Bochum. Im Sommer gewann der Bochumer Rollstuhl-Tischtennisspieler Valentin Baus Gold in Tokio. Dabei gelang ihm etwas, wovon Timo Boll noch träumt.

Valentin Baus wird sich in diesen Tagen recht häufig selbst begegnen. Es ist die Zeit der Jahresrückblicke, auch im Sport. Und Valentin Baus hat für einen der deutschen Höhepunkte bei den Paralympischen Spielen in Tokio gesorgt. Der Rollstuhl-Tischtennisspieler aus Bochum schlug im Finale von Tokio Cao Ningning, den zweimaligen Paralympics-Sieger, die Nummer eins der Welt aus China, dem Land der besten Tischtennisspieler. Damit ist Valentin Baus etwas gelungen, wovon Timo Boll bislang nur träumen kann: im größten Einzel-Finale seines Sports den weltbesten Chinesen zu schlagen.

Für Valentin Baus begann damit eine Reise von Kamera zu Kamera, von Interview zu Interview. Zurück in der Heimat sei er plötzlich auf der Straße angesprochen worden, erzählt er: „Ich bin keiner, der sich ins Rampenlicht stellt, aber über nette Worte freue ich mich natürlich.“ Auch Timo Boll gehörte zu den ersten Gratulanten. Beide Tischtennis-Asse kennen sich schon länger. Boll (40) spielt für die Profis von Borussia Düsseldorf, und Valentin Baus (26) ist mit dem Rollstuhl-Team erfolgreich. „Wir trainieren zwar nihct in der gleichen Halle. Aber wir unterhalten uns immer mal wieder“, sagt Baus. „Er ist auf jeden Fall ein Spieler, der mich inspiriert.“

Tipps für Timo Boll hat Valentin Baus auch - aber nicht zum Tischtennis

Nach Tipps, wie man denn nun den weltbesten Chinesen schlägt, hat Boll aber noch nicht gefragt. Valentin Baus muss lachen. „Tipps kriegt er von mir höchsten für guten Kaffee – wir sind beide Kaffee-Nerds. Für sein Spiel braucht er das eher nicht.“ Sein Spiel. Darauf kommt es im Tischtennis an. Sein Spiel zu machen, es dem Gegner aufzuzwingen. Seinen eigenen Weg, seine eigene Lösung zu finden. Für den Lebensweg von Valentin Baus ist es die perfekte Analogie.

Mit „sechs oder sieben Jahren“ entdeckte er seine Liebe zum Tischtennis, erzählt Baus. Im Urlaub stand er das erste Mal an der Platte, zu Hause meldete sein Vater ihn im Verein an. „Ich hatte nie einen anderen Sport ausprobiert – und von da an gab es für mich nur noch Tischtennis.“ Das sollte auch so bleiben, als sich bei ihm bemerkbar machte, wogegen er nichts tun kann. Wie sein Vater hat auch der 26-Jährige Glasknochen. Bei dieser erblich bedingten Behinderung sind die Knochen besonders zerbrechlich.

Der Bochumer Tischtennisspieler Valentin Baus in Tokio in Aktion.
Der Bochumer Tischtennisspieler Valentin Baus in Tokio in Aktion. © dpa | Marcus Brandt

2008 landete Valentin Baus nach einem Beinbruch im Krankenhaus. „Da war abzusehen, dass es mit dem Laufen nicht mehr so werden würde wie bisher“, erzählt er. Eine der ersten Fragen an seinen Vater: „Denkst du, dass ich weiter Tischtennis spielen kann?“ Die Antwort: „Na, klar!“ Valentin Baus zögerte keine Sekunde: „Rund zehn Tage nach dem Bruch habe ich wieder Tischtennis gespielt – nun halt im Rollstuhl.“

Valentin Baus: Von Bochum über Duisburg nach Düsseldorf

Während er seinem Heimatverein TTG Weitmar verbunden blieb, spielte er bald auch in der Rollstuhl-Bundesliga-Mannschaft von BSG Duisburg-Buchholz. 2014 wurde er überraschend Weltmeister. Seit 2016 ist er Teil der Erfolgsmannschaft von Borussia Düsseldorf. Bevor er 2019 Europameister wurde, gewann er bei den Paralympics 2016 in Rio de Janeiro Silber im Einzel - er unterlag jenem Cao Ningning, gegen den er in diesem Sommer Gold gewann. Revanche gelungen.

Für seine Leistung wurde Valentin Bau in diesem Jahr zu Deutschlands Para-Sportler des Jahres gewählt. „Es ist eine sehr wichtige Auszeichnung und ich habe mich sehr darüber gefreut", sagt er. "Aber sie macht mein Jahr nicht erfolgreicher als es ohnehin war – sie ist vielmehr das i-Tüpfelchen." Er habe überhaupt nicht mit der Auszeichnung gerechnet - "bei den tollen Athleten, die nominiert waren – das waren ja auch alles Goldmedaillengewinnern." Sein Favorit war der 19 Jahre alte Schwimmer Taliso Engel, der in Tokio Parlympics-Sieger mit Weltrekord geworden war. "Dass ich es jetzt geworden bin, ist etwas Schönes, schmälert die Erfolge der anderen in keiner Weise“, findet Valentin Baus.

Abenteuer Tokio mit Kumpel von Borussia Düsseldorf

Zusammen mit seinem Borussia-Teamkollegen Thomas Schmidberger, der in einer anderen Startklasse antritt, erlebte Valentin Baus dann das Abenteuer Tokio. Am Tag vor Baus‘ Finale kämpfte Schmidberger um Gold. Er unterlag knapp. „Ich hätte es ihm sehr, sehr gewünscht, dass er seine Leistung vergoldet“, sagt Baus. Am Abend unterhielten sich die beiden. Baus erinnert sich: „Er sagte zu mir: ‚Dann mach du es wenigstens morgen.‘“ Baus versprach, sein Bestes geben zu wollen. „Hat geklappt“, sagt er und muss lachen. „Vielleicht tauschen wir dann in Paris die Medaillenfarben – damit könnte ich sehr gut leben.“

Valentin Baus hat sich bereits entschieden: Er will weitermachen. Die Paralympics 2024 in der französischen Hauptstadt sind sein Ziel, auch vier Jahre später in LA könnte er sich einen Start vorstellen. Schon jetzt taugt er zum Vorbild. Neulich bekam er eine Mail: „Ein Junge, der auch Glasknochen hat, wünschte sich ein Treffen mit mir. Das erfülle ich gern. Es ist eine schöne Zusatzmotivation, junge Menschen zu inspirieren. Ich würde mich freuen, wenn irgendwann ein junger Sportler nachkommt und mich überholt. Für den Sport wäre das toll.“

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Valentin Baus weiß, dass der Schritt in den professionellen Para-Sport mit vielen Hürden verbunden ist. Er selbst studiert nebenher Business Administration in Düsseldorf. „Ohne die Unterstützung der Familie ist es schwer, alles auf die Karte Sport setzen zu können“, sagt er. „Gerade am Anfang, wenn man noch nicht so erfolgreich ist.“

Besondere Beziehung zum Vater

Für Valentin Baus spielt vor allem sein Vater eine wichtige Rolle. „Wir verstehen uns sehr gut, haben schon eine besondere Beziehung“, sagt er und ergänzt nach einer Pause lachend: „Wir können beide ganz schöne Dickköpfe sein.“

Auch Harry Baus sitzt im Rollstuhl, lebt ebenfalls mit Glasknochen. Valentin Baus: „Das Wichtigste ist, dass mein Vater mich nie verhätschelt hat. Ich sehe oft Kinder mit Behinderung, die besonders behandelt werden, denen viel abgenommen wird. Das war bei mir nicht so.“ Sein Vater habe ihm immer gesagt: „Das kannst du selber machen.“ Auf eine gute Art und Weise habe er dafür gesorgt, dass Baus selbstständig wird. Er habe selbst vorgelebt: „Die Behinderung ist keine Ausrede. Dadurch bin ich der geworden, der ich bin. Es geht darum, seinen eigenen Weg zu finden.“ Im Leben wie im Tischtennis.