Dortmund. Stehen, singen, pöbeln, jubeln, mit Freunden und Fremden Menschen feiern und trauern – Fußball ist pure Emotion. Nicht in England. Dort ist der Stadionbesuch zum Tourismus-Ereignis geworden, wie die TV-Doku „Verrückt nach Fußball“ zeigt.

Was muss passieren, damit ein eingefleischter Fußball-Fan nicht mehr zu den Spielen seines Lieblingsvereins geht? Eine Menge. Fans sind treu. Abstiege und Misserfolge können sie nicht von der Liebe zu ihrem Verein abbringen. Dennoch haben die Macher der TV-Dokumentation „Verrückt nach Fußball“ einen solchen Fan gefunden. Matty Wilkinson ist glühender Fan von Manchester United. Doch seit dem Kauf „seines“ Klubs durch den Amerikaner Malcolm Glazer geht er nicht mehr ins Stadion.

Während Wilkinson seine Entscheidung freiwillig getroffen hat, zeigt der Film auch die Fans, die es sich einen Stadionbesuch einfach nicht mehr leisten können. Sie fiebern im Pub mit ihrer Mannschaft, singen, jubeln, fluchen – das ganz normale Stadionprogramm.

Wie es im Stadion aussieht, weiß der Dortmunder Jan-Henrik Gruszecki. Er führt den Zuschauer zu verschiedenen Schauplätzen des englischen Fußballs. „Das Ziel der Dokumentation war es, der englischen Fankultur auf den Grund zu gehen“, erklärt der 28-Jährige. Das gelingt den Machern des Films auf beeindruckende und zugleich beklemmende Art und Weise. Sie zeigen stumme Stadien, sitzende Fans. Sie berichten, wie Stadionbesucher aus aller Welt in die englischen Stadien pilgern, bepackt mit Plastiktüten aus dem Fanshop. Stimmung? Gibt es so gut wie nicht.

Arabischer Fan beschwerte sich über fehlende Meinungsfreiheit

Nicht einmal beim hitzigen Derby zwischen Manchester City und Manchester United. „Die Fans in England erwarten, dass die Mannschaft in Vorleistung tritt und sie mitreißt“, erklärt Gruszecki. So sei auch die Stimmung beim Derby mit der in einem deutschen Stadion nicht vergleichbar. Gruszecki hatte sich auf dem Schwarzmarkt eine VIP-Karte für 200 Pfund gekauft.

In seiner VIP-Box offenbarte sich ihm das ganze Ausmaß des Niedergangs der englischen Fankultur: „In der Box saßen nur Araber. Eine Hostess hat ihnen erklärt, dass heute Blau gegen Rot spielt und das Blau ein Heimspiel hat. Darum sei es nicht erlaubt, für Rot zu klatschen.“ Als Reaktion darauf sei ein Besucher aus Abu Dhabi empört aufgesprungen und habe sich über die offensichtlichen Defizite in Sachen Meinungsfreiheit in England beschwert.

Die englische Premier League soll sauber sein. Galt England früher als Synonym für Hooliganismus, so ist die englische Topliga nun das weltweite Sinnbild für Sicherheit beim Fußball. Ein Trugbild, wie Gruszecki sagt: „Beim Derby in Manchester haben mehrere Fans den Platz gestürmt und haben versucht den Schiedsrichter anzugreifen.

Es gab Rauch und Rio Ferdinand wurde rassistisch beleidigt und von einer Münze getroffen“, erinnert sich der Fan und sieht darin den Beweis dafür, dass reine Sitzplatzstadien und hohe Eintrittspreise längst keine Sicherheitsgarantie seien. Doch von all diesen Vorkommnissen haben das Fernsehpublikum nichts mitbekommen. Denn der TV-Sender Sky, erklärt Gruszecki, überträgt die Spiele leicht zeitversetzt und schneidet unschöne Bilder einfach heraus. „Eine journalistische Aufarbeitung der Vorkommnisse hat so gut wie nicht stattgefunden“ klagt Gruszecki.

Zurück zu Anfängen der Fankultur

Doch die Dokumentation blickt auch zurück in die Vergangenheit des englischen Fußballs, vor allem zu den Anfängen der Fankultur und der Gesänge. Allerdings ist selbst die einst so einzigartige Stimmung an der Liverpooler Anflield Road auch längst nur noch im Museum nacherlebbar. Die Heimstätte des FC Liverpool ist bei Heimspielen inzwischen genau so leise, wie alle anderen Stadien in England auch.

So ist die Doku auch als Warnung zu verstehen. „Wir müssen wachsam bleiben“, sagt Jan-Henrik Gruszecki. In Deutschland dürften keine englischen Verhältnisse Einzug halten. Doch die Bundesliga sei auf dem Weg dorthin. „Wenn beim Derby zwischen Mönchengladbach und Düsseldorf wegen der hohen Eintrittspreise 3000 Plätze frei bleiben, ist das ein Signal“, so der Fan, der sich auch in der Initiative „Kein Zwanni“, die sich für faire Eintrittspreise einsetzt, engagiert. Auch die 22 Euro, die Borussia Mönchengladbach für einen Stehplatz gegen Borussia Dortmund verlangt, bedeuteten einen Schritt Richtung England.

In der ZDF-Mediathek ist die Dokumentation jederzeit abrufbar.