London. Zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit hat Sabine Lisicki ein großes Turnier auf dem Rasen von Wimbledon gespielt, doch wieder reichte es nicht für ganz vorne: An der Seite von Christopher Kas verlor sie im olympischen Mixed-Wettbewerb das Spiel um den dritten Platz.
Sie liegen zurück, der erste Satz ist verloren. Bei einem waghalsigen Versuch, dem Ball hinterher zu hechten, verletzt sich Christopher Kas zudem leicht an der Hand. Es sieht nicht gut aus – trotzdem lacht Sabine Lisicki. Und als die Zuschauer die Welle über die Tribüne des Centre Courts von Wimbledon laufen lassen, reißen die beiden Deutschen die Arme hoch, machen mit.
Sie lassen sich die gute Laune einfach nicht verderben, denn zu verrückt ist ihre Geschichte, ist besonders die von Christopher Kas, bei diesen Olympischen Spielen. In der deutschen Mannschaft wird es keine verrücktere geben. Christopher Kas – hingezittert, rausgeflogen, reingerutscht. Und am Ende verpasst der Tennisspieler aus Schwelm mit Sabine Lisicki im erstmals seit Paris 1924 wieder ausgetragenen Mixed nur hauchdünn die Bronzemedaille.
Eine wirklich verrückte Geschichte ist das, eine Mischung aus Glück und Pech, aus Zufall und purer Absicht. Trotz der Finalniederlage (3:6, 6:4, 4:10) gegen die Amerikaner Lisa Raymond/Mike Bryan sogar eine dramatische Erfolgsgeschichte, die als Krönung unter Flutlicht auf dem legendären Centre Court in Wimbledon endet. „Hätte mir das vor zwei Wochen jemand erzählt, hätte ich ihn für verrückt erklärt“, sagt Kas.
Olympia als große Ehre für Kas
Die Olympischen Spiele – für ihn sind die Tage in London bereits im Vorfeld etwas ganz Besonderes. Dort aufschlagen zu dürfen, bedeutet für den Doppelspieler eine große Ehre. Wer sich mit dem in Schwelm wohnenden Rasenexperten über das Turnier im Zeichen der fünf Ringe unterhält, der sieht diesen Glanz in seinen Augen schimmern, diesen Glanz der Begeisterung, der seinen häufiger im Blickpunkt stehenden Kollegen der männlichen Einzelsparte offensichtlich fremd ist. Die Verletzung am Gesäßmuskel kurz vor der Abreise nach England? „Man muss auch mal für Deutschland leiden“, sagt er und beißt auf die Zähne.
Umso größer ist deshalb die Ernüchterung, die Enttäuschung, als der 32-Jährige bereits in der ersten Runde der Doppelkonkurrenz an der Seite von Philipp Petzschner, der als einer der besten Doppelspieler der Welt gilt, ausscheidet. Raus in Runde eins. 5:7, 5:7 gegen die Russen Dawydenko/Juschni. Goodbye, Wimbledon! Lebewohl, Olympia! Ob Kas 2016 als dann 36-Jähriger in Rio de Janeiro seiner Olympia-Premiere einen zweiten Auftritt folgen lassen kann, erscheint doch, na ja, sehr fraglich zu sein.
Als letztes Paar ins Feld gerutscht
„Ich war eigentlich draußen aus der ganzen Geschichte“, erzählt Kas. Dass er dabei trotzdem fröhlich grinst, liegt an dieser verrückten Wendung, die einen Tag nach dem Aus eintritt. Als allerletztes und zweites deutsches Paar rutschen er und Sabine Lisicki (Berlin) in das Feld der Mixed-Konkurrenz. Die Koffer bleiben ausgepackt, Kas steht wieder auf der Bühne. Er betritt sie durch die Hintertür – und verlässt sie im Rampenlicht des kleinen Finales.
Denn diesmal nutzt er die Chance an der Seite der kessen und starken Berlinerin. „Wir verstehen uns prächtig“, sagt der Schwelmer, „wir leben von den Emotionen dieses Auftritts.“ Wie er schwärmt die Blondine für diese Olympischen Spiele im ehrwürdigen All England Lawn Tennis Club von Wimbledon. „Ich bin an einem Olympiastützpunkt groß geworden“, erklärt die 22-Jährige. „Und als London die Spiele bekommen hat, habe ich mir gesagt: Da willst du hin, unbedingt.“
Stimmung wie in einem Fußballstadion
Begeisternd kämpft sich das deutsche Duo selbst gegen Favoriten in das Halbfinale – in ein Match, welches auf Court 1 vor Atmosphäre, vor Dramatik trieft. „Das war wie in einem Fußballstadion“, sagt Lisicki. 11000 Zuschauer feiern allerdings anschließend den glücklichen 6:1, 6:7, 10:7-Sieg „ihres“ britischen Duos Laura Robson/Andy Murray.
„Jetzt erst recht. Ich werde meinen Körper für das eine Match noch mal zusammenkleben lassen“, sagt Kas anschließend trotzig. Doch die Amerikaner Lisa Raymond/Mike Bryan sind zu stark. Zwar kämpfen sich die Deutschen nach dem verlorenen ersten Satz erneut ins Spiel zurück, doch den abschließenden Champions-Tiebreak verlieren sie klar.
Mit hängenden Schultern gehen sie wenig später vom Centre Court. Der Abgang von der großen Bühne, das traurige Ende einer verrückten Geschichte – all das vollzieht sich unter riesigem Applaus.