Essen. Die Stimmung bei Heimspielen von Rot-Weiss Essen wird in der Regel gelobt. Atmosphärisch hatte RWE früher aber deutlich mehr zu bieten.
- Die Stimmung an der Essener Hafenstraße ist legendär und wird noch heute gelobt. Stammzuschauer haben jedoch den Eindruck, dass die Atmosphäre aktuell nicht die beste ist.
- Bei Rot-Weiss Essen harmonieren die Tribünen nicht miteinander. Vor allem beim Versuch, neue Lieder einzubringen, hapert es aktuell.
- Aus Kreisen der aktiven Fanszene ist Kritik an Christian Ruthenbeck, dem gewählten Fanvertreter im Aufsichtsrat, zu hören.
Wenn von der Atmosphäre an der Essener Hafenstraße die Rede ist, geraten vor allem diejenigen ins Schwärmen, die das legendäre Stadion des Fußball-Drittligisten Rot-Weiss Essen zum ersten Mal betreten. In der vergangenen Drittliga-Saison feierte Achim Beierlorzer als Sportdirektor des SSV Jahn Regensburg seine persönliche Premiere in einer der Kultstätten des deutschen Fußballs. Als ehemaliger Bundesligatrainer hatte er schon einige Erfahrungen gesammelt, das Erlebnis bei RWE war für ihn dennoch ein besonderes. „Das Stadion an der Hafenstraße ist ein großer Begriff im deutschen Fußball. Ich merke schon jetzt beim Aufwärmen, welch tolle Atmosphäre hier herrscht“, hatte Beierlorzer vor einem Jahr gesagt.
Wer das Abenteuer Hafenstraße zum ersten Mal erlebt, wird dem Regensburger Sportchef in der Regel zustimmen. Anders fällt aktuell das Urteil regelmäßiger Essener Stadionbesucher aus, die schon bei Heimspielen im altehrwürdigen Georg-Melches-Stadion dabei waren. ZDF-Moderator Rolf Töpperwien wurde 1995 beim DFB-Pokalspiel gegen Bayer Leverkusen von der Atmosphäre verzaubert und sprach von einer Stimmung, „wie ich sie in 23 Berufsjahren außer in Mexiko City, Aztekenstadion, noch nie erlebt habe.“ Diese Magie des Georg-Melches-Stadions, so die Meinung vieler RWE-Anhänger, ist in den letzten Monaten und Jahren verloren gegangen.
Rot-Weiss Essen: Neue „Erfolgsfans“ nach dem Aufstieg
Bei einem hochemotionalen Fußballverein wie Rot-Weiss Essen, der seit Jahrzehnten von der ungeheuren Kraft seiner großen Anhängerschaft getragen wird, mutet das wie Jammern auf hohem Niveau an. Mehr als 18.000 Zuschauer kamen im Schnitt zu den ersten drei RWE-Heimspielen in dieser Saison, 11.000 Dauerkarten wurden vor dem Saisonstart abgesetzt. An der Anzahl der Fans liegt es nicht, dass einige Besucher bei den letzten Heimspielen von einer „lähmenden Stimmung“ sprachen. Durch den Aufstieg in die 3. Liga gesellten sich auch viele in der Kurve als „Erfolgsfans“ verpönte Besucher hinzu, die wenig zur Stimmung beitragen. Auffällig war schon in der letzten Saison, dass das Zusammenspiel zwischen der aktiven Fanszene auf der Westtribüne und dem Rest des Stadion nicht harmoniert.
Unzufrieden ist auch Helmut „Happo“ Tautges mit der Atmosphäre an der Hafenstraße. Der ehemalige Präsident der Uralt-Ultras verfolgt die Spiele seines Herzensklubs in dieser Saison erstmals von einem Sitzplatz aus. Ein „Steher“ ist für den 69-Jährigen zu anstrengend geworden. „Die Knochen machen nicht mehr mit“, gibt Tautges zu. Auf seinem neuen Stammplatz abseits des Trubels auf der West ist der Essener Kultfan zu einem unbefriedigenden Urteil gekommen. „Vor dem Spiel heißt es, wir seien die lautesten Fans der Liga. Das könnte so sein, aber wir sind nicht mehr die Lautesten.“
Das hat mehrere Gründe und ist auch den Gegebenheiten des Stadions geschuldet. Die Ecken sind nicht geschlossen, darunter leidet die Lautstärke. Ein Problem, das durch den geplanten Ausbau in wenigen Jahren behoben sein sollte.
Rot-Weiss Essen: Aktive Fanszene mit Fanvertreter nicht zufrieden
Noch keine Lösung gibt es für die fehlende Harmonie innerhalb der Fanszene. Selbst zwischen den einzelnen Ultras-Gruppen soll es Differenzen geben. Aus Kreisen der aktiven Fanszene ist Kritik an Christian Ruthenbeck, dem gewählten Fanvertreter im Aufsichtsrat, zu hören. Der Vorwurf hinter vorgehaltener Hand: Es werden kaum Informationen an das Fanbündnis (FFA) weitergegeben. Ruthenbeck würde sich abwenden und vom Verein einlullen lassen. Auf Nachfrage dieser Redaktion wollten sich RWE und Ruthenbeck dazu nicht äußern. Dabei gibt es aktuell viel Gesprächsbedarf. „Die Stimmung ist sehr gespalten und gereizt“, findet „Happo“ Tautges. Ein reines Problem der Ultras sei das aber nicht, betont er. „Man sollte nicht auf die Ultras zeigen. Das sind junge Menschen, die ihr Ding machen. Wenn die nicht da sind, ist wenig los. Jeder Fan hat es im Stadion selbst in der Hand, etwas für die Stimmung zu tun.“
Bei den Heimspielen hakt es vor allem beim Thema Gesang. Werden die Klassiker wie „von der Ruhr bis an die Elbe“ angestimmt, gehen auch die anderen Tribünen mit. Beim Versuch der aktiven Fanszene, neue Lieder einzubringen, springt der Funke nicht über. Für „Happo“ ist es „eine Sache der Generationen. Die alten Säcke singen nicht mit.“ Gleichwohl räumt der RWE-Edelfan ein, dass einige Lieder „einschläfernd“ und nicht kreativ seien. Von der Konkurrenz aus Dresden, Cottbus oder Rostock könne man sich etwas abschauen. „Das können die Ossis besser“, findet er.
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Eine ähnliche Meinung zur Stimmung an der Hafenstraße hat RWE-Blogger André Schubert. Mit seinen meinungsstarken Beiträgen als „Catenaccio 07“ erzielt der Essener in den sozialen Netzwerken hohe Reichweiten. Schubert zieht beim Thema Fanlieder im Stadion einen interessanten Vergleich. „Ob ein Fangesang in einem Stadion von der breiten Masse angenommen und getragen wird oder nicht, nun, ich ziehe da mal eine Parallele zu einem Club. Wenn der DJ einen guten Song spielt, dann ist die Tanzfläche in Sekunden voll und die Leute gehen drauf ab. Party. Wenn er jedoch eine Platte auflegt, die eher so semi ist, dann kommt halt wenig bis keine Reaktion. Ein Wunschkonzert ist das nicht, war es nie. Allerdings stellt sich mir auch die Frage, ob es in einem Stadion überhaupt einer Art DJ bedarf.“
Neue Lieder bei RWE: „Catenaccio 07“ wünscht sich spontane Gesänge
Seiner Meinung nach können neue Lieder niemandem aufgezwungen werden. Schuberts Wunschszenario: „Auf Ansage singen ist nicht Jedermanns Sache, am liebsten ist es mir persönlich, wenn Gesänge situations-, spielbedingt und spontan aus dem Bauch der Masse ins Stadion eingespeist werden. Und das ergibt sich meist von selbst, wenn das Geschehen auf dem Rasen eine fiebrige Wechselwirkung mit den Tribünen entstehen lässt. In diesem Sinne: Von der Ruhr bis an die Elbe.“
Zur Magie im altehrwürdigen Georg-Melches-Stadion hat auch Lothar Dohr beigetragen. Mit seinem berüchtigten Schlachtgesang: „Wer ist der Schreck vom Niederrhein? - Wer sammelt alle Punkte ein? - Wer spielt den Gegner an die Wand? - Wer schießt Tore am laufenden Band?“ sorgte der Kultfan regelmäßig für Gänsehautstimmung im Stadion, sogar beim Gegner. „Lothar auf die Stange“, das war ein besonderes Erlebnis bei RWE-Stadionbesuchen, das nun fehlt. Aus gesundheiltlichen Gründen darf Dohr schon seit vielen Jahren nicht mehr auf die Stange, einen Ersatz hat es bis heute nicht ergeben. „Damit fehlt RWE etwas Besonderes. Ich verstehe nicht, warum wir nie jemanden für Lothar gefunden haben“, sagt „Happo“ Tautges.
Rot-Weiss Essen: Der Dialog muss her
Auch ohne den „Schreck vom Niederrhein“ sollte ein Traditionsklub wie Rot-Weiss Essen in der Lage sein, atmosphärisch den Glanz alter Tage wiederzufinden. Bessere Ergebnisse der aktuell schwächelnden Drittliga-Mannschaft würde dabei sicher helfen. Der Schlüssel zum Erfolg sollte eine bessere Kommunikation sein - zwischen dem Verein und den einzelnen Fangruppierungen. „Happo“ Tautges fasst dies sehr treffend zusammen: „Jeder kocht sein eigenes Süppchen. Es geht nur, wenn miteinander gesprochen wird. Dann wird die Stimmung auch so sein, wie sie einmal war.“