des Sprintens liegt darin: So kraftvoll wie nötig, so locker wie möglich. Und so scheiterte Justin Gatlin an seinem Vorhaben, den König des Sprints vom Thron zu stoßen. Der 33-Jährige war in dieser Saison schon 9,74 Sekunden gelaufen und hatte seit 2014 in 28 Rennen noch keine Niederlage erlitten. Doch nur mit roher Kraft kann man einen Ästheten nicht bezwingen.
„Es war nicht mein bestes Rennen. Ich bin gestolpert“, sagte Bolt. „Dieser Titel bedeutet mir nach meinen Problemen in diesem Jahr sehr viel. Mein Ziel ist es, die Nummer eins zu bleiben, so lange ich laufe. Deshalb pushe ich mich immer wieder.“
Duell geht am Donnerstag weiter
Es war kein leichtes Jahr für Bolt. Sein Rücken zwickte. Außerdem hatte er kleine Motivationsschwächen. „Ich habe schon alles gewonnen, also will ich gar nicht lügen. In irgendeiner Ecke meines Kopfes habe ich den Gedanken: Stresse dich nicht, es ist kein olympisches Jahr“, gab er vor der WM zu.
Auch wenn Bolt ungern über Doping spricht und immer wieder auf seine unzähligen negativen Tests hinweist, wird er weiter damit leben müssen, dass auch seine Leistung hinterfragt wird. Die Rolle des Guten im Kampf gegen den Bösen wollte er in Peking ohnehin nicht spielen. Viele hatten sich gegen einen Start von Gatlin ausgesprochen, weil er bereits zweimal des Dopings überführt worden war. Mehr genervt haben Bolt die großen Sprüche seines Konkurrenten.
Das Duell der beiden unterschiedlichen Sprinter geht nun weiter. Am Donnerstag steigt das Finale über 200 Meter. „Das ist meine Lieblingsdisziplin“, sagte Bolt und gab schon mal die Warnung aus: „Der Sieg hat mir noch mehr Selbstvertrauen gegeben.“