Bochum. Ben Redelings findet, dass Fußball zu präsent ist. Deswegen möchte der Autor einen Monat ohne seinen Lieblingssport auskommen. Doch das ist gar nicht so einfach.

Dieser Mann liebt den Fußball. Ben Redelings ist glühender Fan des VfL Bochum und hat mehrere Bücher über seine Leidenschaft geschrieben ("Fußball ist nicht das Wichtigste im Leben - es ist das Einzige"). Seit dem 1. Mai möchte der 39-Jährige, der sich selbst als Fußball-Junkie bezeichnet, nun für einen vollen Monat auf seinen Lieblingssport verzichten. Keine Spiele schauen, keine Nachrichten verfolgen, nichts. Ein Experiment, das Fragen aufwirft.

Was haben Sie am letzten Samstag um 15:30 Uhr gemacht?

Ben Redelings: Da war ich in Köln unterwegs. Ich habe mir zu Beginn dieses Projekts bewusst viele Termine zu den typischen Fußballzeiten gelegt. Allerdings habe ich es etwas unterschätzt, wie viele Gefahrenherde unterwegs lauern. Dementsprechend war der Bürotag am Dienstag sehr entspannend für mich, da ich nicht ständig damit rechnen musste, mit Fußball konfrontiert zu werden.

Wenn man überlegt, wie viel Fußball im Laufe der Woche läuft, haben Sie jetzt viel freie Zeit...

Redelings: Auch dadurch, dass ich nicht mehr im Internet surfen oder soziale Medien nutzen kann. Leider ist im Moment nicht mal Zeitung lesen drin, weil überall Fußballinfos lauern. Fernsehen ist auch keine Option. Deshalb weiß ich im Moment nicht nur nichts über Fußball, ich bekomme überhaupt nichts mehr mit. Dass irgendwo in England ein Kind geboren wurde, hat man mir aber gesagt.

Bemerken Sie schon erste Entzugserscheinungen?

Redelings: Ich merke, dass mir das Projekt guttut. Man wird ruhiger, wenn man sich dieser Informationsflut entzieht. Allerdings vermisse ich schon die VfL-Heimspiele. Der Fußball hat ja auch eine gesellschaftliche und verbindende Funktion. Man trifft sich vor und nach dem Spiel mit Kollegen, was, denke ich, für die meisten Fans wichtiger ist als das nackte Ergebnis, das auf dem Rasen erzielt wurde. Mir ist allerdings aufgefallen, dass ich mich ständig verfolgt fühle und denke, dass ich wegrennen muss, sobald irgendwo das Thema Fußball angeschnitten wird. Zu Hause muss schon meine Frau ans Telefon gehen und meine Mails auf gefährliche Inhalte abklopfen.

Das klingt fast schon paranoid ...

Redelings: Paranoid trifft es auf jeden Fall! Doch ich denke, das wird sich nach dem nächsten Wochenende legen. Dann bin ich so raus und weiß gar nicht mehr, wer gegen wen spielt, dann kann man mir viel erzählen. Ich könnte es nicht mehr nachverfolgen. Ich lebe tatsächlich im Nirwana, kann nichts mehr einordnen. Der Fußball ist ja so verrückt, ganz egal, was die Leute mir erzählen - ich kann nichts ausschließen.

"Selbst mir als totalem Nerd ist das zu viel geworden"

Ist es denn für Sie überhaupt noch möglich, das Haus zu verlassen? Es gibt ja auch Leute, die sich beim Bäcker über das letzte VfL-Spiel unterhalten.

Redelings: Ich führe meinen Alltag ganz normal weiter, fahre die Kinder in den Kindergarten, gehe einkaufen. Natürlich weiß ich, dass im Supermarkt Zeitungsstände aufgebaut sind, doch ich habe im übertragenen Sinne Scheuklappen auf. Und für die Ohren gibt es bei Bedarf zum Glück Kopfhörer und laute Musik.

Was war der Auslöser für das Experiment?

Redelings: Uli Hoeneß befürchtete in den 90er-Jahren mal, dass sein Treffen mit einem talentierten Fußballspieler in der Tagesschau noch vor dem Rücktritt des russischen Präsidenten gezeigt wird. Mittlerweile haben wir diesen Punkt erreicht. Als Jürgen Klopp zurückgetreten ist und gleichzeitig Hunderte Flüchtlinge ertranken, konnte man das an der Gewichtung der Berichterstattung sehen.

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Also ist der Fußball zu präsent?

Redelings: Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der Sportarten wie Handball oder Eishockey dem Fußball fast gleichberechtigt gegenüberstanden. Ich bedauere, dass uns das in den letzten Jahren abhanden gekommen ist. Der Fußball hat nicht diese Dimension, die ihm medial eingeräumt wird. Selbst mir als totalem Nerd ist das zu viel geworden. Das ist keine Rebellion, die ich hier anzettele, aber das Experiment hilft mir zu erkennen, was wirklich wichtig ist. Wofür interessiere ich mich am 1. Juni rückblickend? Was, sagen mir die Leute, soll ich unbedingt nachschauen? Das wird spannend.

Am 31. Mai endet die Fastenzeit - was werden Sie dann als Erstes tun?

Redelings: Auf diesen Moment freue ich mich wie ein Kind auf Weihnachten. Ich werde sicher bis Mitternacht wach bleiben und dann sofort auf der Vereinsseite schauen, was mit dem VfL passiert ist. Es ist ja nicht uninteressant für mich, ob ich im nächsten Jahr noch eine Zweitliga-Dauerkarte habe oder ob es in die Dritte Liga geht. Diesen Moment werde ich mit einer kalten Flasche Bier zelebrieren. Außerdem lasse ich gerade verschiedene Zeitungen archivieren, die ich dann durchsehen werde.

Gibt es ein Szenario, bei dem Sie das Experiment abbrechen würden? Etwa wenn doch Infos zu Ihnen durchdringen?

Redelings: Das halte ich für ausgeschlossen. Einzelne Ergebnisse kann ich eh kaum noch zuordnen. Das wäre kein Grund, aufzugeben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich so viel erfahre, dass es keinen Sinn mehr macht, das Experiment fortzuführen.

Wie das Fußball-Fasten Redelings in eine Trance versetzt

Was passiert, wenn Sie schwach werden sollten und doch zur Fernbedienung greifen?

Redelings: Es wäre interessant, wenn mich tatsächlich irgendeine Art von Suchtverhalten dahintreiben würde, gegen die Regeln zu verstoßen. Aber im Moment kann ich mir das nicht vorstellen. Ich stelle auch fest, dass ich in eine Art Trance-Zustand komme, in der mich das alles nicht mehr interessiert. Die Ergebnisse der Champions League etwa...

Am 6. Juni wartet immerhin noch das Finale auf Sie ...

Redelings: Den Termin habe ich mir im Kalender allerdings fest vermerkt. Ich denke nicht, dass ich nach diesen 31 Tagen komplett fußballfrei sein werde.

Dieses Finalspiel muss dann erst mal reichen. Danach heißt es für sie und Millionen Fußballfans: Zwangsfasten - sieben Wochen Sommerpause.

Redelings: Da besteht schon ein Unterschied. Es wird dann zwar keine Spiele geben, aber alles andere geht weiter. Wir werden mit Sicherheit jeden Tag mit Transfernews torpediert werden. Deswegen kann man diese Zeit niemals als fußballlos bezeichnen. Nach einiger Zeit fangen dann ja auch schon die Testspiele an und es ist nicht mehr lange, bis der Supercup und die erste Runde des Pokals steigen.

Sie haben sich den Mai für Ihr Experiment ausgesucht. Wäre es nicht schwieriger zu Beginn einer Saison auf den Fußball zu verzichten?

Redelings: Der Mai ist der Monat der Entscheidungen. Sollte der VfL Bochum absteigen, ist das unwiderruflich. Wenn ein Verein mit vier Niederlagen in die Saison einsteigt, hat er immer noch die Chance in den verbleibenden 30 Partien alles zu korrigieren. Für mich persönlich fühlt es sich im Moment auf jeden Fall schwerer an als am Anfang einer Saison, auch wenn dieser sicher eine prägende Phase für die gesamte Spielzeit ist.