London. Ashton Eaton dominiert den olympischen Zehnkampf. Im Weitsprung fliegt der US-Amerikaner als einziger der 31 Athleten über acht Meter weit: 8,03 Meter. Sein deutscher Konkurrent Pascal Behrenbruch schaut wie eine Schlechtwetterfront. Er scheitert an den eigenen Ansprüchen.

Erst kommen die großen Kleiderschränke die Treppe im Olympiastadion herunter. Sie sind auf dem Weg zur Mittagpause. Dann kommen die ganz großen Kleiderschränke hinterher. Zehnkämpfer haben gerne ein breites Kreuz. Und dann kommt Ashton Eaton, ein Mann, schmal wie ein tapezierter Bleistift.

Das schmächtige Hemd ist der König der Zehnkämpfer, der König der Athleten. Den US-Amerikaner kann nach dem ersten von zwei Zehnkampf-Tagen in London nichts mehr aufhalten. Außer einem Beinbruch, aber selbst dann kann man nie wissen…

Er ist der Weltrekordler: 9039 Punkte. Nach fünf Disziplinen führt er in London bereits wieder mit 4661 Punkten vor Trey Hardee (USA/4441) und Damian Warner (Kanada/4386).

Fast alle anderen sitzen schon im Bus, um zur Massage vor der Mittagpause zu fahren. Nur Eaton nimmt sich noch Zeit. „Ein phantastischer Vormittag“, findet er. „Ich liebe den Zehnkampf, er ist mein Zuhause.“ Noch ein Teelöffelchen Selbstvertrauen mehr, und er platzt.

Sebrle tritt zum Weitsprung nicht mehr an

Außer Eaton hat nur Roman Sebrle in der Geschichte des Sports mit 9026 diese Grenze gesprengt. Der Tscheche ist mit fast 38 Jahren in London noch am Start, doch nach den 100 Metern zum Auftakt geht er zum Kampfrichter und sagt: „Ich höre auf!“ Zum Weitsprung tritt er nicht mehr an.

Dort fliegt Eaton als einziger der 31 Athleten über acht Meter weit: 8,03 Meter. Pascal Behrenbruch doktert noch an seinem dritten Versuch herum. Der Erste war ungültig, der Zweite 7,15 Meter weit, beim Dritten tritt er wieder über. Der Frankfurter schaut wie eine Schlechtwetterfront. Der Europameister von Helsinki hat sich selbst zum Medaillen-Kandidaten erklärt. Er scheitert gerade an seinen großen Ankündigungen.

Er gilt, um es vorsichtig zu formulieren, als eigenwillig. Im vergangenen Jahr warf ihn der Deutsche Leichtathletik-Verband aus der Förder-Gruppe. Offiziell hieß es: „Keine zufrieden stellende Zusammenarbeit möglich.“ Übersetzt: Behrenbruch ist zickig, die Spielerfrau unter den Zehnkämpfern.

Er zog um nach Talinn. In der Hauptstadt von Estland trainierte er auf eigene Faust bei Erki Nool, dem Zehnkampf-Olympiasieger von Sydney. Nool begann die Zusammenarbeit mit dem Satz: „Du springst unbeweglich wie ein Panzer.“ Sie nahmen Seilspringen ins Trainingsprogramm auf, stellten die Ernährung um, bauten Elemente der russischen Weitspringer-Schule in die Übungen ein.

Und alles für die Olympia-Weite von 7,15 Meter, sechs Zentimeter unter Behrenbruchs persönlicher Bestleistung. Der 27-Jährige packt seine Tasche und verschwindet.

Behrenbruch nennt sich „King of the Ring“

Es ist nach 13 Uhr, auf der Tribüne machen die ersten Bierbecher die Runde. Die Zehnkämpfer kehren zur dritten Disziplin ins Stadion zurück: Kugelstoßen.

Behrenbruchs Disziplin! Er nennt sich „King of the Ring“. Mit 16,89 Metern liegt seine Bestweite meilenweit vor der Konkurrenz. Er beginnt mit 14,34 Metern, nach dem dritten Versuch stehen 15,67 Meter auf der Tafel. „Eine Katastrophe“, findet er. „Ich wollte mit über 17 Metern einen Olympischen Rekord für Zehnkämpfer aufstellen. Ich weiß nicht, was los ist.“ Vorläufig Platz zwölf.

Er erlebt einen Zehnkrampf.

Eaton schaut überhaupt nicht mehr zu dem Frankfurter, der barfuß durch die Katakomben geht. Mit 15,48 hat der Weltrekordler aus den USA mit der Kugel eine persönliche Bestleistung aufgestellt. Seit er sieben Jahre alt ist, trainiert er bei einem Koreaner Taekwondo und hat den schwarzen Gürtel. „Der Kampfsport hat mir geholfen, meine Grenzen zu verschieben“, sagt er.

Er trainiert nicht nur seinen Körper, er kümmert sich auch um den Kopf und hat Psychologie studiert: „Ich will wissen, warum ich bestimmte Dinge mache, wie ich sie mache.“

Schnellkraft ist ein Geheimnis

Die Mittagspause ist vorbei. Die 80.000 Zuschauer vom Vormittag sind gegangen, neue 80.000 Zuschauer sind gekommen. Die Zehnspringer beginnen den Hochsprung. Eine gute Disziplin, um eins der Geheimnisse von Eaton zu erkennen: Der 24-Jährige verfügt über eine Schnellkraft wie kaum ein anderer. Er fliegt über 2,05 Meter, Behrenbruch bleibt bei 1,96 Metern kleben. Der Kampf gegen Eaton ist für den Rest der Welt wie gegen eine Eisenstange zu treten.

Der König der Athleten wird erst am Donnerstagabend müde sein. „Nach einem Zehnkampf fühle ich mich, als wäre ich von einem Baum gefallen“, hat Eaton gesagt. Bis dahin will er allerdings noch ein paar Kleiderschränke zerlegen.