Sotschi. Bei Olympischen Winterspielen geht es um Gold, Silber und Bronze. Den Reiz von Olympia machen aber noch ganz andere Dinge aus. Kleine Geschichten am Rande. Wichtige und unwichtige, bei denen es nicht nur um Weiten und Zeiten geht. Einige von ihnen erzählen wir hier.

Richtige wichtige Worte: Nach ihrem dritten Platz im Paarlauf-Wettbewerb mit Partner Robin Szolkowy vergoss Aljona Savchenko bittere Tränen. Vor dem Schaulaufen bewies die 30-Jährige, die 2003 aus der Ukraine nach Chemnitz gekommen ist, dass Sportler auch über den Tellerrand schauen können, weil es noch wichtigere Dinge im Leben gibt. Sie ist entsetzt über die Gewaltexzesse in ihrer Heimat. „Es ist grausam, es trifft alle. Ich hoffe nicht, dass die Gewalt weiter eskaliert. Ich verstehe die Welt nicht mehr“, sagte sie, „Die Regierung hat es so weit getrieben, es wird ja nicht ohne Grund demonstriert.“ Ob sie wie geplant im Sommer in Kiew ihr Trainer-Diplom erwerben wird, hält sie für unwahrscheinlich: „Das Studium ist jetzt irrelevant, Hauptsache es kehrt Frieden ein.“

Nostalgie: Mein Lieblingsplatz im hypermodernen Betonklotz, das sich Pressezentrum nennt, ist rechts hinten in der Ecke. Da blicke ich während des Schreibens auf ein Schwarz-Weiß-Foto und sehe, wie das Leben eines Olympiareporters früher aussah. Der Typ mit dem riesigen Hemdkragen sitzt an der Schreibmaschine, Marke Monica. Der Blonde mit den zehn Zentimeter langen Koteletten liegt auf dem Teppich und macht ein Nickerchen. Und überall stehen mit Kippen gehäufte Aschenbecher und reichlich Dosenbier auf den Tischen. Jungs, in der heutigen streng nikotin- und alkoholfreien Denkstube hättet ihr es nicht einfach.

Schock am Abend: Heutzutage arbeiten über 1000 Reporter in einem riesigen Saal und schicken ihre Erlebnisse mit den modernsten Techniken in die Welt hinaus. Am Mittwoch legten die meisten Journalisten für einige Momente die Maus zur Seite und versammelten sich vor der großen Videowand. Russland gegen Finnland. Als die Schlusssirene ertönt, fassen sich die Russen entsetzt an die Köpfe und die Finnen reißen vor Freude fast die Halle ab.1:3, unfassbar! Putins liebstes Kind, die Sbornaja, ist draußen. Das Eishockey-Turnier ohne Russland, die olympische Stimmung sinkt. „Diese Millionäre aus der NHL haben es nicht verdient, für Russland zu spielen“, sagt Juri -- und seine Kollegen nicken mit bleichen Gesichtern.

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Biathlon-Sprüche: Die Skijäger schießen nicht nur scharf auf Scheiben. Als Martin Fourcade, der Doppel-Olympiasieger aus Frankreich, im weltweiten Netz das Nackt-Foto der deutschen Biathletin Miriam Gössner sah, twitterte er: „Froh zu sehen, dass es Deinem Rücken wieder besser geht.“ Gössner, die Freundin von Ski-Ass Felix Neureuther, hatte verletzt auf ihre Olympia-Teilnahme verzichten müssen. Mit seiner eigenen Anatomie beschäftigte sich Erik Lesser, der Silbermedaillengewinner im Einzel: „Auf der dritten Runde ist mir der Berg in die Beine geschossen. Und auf der vierten hätte ich mir von meinen Beinen etwas mehr Rückhalt gewünscht.“

Die Goldmedaille des Herzens: Wer Rosi Mittermaier und Christian Neureuther schon einmal kennenlernen durfte, der weiß, dass Popularität einen Menschen nicht verändern muss. Die Eltern von Felix Neureuther bewiesen ihren starken Charakter auch in Sotschi. Als sie vom Tod HSV-Masseur Hermann Rieger erfuhren, sandten sie ihm „die olympische Goldmedaille des Herzens“. Der 72 Jahre alt gewordene Rieger hatte Mittermaier und Neureuther während ihrer großen Erfolge in den Siebziger Jahren betreut. „Wir haben in unserem Leben sehr viele Menschen mit großen Herzen kennengelernt, der Hermann hatte das größte. Er hat jedem Menschen mit Leidenschaft geholfen“, sagte Rosi Mittermaier.

Rabenmutter: Weniger mitfühlend zeigte sich eine andere Mutter eines Olympiasportlers. Nach seinem enttäuschenden 13. Platz im 15-Kilometer-Langlauf rechnete Gro Johnsrud Langslet vor aller Welt mit ihrem Sohn ab. Als Martin Johnsrud Sundby auf die Zielgerade kam, schimpfte sie: Schau die das an. Er hat nicht den Hauch einer Chance.“ Und ihre Worte nach dem Rennen waren auch alles andere als aufbauend: „Du bist der schlechteste Norweger. Du solltest nach Hause fahren.“ Beim nächsten Gespräch zwischen Mama und Sohn würde ich gern Mäuschen spielen.

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Österreichisch für Fortgeschrittene: In der Mixed Zone herrscht nach den olympischen Entscheidungen immer ein Sprachengewirr. Skirennläuferin Tina Maze erzählt auf Slowenisch, wie sie die Konkurrenz versägt hat. Ihre US-Gegnerin, das Glamourgirl Julia Mancuso, beantwortet in röhrendem Amerikanisch auch mal gern Fragen zu Themen abseits der Piste. Und dann gibt es da noch den Österreicher Marcel Hirscher, der nach seinem vierten Platz im Riesenslalom dem Olympiasieger Ted Ligety diese Worte widmete: „Der is so gmiadlich obag'fohrn, do hätt' er nebenbei a no a Jausenbrot essen kenna.“

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Vorbild Lena: Für Anna Seidel hat sich das Abenteuer Olympia voll gelohnt. Die 15-Jährige hat eigentlich Ferien, vertrat aber die deutschen Farben beim Shorttrack über 1500 Meter. Nach ganz vorne reichte es noch nicht, aber mit ihr wächst ein Riesentalent heran. In einer Sportart, in der Deutschland noch weit hinterher hinkt. Aber das größte Erlebnis für Anna Seidel war das Treffen im Deutschen Haus mit Magdalena Neuner. Wer die strahlenden Augen von Anna und das errötende Gesicht von Lena sah, wusste, dass Olympia wirklich ein Treffpunkt der besonderen Art ist. „Lena ist mein ganz großes Vorbild“, schwärmte Anna und schaute die vor zwei Jahren zurückgetretene Doppel-Olympiasiegerin im Biathlon voller Ehrfurcht an. Kitschig? Nein, einfach nur menschlich.