London. . Bei seinem Wimbledon-Debüt kämpft sich Deutschlands größtes Tennis-Talent trotz Übelkeit über fünf Sätze in Runde zwei.
Es war ein denkwürdiges Jahr, damals. In der ersten Woche der Championships 1997 versank Wimbledon fast im Regen, in der zweiten prosperierte das deutsche Männertennis. Michael Stich, Boris Becker und Nicolas Kiefer landeten im Viertelfinale, Stich kam noch eine Runde weiter, verlor dann bei seinem letzten Auftritt nach einem großartigen Spiel in fünf Sätzen gegen den Franzosen Cédric Pioline. Kiefer war damals 20, aber in der ersten Woche hatte ein noch Jüngerer in den heiligen Hallen debütiert - der 19 Jahre alte Tommy Haas. Nach einem Sieg in der ersten Runde gegen einen Engländer Mark Petchey war er in der zweiten ausgeschieden, aber dieser Teenager schien die Zukunft des deutschen Männertennis zu sein.
In Hamburg lag zur gleichen Zeit der zweite Sohn von Irina und Alexander Zverev in den Windeln, Alexander junior, zwei Monate alt. Angesichts der Tennishistorie der Familie Zverev hätte man ahnen können, dass der kleine Sascha irgendwann mal Tennisprofi werden würde, und nun ist er ungefähr in der gleichen Position wie Haas damals beim ersten Auftritt in Wimbledon. Die beiden begegneten sich in den vergangenen Jahren des öfteren, aber bei diesem Turnier stehen sie gewissermaßen an den Außenpositionen des Spektrums: Tommy Haas ist mit 37 Jahren der älteste Spieler im Einzel der 129. Championships, Zverev mit 18 mit Abstand der jüngste.
Zverev durchlebt alle Höhen und Tiefen des Tennis
Und der junge Mann präsentierte beim ersten Auftritt in Wimbledon, der auch sein erster Auftritt im Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers war, eine Premiere mit allem Drum und Dran; er gönnte sich einen Sieg in fünf Sätzen gegen den Russen Teimuras Gabaschwili. Dreidreiviertel Stunden lang durchlebte und durchlitt Zverev alle Höhen und Tiefen eines Spiels mit drei Gewinnsätzen. „Die Tennisgötter wollten mit gleich eine Aufgabe stellen“, meinte er hinterher, als draußen schon ein dicker Mond am Abendhimmel über Wimbledon aufgezogen war. „Aber je länger so ein Match dauert, desto interessanter - das gefällt mir“.
Zwischendurch, im vierten Satz, hatte es eine Weile lang so ausgesehen, als habe er größere Probleme. Um Krämpfen vorzubeugen hatte er während eines Seitenwechsels eine Salztablette geschluckt und wie üblich auch Magnesium, die beiden Substanzen vertrugen sich aber nicht gut, und so hatte er das Gefühl, als müsse er sich auf dem Platz übergeben; man reichte ihm eine Tüte, er stand mehrere Minuten vornüber gebeugt mit dem Rücken zum Spielfeld dicht vor der grünen Plane. Doch Salz und Magnesium blieben drin, Zverev spielte weiter, und im fünften Satz blieb er in vielen kritischen Situationen standhaft. Keine Frage, ein sehenswertes Debüt auf Wimbledons Rasen und ein weiteres Argument für die These, die Zukunft des deutschen Männertennis sei bei Sascha Zverev ganz gut aufgehoben.
Haas spielt zum 15. Mal in Wimbledon
Aber wenn es einen gibt, der als Beispiel dafür steht, dass eine Karriere einem immer währenden Fünfsatzspiel gleichen kann, dann ist das Tommy Haas, der auf dem Weg vom Talent zur Nummer zwei der Welt (Mai 2002) und vor der Nummer zwei der Welt zum bewunderten Routinier so viele Operationen und Rückschläge zu verkraften hatte wie kein anderer. Beim neuen Rasenturnier in Stuttgart hatte er Mitte Juni nach mehr als einem Jahr Pause nach der letzten Schulteroperation zum ersten Mal wieder gespielt, dann war er nach Halle gefahren, nun ist er wieder in Wimbledon im Spiel, zum 15. Mal in seiner Karriere.
Am Tag vor dem Spiel gegen den Serben Dusan Lajovic hatte Haas’ Coach Alexander Waske gesagt, mehr als drei Sätze lang halte die Schulter seines Mannes vermutlich nicht aus, doch er irrte sich. Es wurden vier, und Haas machte das Beste, was man tun kann, um die Ballwechsel zu verkürzen: Er spielte öfter Serve und Volley. Es gab mal Zeiten, in denen das in Wimbledon fast jeder versuchte, aber das ist ja lange vorbei.
Als nach dem Sieg eine Statistik veröffentlicht wurde, mit diesem Erfolg sei Deutschlands Routinier der älteste Sieger in Wimbledon seit Jimmy Connors 1991 - der Amerikaner war damals knapp 39 Jahre alt - meinte Haas, wenn er behaupten sollte, dass ihm dieses kleine Zahlenspiel nichts bedeute, dann müsste er lügen. Im nächsten Spiel an diesem Mittwoch gegen Milos Raonic wird seine Schulter auch beim Return eine Menge aushalten müssen; der Kanadier schlägt bekanntlich bombastisch auf. Aber um noch mal auf den Vergleich mit Connors zurückzukommen: Der Amerikaner erreichte ein paar Wochen nach dem Auftritt in Wimbledon bei den US Open mit 39 zur größten Begeisterung aller Beobachter noch mal das Halbfinale. Das würde Tommy Haas auch gefallen.