Wimbledon. Der Deutsche muss am Montag zum Wimbledon-Auftakt direkt gegen Titelverteidiger Novak Djokovic ran – weil ihn seit Wochen das Pech verfolgt.
Der Moderator des All England Clubs setzte vor der ersten Pressekonferenz des Titelverteidigers ein feierliches Sonntagsgesicht auf und verkündete dann gewohnt salbungsvoll: „Meine Damen und Herren, ich habe die große Freude, Ihnen den amtierenden Wimbledon-Champion vorzustellen, Novak Djokovic.“ Normalerweise entlockt so eine Ankündigung dem jeweiligen Champion zumindest ein Lächeln, aber Novak Djokovic lächelte nicht.
In der folgenden Viertelstunde blickte der Serbe noch mal auf die Ereignisse bei den French Open zurück, auf das verlorene Finale gegen Stan Wawrinka. Er habe länger gebraucht als sonst, um sich von dieser Niederlage zu erholen, gab er zu, und obwohl er dann behauptete, das alles läge nun hinter ihm, wirkte er in diesen Momenten so, als leide er noch immer ein wenig unter der Erinnerung. Schwer zu sagen, wie gut Djokovic in Form ist. Im Gegensatz zu den Kollegen, die in den vergangenen Wochen bei diversen Rasenturnieren spielten, bringt der Titelverteidiger nur die Erfahrungen eines belanglosen Einladungsturniers mit. Kaum Praxis und dann auch noch dieses höchst unfreundliche Los, Philipp Kohlschreiber als Gegner in Runde eins, das macht die Sache nicht leichter.
Schon in Halle hartes Erstrunden-Los
Aber was soll Kohlschreiber erst sagen? Irgendwie ist es fast ein bisschen unverschämt, wie die Götter des Tennis in diesem Jahr mit Deutschlands bestem Spieler umgehen. In München verlor er Anfang Mai das Finale der BMW Open nach einem extrem starken Auftritt gegen Andy Murray; in Paris bei den French Open hatte er Pech, als seine Partie gegen den Spanier Pablo Andujar abends nicht beendet werden konnte und er bei der Fortsetzung am nächsten Tag nicht mehr die richtige Spur fand. In Halle bei den Gerry Weber Open erwischte er in der ersten Runde Roger Federer als Gegner, spielte kaum weniger stark als in München gegen Murray, doch es reichte wieder nicht; nur zwei Punkte fehlten ihm zum Sieg.
Und die Strafe für die unglückliche Niederlage folgte sogleich. Wegen der in Halle verlorenen Punkte rutschte Kohlschreiber auf Platz 33 der Weltrangliste ab, rutschte damit aus dem Kreis der 32 Gesetzten für Wimbledon, und damit war klar, dass er unter Umständen bereits in der ersten Runde auf einen hochkarätigen Gegner treffen würde.
Ferrer sagte eine Stunde zu spät ab
Doch es ging weiter. Am Sonntag meldete sich der Spanier David Ferrer in Wimbledon wegen einer Ellbogen-Verletzung ab; Ferrer war an Nummer acht gesetzt. Hätte er sich am Tag zuvor für den Rückzug entschieden, wäre Kohlschreiber im Kreis der Gesetzten gelandet, und hätte Ferrer am Sonntag vor der offiziellen Veröffentlichung des Spielplans für Montag zurückgezogen, dann wäre Kohlschreiber die Begegnung mit Djokovic in Runde eins ebenfalls erspart geblieben. Aber der Spielplan lag um zwölf Uhr vor, Ferrers Absage folgte rund eine Stunde später, und an die Stelle des Spaniers rückte ein Lucky Loser aus Italien.
Das Los sei unglücklich, sagt Kohlschreiber gefasst, aber da es sich ja nun mal nicht ändern lässt, versucht er die Prüfung von der besten Seite zu sehen. Und die beschert ihm die besondere Ehre, gemeinsam mit Novak Djokovic diesen Montag pünktlich um 13 Uhr Ortszeit zum Spiel mit dem Titelverteidiger auf dem Centre Court zu erscheinen. Spieler wie Djokovic, wie Roger Federer, Rafael Nadal oder Andy Murray kennen das besondere Gefühl, am ersten Tag den perfekt getrimmten Rasen zu betreten, der zu Beginn des Turniers nicht nur wie ein Teppich aussieht, sondern sich unter den Füßen auch so anfühlt. Ein Traum in Grün, makellos und unvergesslich.
Djokovic zollt Kohlschreiber Respekt
Aber Djokovic macht kein Geheimnis daraus, dass er diesen Traum lieber mit einem anderen erlebt hätte. Als er gefragt wurde, ob er über die erste Runde hinaus schon einen Blick auf das Tableau geworfen habe, meinte er: „Also, wenn du den Namen Kohlschreiber in der ersten Runde siehst, dann schaust du besser nicht weiter. Der ist auf jedem Belag ein sehr guter Gegner, aber speziell auf Rasen. Und in Anbetracht der Tatsache, dass ich selbst kein Turnier auf Rasen gespielt habe, sollte ich wirklich besser bei dieser ersten Runde bleiben."
Ein Blick in die immergrüne Geschichte des Turniers zeigt, dass eine Niederlage des Titelverteidigers in Runde eins zu den Raritäten gehört. Der Spanier Manuel Santana verlor 1967 gegen den Amerikaner Charlie Pasarell, und Lleyton Hewitt schied ein Jahr nach seinem überraschenden Titelgewinn 2003 mindestens genauso überraschend gegen den langen Ivo Karlovic aus. Kürzlich in Halle hatte der Kroate in drei Sätzen 45 Asse serviert, und das wurde als Rekord notiert. Philipp Kohlschreiber muss keine 45 Asse schlagen, um in Wimbledons berühmtem Kompendium aller Ereignisse zu landen; ein Sieg gegen den Titelverteidiger täte es auch.