Paris. Stan Wawrinka hat die French Open gegen Novak Djokovic und damit seinen zweiten Grand-Slam-Titel gewonnen. Wieder kein Paris-Triumph für Djokovic.
Am Ende war´s nur noch zum Heulen. Das Publikum bejubelte den Verlierer solange, bis er Tränen in den Augen hatte, der Mann im blauen Anzug, der den Pokal überreichen sollte, Gustavo Kuerten, wirkte auch ein wenig gerührt, und der Sieger? Nein, der heulte nicht. Stan Wawrinka genoss den besten Tennistag seines Lebens nach dem Spiel seines Lebens und nach dem Sieg im Finale der French Open gegen Novak Djokovic (4:6, 6:4, 6:3, 6:4).
Wawrinka gehörte nicht zum Favoritenkreis
Nach einer eher durchwachsenen ersten Hälfte des Jahres hatte der Schweizer nicht zum engsten Kreis der Favoriten gehört; sein großer Erfolg, der Sieg bei den Australian Open 2014, schien schon eine ganze Weile her zu sein. In den ersten Monaten des Jahres hatte er eher mittelprächtig gespielt, hatte relativ oft verloren, aber nach dem grandiosen Aufritt im Viertelfinale gegen Roger Federer sah die Sache schon ein wenig anders aus. Würde er auch im Finale gegen Djokovic wieder so spielen, das war klar, konnte alles passieren, aber ob der Favorit das zulassen würde?
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Die üblichen Verdächtigen für Finals an dieser Stelle hielten sich woanders auf, als das Finale im Stade Roland Garros begann. Rafael Nadal war morgens in Stuttgart gelandet, wo er in dieser Woche beim Mercedes Cup spielen wird, und Roger Federer saß beim FC Basel auf der Tribüne und sah seinen Club gegen den Fc Sion im Schweizer Pokalfinale verlieren. Zu den Zuschauern im Stadion gehörten hingegen jene beiden, die im Männertennis zuletzt die beiden ersten Grand-Slam-Turniere in Melbourne und Paris gewonnen hatten, Mats Wilander (1988) und Jim Courier (1992).
Der "Djoker" seit Ende Februar ohne Niederlage
Und dann war der der Neue, Stan Wawrinka. Da war auf der einen Seite die Bilanz aus 20 Begegnungen zuvor, von denen der Schweizer nur drei gewonnen, aber ein genauer Blick zeigte, dass nur einer der drei Siege aus den letzten acht Jahren stammte. Andererseits war klar, wie sehr Djokovic diesen Titel haben wollte. Jenen einzigen, den er noch nicht gewonnen hatte und der perfekt in seine Serie in diesem Jahr zu passen schien: Sieg in Melbourne, Siege in Indian Wells, Miami, Monte Carlo und Rom. Keine einzige Niederlage seit jener gegen Federer in Dubai Ende Februar.
Was macht man mit solchen Zahlen? Vergessen! Denn manchmal sind die wahren Werte woanders zu finden. Andy Murrays Trainerin Amélie Mauresmo hatte nach dem zweiten Teil des Halbfinales am Samstag gesagt, sie habe in Djokovics Augen extrem große Anspannung erkennen können, mehr als sonst.
Aber als es dann losging, erübrigten sich alle Diskussionen. Djokovic gewann den ersten Satz, in dem es schon gewaltig zur Sache ging, weil er eine Möglichkeit zum Break nutzte, Wawrinka hingegen nicht. Doch dieser erste Satz war nur das Vorspiel einer Symphonie mit Pauken und Trompeten. Auf der einen Seite Wawrinkas unglaubliche Granaten von der Vorhand- wie Rückhandseite, über die Mats Wilander neulich gesagt hatte: „Wenn er so spielt, dann kannst du einfach nichts dagegen machen - außer dranbleiben und auf deine Chance warten. Für mich als Zuschauer ist er zur Zeit der aufregendste Spieler.“
Wawrinka knackt den Code
Auf der anderen Seite Djokovic mit seiner phänomenalen Fähigkeit zur aggressiven Verteidigung. Diese Fähigkeit half ihm lange im zweiten Satz, als Wawrinka eine Chance nach der anderen erzwang, als er aber immer wieder scheiterte. Würde er diesen Satz trotz der Chancen verlieren, so viel schien klar zu sein, wäre die Sache erledigt. Aber mit seinem fünften Breakball der Partie knackte der Schweizer den Code, gewann damit praktischerweise auch den Satz, und von diesem Moment an war er kaum mehr zu halten.
Wer immer noch behauptet, Tennis sei früher besser oder spannender gewesen, sollte sich in einer Dauerschleife die letzten beiden Sätze dieses Finales anschauen. Nicht nur den einen Zauberschlag, als Wawrinka einen tiefen Rückhandschuss außen am Pfosten vorbei ins Feld des anderen zwirbelte. Alles, alles, diese ganze Kollektion riss die Leute von den Sitzen.
Djokovic wirkte erschöpft, als er den dritten Satz verloren hatte, aber selbst in diesem Zustand wich er keinen Millimeter ab und schlug immer dann zurück, wenn es so aussah, als habe sich Wawrinka einen halbwegs verlässlichen, kleinen Vorteil erspielt. Das Spiel wogte hin und her wie das Meer an der atlantischen Küste an einem stürmischen Tag, einfach grandios.
Matchball verwandelt mit dem Paradeschlag
Wawrinka zitterte noch ein paar Mal, aber er lockerte den Griff nicht mehr. Und kann es in einem Spiel Besseres geben als das Gefühl, mit dem besten Schlag aus dem Arsenal den letzten, alles entscheidenden Punkt zu machen? Wie ein Blitz zischte die Rückhand übers Netz, geradeaus, und schlug ein, zwei Zentimeter vor der Grundlinie ein. Es blieb einem fast das Herz stehen vor lauter Begeisterung.
Die Duellanten lobten und umarmten sich hinterher, nicht nur einmal, die Atmosphäre nach dem Spiel passte perfekt zu allem, was vorher passiert war. Vor zwölf Jahren hatten Wawrinka den Titel bei den Junioren in Paris gewonnen, und damals hätte er nicht im Traum daran gedacht, das bei den Großen jemals schaffen zu können. Manche Dinge brauchen ein wenig Zeit, viel Arbeit und im richtigen Moment eine große Portion Mut.