Essen/Berlin. Statt die Medaillenvorgaben für Olympia freizugeben, fährt Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) die ganz harte Linie: Sein Ministerium hat beim Verwaltungsgericht Berlin Beschwerde gegen eine Veröffentlichung eingelegt. Jetzt entscheidet das Oberverwaltungsgericht Berlin über die Klage der WAZ-Mediengruppe.

Das Verwaltungsgericht hatte vergangene Woche Dienstag entschieden, dass die Medaillenvorgaben für die Olympischen Spiele veröffentlicht werden müssen. Diese Vorgaben haben Leichtathleten, Schwimmer oder Ruderer vier Jahre vor den London-Spielen mit dem Deutschen Olympischen Sportbund ausgehandelt, sie wurden in den sogenannten Zielvereinbarungen festgeschrieben. Die Vereinbarungen spielen eine Rolle bei der Vergabe von Steuergeld. Mehr als 40 Millionen Euro hat das Innenministerium in den vier Jahren vor den Spielen in London über diese Vereinbarungen vergeben.

Redeker Sellner Dahs vertreten Friedrich

Trotz des Gerichtsbeschlusses hatte Innenminister Friedrich die Vorgaben nicht veröffentlicht. Deshalb hatte die WAZ-Mediengruppe am vergangenen Samstag wie angekündigt beim Verwaltungsgericht beantragt, dass gegen das Ministerium ein Zwangsgeld verhängt wird, wenn es die Ziele nicht mitteilt. Das Gericht setzte dem Ministerium eine Frist, bis zum gestrigen Mittwoch um 13 Uhr Stellung zu diesem Antrag zu beziehen. Statt die Medaillenvorgaben zu veröffentlichen, beauftragte das Ministerium die bekannte Kanzlei Redeker Sellner Dahs. Das ist die Kanzlei, die auch Ex-Bundespräsident Christian Wulff gegen die Presse vertreten hat. Die Kanzlei legte nun Beschwerde gegen den Beschluss der ersten Instanz ein.

Damit geht das Verfahren weiter, ab heute bearbeitet das Oberverwaltungsgericht den Antrag auf einstweilige Anordnung. Innenminister Friedrich verhindert so aller Voraussicht nach eine Veröffentlichung während der Olympischen Spiele. Und das, obwohl er und seine neuen Anwälte keine wirklich neuen Argumente vorbringen. Erneut geht es um angebliche "Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse" der Verbände und um schutzwürdige private Interessen. Redeker Sellner Dahs behaupten sogar, durch die Herausgabe der Medaillenvorgaben wären die Interessen der einzelnen Athleten verletzt, weil diese dadurch in ihrer Wettkampfvorbereitung gestört werden könnten - um nur eine der Argumentationsblüten des 17-seitigen Schreibens zu nennen.

Angeblich hat die WAZ--Mediengruppe Schuld an der Eilbedürftigkeit

Die Promi-Kanzlei beharrt zudem darauf, dass die Berichterstattung der WAZ-Mediengruppe "unzutreffend und sorgfaltswidrig" sei - also falsch über die deutsche Sportförderung berichten würde - und deshalb kein Zugang zu den Informationen möglich sei. Die Anwälte bestreiten außerdem, dass die Öffentlichkeit ein Interesse an den Informationen habe. Zudem werfen Redeker Sellner Dahs der WAZ-Mediengruppe vor, an der Eilbedürftigkeit des Verfahrens selbst Schuld zu sein. Diese Zeitung könne keinen Antrag auf eine einstweilige Anordnung stellen - also darauf, dass die Ziele noch während Olympia öffentlich werden - da sie erst am 20. Juni das erste Mal über das Pressegesetz Einsicht in die Medaillenziele verlangt habe. Was Redeker Sellner Dahs verschweigen: Wie das Innenministerium seit Mai 2011 mit Hilfe zahlreicher Tricks und falscher Versprechungen das Verfahren verzögert. Den Antrag nach dem Pressegesetz hatte die WAZ-Mediengruppe erst gestellt, als abzusehen war, dass das Ministerium auch 14 Monate nach dem ersten Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz die Zielvereinbarungen nicht bis zu den Olympischen Spielen aushändigen würde. Die Anfrage über das Pressegesetz zu den reinen Medaillenzahlen war eine Zweitlösung, die durch die Blockadehaltung des Ministeriums nötig geworden war.

Der Innenminister versucht mit dieser Beschwerde erneut, die Veröffentlichung der Ziele zu verhindern, obwohl Politiker, Journalistenverbände und sogar Sportfunktionäre die Herausgabe fordern. Die SPD-Sportpolitiker Dagmar Freitag und Martin Gerster, Viola von Cramon von den Grünen und Lutz Knopek von Koalitionspartner FDP hatten Friedrich mit teils deutlichen Worten angegriffen. „Das Bundesinnenministerium steht nicht über Gesetz und Recht“, sagte der Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten Verbandes, Michael Konken. „Nach der richterlichen Entscheidung darf es die Berichterstattung nicht weiter behindern – auch nicht durch den Versuch des Aussitzens.“ Auch das netzwerk recherche forderte die Herausgabe der Ziele. DOSB-Präsidiumsmitglied Ingo Weiß sagte dem ZDF noch am Montag: "Das Urteil ist da und aus meiner Sicht auch umsetzbar. Und das BMI wird die Unterlagen dann auch zur Verfügung stellen."

Können Verbände ihre Vorgaben einfach veröffentlichen? 

Große Sportverbände wie der Deutsche Leichtathletik Verband hätten ebenfalls keine Probleme mit der Veröffentlichung der Ziele, wurden vom Deutschen Olympischen Sportbund jedoch daran gehindert. In diesem Zusammenhang erstaunt, dass Redeker Sellner Dahs schreiben, den Verbänden stünde "die autonome Entscheidung zu, ob und inwiefern sie den Inhalt der sie betreffenden Zielvorgaben öffentlich machen". Bislang hatte der Deutsche Olympische Sportbund die Verbände stets unter Druck gesetzt, Journalisten keine Informationen zukommen zu lassen.

Durch die Hinhaltetaktik und die erneute Verzögerung versucht das Ministerium, eine Diskussion über die deutsche Sportförderung zu unterbinden, die in den vergangenen Tagen und Wochen aufgekommen war. Neben der WAZ-Mediengruppe hatten zahlreiche andere nationale und lokale Medien über die Förderung deutscher Sportler berichtet. Immer wieder kommt in diesen Wochen die Fragen nach der Messbar- und Planbarkeit von Erfolg auf. Ist es sinnvoll, die Förderung von Leistungssport aus Steuergeld an der Zahl der Medaillen festzumachen? Diese und weitere Fragen sollten anhand von konkreten Fakten geklärt werden. Bislang verhindern BMI und DOSB dies mit allen Mitteln.

Weitere Hintergründe zur Sportförderung, zur Klage und zur Recherche sowie Kontakt zu den beiden Autoren gibt es im Rechercheblog unter derwesten-recherche.org.