London. Nach dem Sieg über 100 Meter will Usain Bolt bei den Olympischen Spielen auch über die 200 Meter gewinnen. Sein Kollege Yohan Blake hat etwas dagegen. „Jamaika gewinnt Gold über die 200 Meter, allerdings heißt der Sieger nicht Bolt“, sagt Blake. Eine Kampfansage, die das Publikum liebt.
Im Studio des Fernsehsenders BBC ist der Tisch gedeckt, es gibt Gebäck. Usain Bolt ist da. Auf die Plätzchen, fertig, los! Aber der schnellste Mann der Welt rührt den Teller nicht an. Nach seinem Olympiasieg in London über die 100 Meter will er am Donnerstag auch über die 200 Meter gewinnen. „Ich bin noch nicht fertig“, versichert er. „Und ich werde nicht sagen, dass ich der Größte bin, bevor ich nicht auch die 200 Meter gewonnen habe.“
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Er sagt den Satz mit einem Lausbuben-Grinsen. Deshalb ist er der Star der Spiele. Weil er der Schnellste ist, und weil er für jeden ein Lächeln übrig hat.
Jeder möchte neben ihm stehen und die Sätze hören, aus denen man vielleicht Honig schöpfen kann. Daher herrscht in der Nacht nach dem Triumph in den Katakomben des Olympiastadions ein unglaubliches Gedränge. Es gibt weniger Sauerstoff als auf dem Mond. Menschen verlieren die Nerven, mal am Treppenabsatz, mal am Nadelöhr der Tür. Nur Bolt verliert sein Lächeln nicht. Bolt verliert bei Olympia nie.
Glaubt der 25-Jährige jedenfalls. Am Handy hat er gerade seine Heimat Jamaika, es ist der Tag vor dem 50. Jahrestag der Unabhängigkeit des Karibik-Staates. Das Fernsehen dort hat seine Tante Lilian Bolt-Smith interviewt. „Wir sind an der Spitze der Welt“, hat Tante Lilian stolz verkündet.
Blake ist der zweitschnellste Mann Olympias
Es ist nicht nur ihr Neffe Usain, sein Rivale und Trainingskumpel Yohan Blake (9,75 Sekunden) ist in London hinter Bolt (9,63) schließlich der zweitschnellste Mann Olympias geworden. Das kleine Jamaika hat die drei Sprinter aus den großen USA im Finale versenkt. Justin Gatlin rettete zumindest Bronze für die Amerikaner. Aber Gatlin hat bereits eine vierjährige Dopingsperre abgesessen. Von dem 30-Jährigen will in dieser Nacht kaum jemand etwas wissen.
Jamaika regiert im Sprint. Überall, denn im 100-m-Finale der Frauen hat die kleine Shelly-Ann Fraser-Pryce aus dem Karibik-Reich der Sprinter gewonnen. Sie hat ihren Triumph von Peking 2008 wiederholt, damals lief sie mit 22 Jahren noch mit einer Zahnspange. Doping mit Wachstumshormonen verformt den Kiefer, eine positive Probe gab es aber nie.
Yohan Blake wurde dagegen 2009 vor der WM in Berlin mit einem Stimulanz-Mittel im Blut erwischt. Drei Monate Sperre. In der Sprint-Nacht von London starten die Stars aus Jamaika durch wie Popeye nach dem unmittelbaren Genuss von zwei Dosen Spinat. Mit Augenzwinkern erzählt die Sprinter-Szene von den Süßkartoffeln, die den Läufern aus der Karibik den Turbo-Schub verleiht.
Vielleicht ist es ähnlich wie bei Hossein Rezazadeh. Der Gewichtheber aus dem Iran hatte 2004 in Athen Gold im Super-Schwergewicht gewonnen. Seine Eltern erklärten auf der Tribüne, woher seine unmenschliche Kraft stammt: „Hossein ist als Kind in einen Pistazienbusch gefallen.“
Am Ende ist es bei den Olympia-Entscheidungen um den schnellsten und den stärksten Mann der Welt immer ähnlich wie bei Siegfried und Roy: Je mehr man sieht, desto weniger weiß man.
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Bolt dankt Bayern-Arzt Müller-Wohlfarth
Und fast wie aufs Stichwort dankt Usain Bolt seinem Arzt. Es ist Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, der Haus-Mediziner des FC Bayern München. Er hat Bolts Rücken vor Olympia wieder fit bekommen. „Er ist mehr als ein Arzt“, lobt Bolt. „Er führt mich sogar zum Essen aus.“ Bolt denkt aber nicht nur an seinen Arzt, er grüßt auch vor jedem Start per Fernsehen seinen Friseur. Das verabredete Signal ist das Streichen mit der Hand über den Stoppelhaarschnitt.
Jamaikas Sprinter machen eben bis auf die Konkurrenz alle glücklich. Und damit nach den 100 Metern nicht die Luft raus ist, heizen Bolt und Blake in der Nacht auch schon wieder das Rennen über 200 Meter an. Blake hat Bolt in diesem Jahr bereits über die 200 Meter geschlagen.
Bolt ist viermaliger Olympia-Sieger und hat am Sonntagabend bewiesen, dass er immer noch der König ist. Doch Blake lässt nicht locker: „Jamaika gewinnt Gold über die 200 Meter, allerdings heißt der Sieger nicht Bolt.“ Eine Kampfansage, die das Publikum liebt. Bolt schaut einen Moment irritiert zu Blake, der dieses Mal lächelt. Bang lebe der König!