Essen. Der europäische Fußball erlebt gerade seinen nächsten großen Wettskandal, doch bei Anne Will ist von Aufregung keine Spur. Bezeichnend für den Verlauf der Talkshow waren die Aussagen von Sportreporter Werner Hansch, der “eher amüsiert war, also gar nicht betroffen.“ Korruptions-Bekämpferin Sylvia Schenk hingegen attackierte die FIFA.

380 manipulierte Spiele, 415 Beteiligte, die Geld angenommen haben sollen: Was die Ermittler von Europol am Montag bekanntgaben, verschlägt jedem Fußballfan den Atem. Die Europol-Chefs sprechen vom „größten Wett­skandal der Fußballgeschichte“. Eine Steilvorlage für eine angeregte Debatte über die unheilige Allianz von Zockern und Fußballern. Doch bei Anne Will verkommt der Talk zum lahmen Sonntagskick. Nur Korruptions-Bekämpferin Sylvia Schenk nimmt deutliche Worte in den Mund.

Bereits die Auswahl der Gäste war bezeichnend: Kein aktiver Fußballer, Trainer oder Funktionär dabei, kein Experte für Wettskandale im Sport. Immerhin, mit René Schnitzler hat die Redaktion einen Ex-Fußballer eingeladen, der selbst ganz tief drin steckt im Sumpf der Wettskandale. Mit durchaus kritischen Aussagen überzeugen der ehemalige FIFA-Schiedsrichter Urs Meier und die Ex-Sportlerin Sylvia Schenk, die für Transparency International arbeitet.

Willi Lemke, Aufsichtsratsvorsitzender von Werder Bremen, gibt das sanft mahnende Gewissen und Sportreporter Werner Hansch hat das ganze Thema "eher amüsiert". Warum der Linken-Politiker Dieter Dehm in der Runde auftaucht, weiß nur Anne Wills Redaktion. Seine einzige Qualifikation bei diesem Thema scheint darin zu liegen, der Sohn eines ehemaligen Bundesligaprofis zu sein.

Werner Hansch ist von Wettskandal "eher amüsiert"

Tiefe Einblicke in die Strukturen der Wettmafia erhält der Zuschauer nicht. Vielmehr spielt Werner Hansch, als "Stimme des Ruhrgebiets" angekündigt, die jüngsten Ereignisse herunter: "Betroffen wäre ich erst, wenn die zuständigen Behörden die Augen schließen würden." Den Auftritt von Europol fand er hingegen "aufgeblasen", schließlich seien viele Fälle, wie der des Wettbetrügers Ante Sapina im Jahr 2005, bereits lange abgeschlossen.

Der Ex-Bremen-Manager Willi Lemke stimmt Hansch zu, auch wenn er betont, dass er 2005 vom Glauben abgefallen sei. Dass Sapina nach seiner verbüßten Haftstrafe sofort wieder rückfällig wurde, bleibt unerwähnt. Hier hätte Anne Will nachhaken müssen.

Ganz so leicht hinnehmen will Ex-Schiedsrichter Urs Meier den jüngsten Wettskandal hingegen nicht. Er verweist auf die Zunahme an Fällen in seiner Heimat Schweiz und betont: "Jeder Fall ist einer zuviel." Er schaue jetzt bei jedem Fußballspiel genauer und misstrauischer hin. Allerdings sei es auch nicht richtig, jetzt bei jedem Spiel zu vermuten, dass manipuliert worden sei.

Ex-Leichtathletin Schenk attackiert FIFA

Ihm zur Seite steht die ehemalige Leichtathletin Schenk. Sie amtierte von 2001 bis 2004 als Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer, kennt sich also aus mit Manipulationen im Profisport. Die Ex-Richterin fordert "Spielerberater, die nicht nur zusehen, wie sie zu ihren Provisionen kommen, sondern die sich auch in der Verantwortung sehen für die Persönlichkeitsentwicklung der Spieler."

Das sah Fußballer Schnitzler, gegen den derzeit ein Verfahren wegen Beihilfe zum Betrug läuft, eher kritisch: "Die Spielerberater gucken doch nur, wie sie den größtmöglichen Profit mit erzielen können, und nicht ob es dir gut geht." Der Ex-Profi hatte 2011 gestanden, in seiner Zeit bei St. Pauli 100.000 Euro von der Wettmafia erhalten zu haben. Er will aber keine Spiele manipuliert haben.

Die Frage, wie ein so engmaschiges Netzwerk von Wettbetrügern überhaupt entstehen konnte und wie es operiert, konnten auch die Teilnehmer nicht klären. Schade, dass die Redaktion keinen Experten oder Insider für dieses Thema besetzt hatte. Immerhin kam Schenk noch auf den Weltverband FIFA zu sprechen, den sie scharf attackierte: "Die FIFA hat keine Glaubwürdigkeit im Kampf gegen Spiel-Manipulationen, weil sie im eigenen Laden nicht aufräumt."